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Mobilität der Zukunft

Wenn Autos miteinander reden

Die Teststrecke sind Teilstücke der Wiener Südost-Tangente A23, der Ostautobahn A4 und der Wiener Außenringschnellstraße S1. Auf diesem „intelligenten Verkehrsdreieck“ werden ab April die Verkehrstechnologien der Zukunft getestet, um sie im Herbst beim weltweit größten Kongress für intelligente Verkehrssysteme, der ITS World, der erstmals in Wien stattfindet, zu demonstrieren. Auf dem Dreieck werden Autos miteinander sprechen, sich – auch wenn sie Kilometer voneinander entfernt fahren - gegenseitig mit Informationen versorgen und sie werden die Infos automatisiert in das Verkehrsinformationssystem schicken.

"Wegbereiter der Verkehrstelematik"
„Wir sind Wegbereiter der Verkehrstelematik“, sagt Martin Russ, Chef von AustriaTech, dem 2005 vom BMVIT (Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie) gegründeten technologiepolitischen Unternehmen, das den Weltkongress organisiert. Österreich gilt als eines der innovativsten Verkehrstelematik-Länder der Welt, gehört neben den Niederlanden und Schweden, wo vor allem das Thema Sicherheit forciert wird, zu den europäischen, und neben Japan und Korea zu den internationalen Vorreitern.

Gründe für die österreichische Vorrangstellung gibt es viele. So hat das BMVIT bereits vor elf Jahren Infrastruktur-, Automotivbereich sowie Bahntechnologien forciert. Zudem gibt es in Österreich einige Unternehmen, die sich auf Verkehrstechnologien, von Verkehrsmanagement bis Verkehrssteuerung, spezialisiert haben und eine globale Bedeutung haben. Dazu zählen Unternehmen wie Kapsch, das mit Kapsch TrafficCom Weltmarktführer bei den Mautsystemen ist, Siemens Verkehrstechnik, Swarco Verkehrssignalsysteme oder auch die Asfinag, die zu den innovativsten Autobahn-Betreibern Europas zählt.

Drei Schlüsselservices
Derzeit sind zwar E-Mobility oder Hybrid-Fahrzeuge Gesprächsthemen, wenn es um Verkehr geht, „doch mit der Antriebstechnologie alleine bekommt man das Thema Mobilität in Zukunft nicht in den Griff“, sagt Russ. Seiner Meinung nach müsse dem Thema Verkehr mit drei Schlüsselservices begegnet werden.

Gemeinsamer Verkehrsgraph
„Basis intelligenter Verkehrssteuerung ist ein gemeinsamer Verkehrsgraph, der dezentral verwaltet und gewartet wird“, sagt Russ. Ein Verkehrsgraph ist vereinfacht gesagt eine digitale Karte, in der das gesamte Verkehrsnetz samt diverser Zusatzinformationen wie Abbiegemöglichkeiten oder Adressen abgebildet ist. Derzeit wird an einem solchen Graphen gearbeitet, 2013 soll er fertig sein. Der sei immer aktuell und werde laufend mit Updates aktualisiert.

Er bildet die Grundlage für alle Services wie Navigation, aktuelle Routenplanung etc. Diese digitale Verkehrskarte wird von allen Verkehrssystemen, ob Straße, öffentlicher Verkehr, diversen Landesdienststellen und künftig auch automatisiert von individuellen Verkehrsteilnehmern mit Daten aktuell gehalten. Tagesbaustellen fließen in das System genauso ein wie Events, Konzerte, die Auswirkungen auf den Verkehr haben. Allerdings in Echtzeit, sprich, das System aktualisiert sich ständig. Zum Vergleich: Navi-Besitzer müssen heute ihre Navi-Software selbst updaten, künftig wird dies automatisiert erfolgen, wie es heute Smartphone-Apps oder Premiumdienste von Navi-Unternehmen wie etwa TomTom machen.

„Historische Daten sind im Verkehrsgraph ebenfalls integriert“, sagt Russ. „damit man daraus lernen und Rückschlüsse ziehen kann.“ Denkbar ist künftig auch, dass auch Wanderwege und Tourismus-Informationen integriert sind.

Das Verkehrssystem liefert Tipps

Das zweite Schlüsselservice sind „multimodale Verkehrsinformationen“, die in Echtzeit dem Verkehrsteilnehmer einen Ist-Zustand der Verkehrssituation liefern. Das System – Ende des Jahres wird in der Ostregion ein Testgebiet „live“ gehen -, hilft dabei, Entscheidungen schneller und besser treffen zu können. Russ: „Künftig, ich rechne ab 2015/2016, werden dem Verkehrsteilnehmer Vorschläge gemacht, Varianten aufbereitet, etwa welches Verkehrsmittel er nehmen, wann er wegfahren soll. Weil man räumlich planen und Prognosen erstellen kann.“ Denn oft sei man schneller, wenn man eine oder gar mehrere Stunden später wegfährt. Das setze aber voraus, dass sich die unterschiedlichen Verkehrssysteme untereinander verstehen, nur so könnten sie sich gegenseitig austarieren.

Im Fachjargon wird dies als Multimodalität bezeichnet. Jedes System versteht jedes, sprich, der öffentliche Verkehr, ob ÖBB, Wiener oder Salzburger Stadtwerke, versteht auch die Daten des Individualverkehrs, die von der Asfinag geliefert werden. Einziger Knackpunkt ist derzeit noch - wie kommen die Infos aus untergeordneten Verkehrsnetzen, also abseits von Autobahnen und Schnellstraßen, in das System.

Auto 1 an Auto 2
Das dritte Schlüsselservice sind so genannte „kooperative Systeme“, und das ist das für den Konsumenten wohl spannendste. Ein Auto kommuniziert mit dem anderen, liefert die Daten aus dem Fahrzeug in das Verkehrsnetz und hält so die Verkehrsinformationen aktuell. Heute erfährt man über Radio oft dann, wenn man im Stau steht, dass sich ein Stau bildet. TMC+ (Traffic Message Channel) funktioniert heute zwar gut, allerdings entstehen auch hier Zeitlücken.

Es gibt zwar schon viele Kameras und Sensoren, mit denen der Verkehr überwacht wird, aber ein wirkliches System, das vollautomatisch in der Lage ist, Ereignisse zu erkennen, sie zu bewerten und die Auswirkung zu errechnen - davon ist man derzeit noch weit entfernt, wird es vermutlich erst in etwa fünf Jahren geben. Zwar gibt es verschiedene Standards, die die großen Automobilhersteller bereits verwenden und weiterentwickeln, damit Fahrzeuge untereinander kommunizieren können. Doch das setzt wiederum voraus, dass Autos die „Drahtlos-Sprache“ beherrschen, sprich die Informationen drahtlos entweder in einem speziell dafür reservierten Frequenzbereich (ITS-G5) oder via Mobilfunktechnologienverschickt werden können. Denn genau genommen ist jedes Fahrzeug ein Sensor bzw. auch jeder Handy-User.

"A1 LIVE Traffic"
Vor einigen Jahren schon hat Mobilfunker A1 mit "A1 LIVE Traffic" ein Verkehrsmanagement-System entwickelt, bei dem die Handys der Mobilkom-Kunden eine wesentliche Rolle spielen. Die Tatsache, dass sich dort, wo viele Handys eingeloggt sind, eine größere Menschenansammlung befindet, lässt sich auch auf den Verkehr umlegen. Vereinfacht erklärt funktioniert das System folgendermaßen: Fährt ein Wagen auf einer Autobahn, so wird das Handy während der Fahrt von einer Funkstation zur nächsten weiter gereicht, im Fachjargon wird das "Hand-over" genannt. Bei flüssigem Verkehr wird ein Handy im Schnitt alle zwei Minuten zur nächsten Station weiter gereicht. Gibt es zähflüssigen Verkehr, verlängert sich diese Phase auf vier Minuten, gibt es Stau, so dauert das Hand-over zehn Minuten oder länger. Diese Daten fließen bereits in das Verkehrsinformationssystem ein.

„Bei komplexen Entscheidungen, etwa, wie löst man ein Verkehrsproblem aus, da wird der Mensch wichtig bleiben“, sagt Russ, „weil es keine Standardsituationen gibt.“ Heute sei die Sensorik, Prognostik, Erkennung in puncto Algorithmen noch nicht so weit, dass man das Lösen von Problemen der Technik alleine überlassen könne.

Wir werden nicht morgen die bessere Welt im Verkehr und in der Mobilität haben“, sagt Russ. „Und es wird in 20 Jahren noch Menschen geben, die keine Navis, keine Handys in ihrem Fahrzeug haben und auch informiert werden müssen.“ Daher werde auch Konvergenz ein wichtiges Thema, denn jeder muss die Informationen bekommen, wenn nicht, hätte das sicherheitskritische Auswirkungen.

Nur anonymisierte Daten erlaubt
Wenn Autos bzw. Verkehrsteilnehmer überwacht, Sensoren oder Kameras installiert oder Daten von Smartphones ausgewertet werden, sind auch Daten- und Konsumentenschützer hellhörig.

„Wir begegnen dieser Thematik ganz offensiv“, sagt Russ. Teilweise findet er die Bedenken berechtigt, teilweise werde der „gläserne Verkehrsteilnehmer“ auch hochgespielt, denn es handle sich immer um anonymisierte Daten. „Zudem muss man immer genau sagen, dass man Daten verwendet, welche das sind und was man mit ihnen macht“, so Russ. Wenn personenbezogene Daten verwendet werden, müsse der Nutzer ausdrücklich sein Einverständnis erteilen.

Aufregung in den Niederlanden
Großen Aufruhr gab es im Frühjahr 2011 in den Niederlanden, als bekannt wurde, dass TomTom Daten an das niederländische Innenministerium verkauft hat. Die Polizei optimierte mit den gekauften GPS-Daten ihre Radarfallen. Russ: „Abgesehen davon, dass die Daten anonymisiert waren, ist das ein Beispiel für effiziente Verwaltung. Dort wo zu schnell gefahren wird, hat man ein Sicherheitsproblem im Verkehr.“ Das habe nichts mit Abzocke zu tun, sondern mit effektiver Kontrolle.

Die Autofahrer waren aufgebracht, die Anrainer allerdings nicht – aber die haben ja keine Lobby. „In den Niederlanden sind nur Durchschnittsauswertungen weiter gegeben worden, keine personenbezogenen Daten“, so Russ Der Fehler, der dort passiert sei, ist, dass die Bevölkerung das erst im Nachhinein erfahren habe.

"Kein Verkehrs-Big-Brother"
In Österreich werde es nicht den großen Datenbetreiber, den großen Verkehrs-Big-Brother, sondern ein dezentrales System mit offenen Schnittstellen geben, an dem die verschiedensten Organisationen angeschlossen sind.

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