© Physical Review Letters, Patrick Vogt et al.

Forschung

Schicht für Schicht zu schnelleren Mikrochips

Nach der erstmaligen Synthese im Jahr 2005 galt Graphen als heißer Kandidat für die Herstellung neuartiger Computerchips, die ultrahohe Taktfrequenzen bei kaum vorhandener Wärmeentwicklung erlauben sollten. Die fehlende Bandlücke und andere ungelöste technische Probleme haben den ersten Eifer mittlerweile etwas gebremst. Gleichzeitig haben Wissenschaftler aber begonnen, andere Materialien mit derselben Struktur zu untersuchen. Aus Silicen, einer einatomaren Schicht aus Silizium, wurde soeben erstmals ein Transistor gebaut. Die futurezone hat Patrick Vogt von der technischen Universität Berlin, einen der führenden Forscher auf dem Gebiet, zum Interview gebeten.

Graphen konnte die - wohlgemerkt überzogenen - Erwartungen bislang nicht erfüllen. Droht anderen 2D-Materialien ein ähnliches Schicksal?
Silicen gibt es erst seit 2012, der Zeitrahmen ist also sehr kurz. Dass schon zweieinhalb Jahre nach der Synthese ein erster Transistor gebaut wurde, ist überraschend. Die technologischen Probleme werden aber, wie bei Graphen, auch hier sicher noch kommen. Wir werden deshalb nicht in wenigen Jahren Silicen-Chips entwickeln.

Verfügt Silicen über dieselben elektronischen Eigenschaften wie Graphen?
Grundsätzlich sind die Materialien vergleichbar. Beide haben eine charakteristische Honigwabenstruktur, allerdings ist Graphen komplett flach, während Silicen eine leichte Kippung in der Struktur aufweist. Das führt unter anderem dazu, dass im Vergleich zu Graphen eine Bandlücke sehr viel leichter entsteht oder erzeugt werden kann, was für den Einsatz in der Elektronik unerlässlich ist.

Die Leitfähigkeit ist also vergleichbar?
Die elektronischen Eigenschaften sind ähnlich. Die Ladungsträger verhalten sich wie masselose, relativistische Teilchen und weisen daher eine hohe Beweglichkeit auf. So wären sehr hohe Schaltgeschwindigkeiten von elektronischen Bauelementen möglich.

Also sind die Hoffnungen ähnlich gelagert wie bei Graphen?
Das Substrat macht bei Silicen den Unterschied. Kohlenstoff ordnet sich bevorzugt in der zweidimensionalen Graphen-Struktur an. Bei Silizium verhält es sich anders. Es ordnet sich dreidimensional. Daher gibt es kein Silicen in der Natur, es braucht auch immer ein Substrat, auf dem es wachsen kann. Das beeinflusst aber die Eigenschaften. Derzeit wird Silber als Unterlage verwendet.

Gibt es Alternativen?
Das Verwenden anderer Substrate oder gar die Möglichkeit der Ablösung, also der Fertigung von freistehendem Silicen ist ein Forschungsthema. Damit könnten die Eigenschaften näher an das errechnete Optimum aus den Modellen gebracht werden. Der Transistor unserer US-Kollegen zeigt zwar die erwarteten Eigenschaften, allerdings nicht in optimaler Weise. Ob ein Material als Substrat geeignet ist und eine Silicenschicht stabil bleibt, muss im Labor getestet werden.

Wie funktioniert die Herstellung?
Zuerst wird Silber im Vakuum gereinigt, damit die Atomstruktur keine Kontaminationen mehr aufweist. Anschließend wird Silizium bei rund 1200 Grad verdampft. Das kondensiert dann in einer Monolage auf dem auf 220 Grad erwärmten Silber. Pro Schicht dauert das rund eine Stunde, auf einer Fläche mit etwa einem Zentimeter Durchmesser.

Handelt es sich um eine homogene Schicht?
Mit dem beschriebenen Verfahren entstehen aufgrund der Struktur des Silbers verschiedene Domänen in einer Größe von 50 bis 100 Nanometer. An den Domänengrenzen treten Verluste beim Ladungstransport auf. Das ist einer der Gründe, weshalb der Silicen-Transistor nicht die theoretisch vorhergesagten Werte erreicht. Für elektronische Anwendungen wären eindomänige Flocken optimal. Deren Herstellung ist derzeit aber auch bei Graphen noch ein Problem.

Eine weitere Hürde ist, dass Silicen schnell zerfällt. Auch der vorgestellte Transistor hat nur wenige Minuten lang funktioniert.
Die Siliziumschicht reagiert mit der Umgebung. Während Graphen relativ inert ist, oxidiert die Silicenschicht mit der Zeit durch.

Ist das technisch lösbar?
Auch andere Elektronikelemente, etwa OLEDs, müssen vor Sauerstoff geschützt werden. Das kann etwa durch das Aufbringen eines Deckels geschehen. Das ist technisch sicher lösbar.

Viele Ihrer Kollegen waren der Meinung, dass es unmöglich sei, Silicen zu erzeugen. Wie konnten Sie beweisen, dass Sie tatsächlich das gesuchte Material hergestellt hatten?
Mit Rastertunnelmikroskopaufnahmen werden Schichtdicke und Struktur ungefähr bestimmt. Man braucht auch ein theoretisches Modell, dessen Vorhersagen mit den Bildern abgeglichen werden. Die elektronischen Eigenschaften, die chemische Struktur und das Wachstum auf dem Substrat werden ebenfalls zur Identifikation genutzt.

Es wird bereits darüber spekuliert, dass Silicen sich einfach in bestehende Herstellungsverfahren für Mikrochips eingliedern ließe.
Dass sich Silicen einfacher als etwa Graphen in heutige Chip-Produktionsprozesse eingliedern ließe, liegt auf der Hand, weil die heutige Technik ja auf Silizium basiert. Ob sich die Hoffnung, dass Silicen auf einem Silizium-Substrat erzeugt werden kann, erfüllt, bleibt aber abzuwarten.

Welche vielversprechenden Kandidaten für 2D-Materialien gibt es noch?
Mit Germanen, der 2D-Version von Germanium, wird schon gearbeitet. Die Idee ist derzeit, vor allem andere Elemente aus der Kohlenstoffgruppe des Periodensystems zu testen. Das sind neben Silizium Germanium, Zinn und Blei. Andere mögliche Kandidaten sind theoretisch vorhergesagt, es gibt aber insgesamt noch nicht so viele Ergebnisse bei 2D-Materialien.

Welches sind Ihre derzeitigen Forschungsschwerpunkte?
Wir arbeiten schon mit Germanen. Silicen bleibt aber unser Schwerpunkt. Hier sind noch viele Eigenschaften zu klären, etwa das Verhalten bei Multilagensystemen, alternativen Substraten oder Modifizierung mit anderen Materialien.

Können Sie abschätzen, wie lange es dauern wird, bis Silicen in kommerziellen Produkten auftaucht?
Wann es praktisch verfügbare integrierte Schaltkreis gibt, kann ich nicht sagen. In den nächsten 10 Jahren werden sich aber sicher neue Ansätze herauskristallisieren. Wenn wir die bisherige Entwicklung linear weiterdenken, gibt es in zweieinhalb Jahren bereits einen neuen Transistor, mit Eigenschaften, die dem theoretischen Optimum schon sehr nahe kommen. Zwischen dem ersten integrierten Schaltkreis aus dem Jahr 1958 bis zu heutigen Prozessoren ist ja auch einige Zeit vergangen.

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Markus Keßler

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