"Ein Kind am Land denkt nicht an Sheryl Sandberg"
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Der durchschnittliche Business Angel ist 47 Jahre alt und männlich. Auch bei Gründungen spielen Frauen eine Nebenrolle. Im vergangenen Jahr wurden laut dem European Startup Monitor 2016 nur sieben Prozent der Start-ups von Frauen gegründet. Für Frauen, die sich etwas trauen, ist es sehr wohl möglich etwas zu bewegen", sagt Stefanie Pingitzer. Vor fünf Jahren hat sie gemeinsam mit anderen Gründerinnen die Austrian Angel Investors Association (AAIA) ins Leben gerufen. Die futurezone hat Pingitzer und die Investorin Brigitte Nessler zum Gespräch über Frauen in der Start-up-Szene getroffen.
Ist die Start-up-Szene Männersache? Stefanie Pingitzer: Ich würde sagen, noch. Initiativen wie Female Founders zeigen, dass es ein verstärktes Interesse bei jungen Frauen gibt, in der Start-up-Szene Fuß zu fassen. Aber es ist wahrscheinlich noch nicht soweit, dass es hier zu einer Gleichstellung kommt.
Brigitte Nessler: Solange das in den Aufsichtsräten der DAX-Firmen so ist, warum soll es dann bei Start-ups anders sein?
Was sind die Gründe für dieses Ungleichgewicht? Pingitzer: Frauen sind immer noch risikoaverser als Männer. Sie wollen eher einem Beruf nachgehen, der sicherheitsbedachter ist. Natürlich hat das auch mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu tun. Als Gründerin hat man es schwieriger als im Angestelltenverhältnis.
Nessler: Wenn Projekte scheitern, heißt es, "ja, wenn ihr eine Frau schickts", wenn sie gutgehen, hört man, wie gut es erst geworden wäre, wenn das ein Mann gemacht hätte. Solange so eine Einstellung herrscht ...
Die gibt es noch immer? Nessler: Leider ja, immer noch zu oft.
Was hat Sie dazu bewogen, als Business Angel tätig zu werden? Nessler: Wenn man mit seinem Unternehmen aufhört, macht man sich Überlegungen, ob einem nicht etwas abgehen wird, dass man das "Gschaftln" vermisst. Für mich hat sich eine Möglichkeit aufgetan, das weiterhin zu tun. Es macht einfach Spaß.
Pingitzer:Ich habe im Zuge meiner Beratungstätigkeit sehr viele Start-ups kennengelernt, die kleine Finanzierungen gebraucht haben. Zum anderen kenne ich auch viele vermögende Privatpersonen. Ich habe mich mit Selma Prodanovich zusammengesetzt und mir gedacht, es muss doch eine Plattform geben, die diese Bedürfnisse bedient und die beide zusammenbringt. Das war für uns die Gründungsidee. Wir haben sehr schnell namhafte Investoren gewinnen können und das hat uns gezeigt, dass es für Frauen, die sich was trauen, sehr wohl möglich ist etwas zu bewegen.
Sind für Sie als Business Angels Kategorien wie Mann oder Frau bei Start-ups von Bedeutung? Nessler: Nein und sie sollten es auch nicht sein.
Pingitzer: Letztlich ist es bei der Besetzung von Teams wichtig, dass es eine Durchdringung von unterschiedlichen Kompetenzen und Charaktereigenschaften gibt. Start-ups machen sehr viele unterschiedliche Phasen durch. Dabei sind unterschiedliche Kompetenzen und Qualitäten gefragt. Man sagt Frauen eine gewisse Intuition oder eine besondere emotionale Intelligenz nach. Dass muss nicht geschlechterspezifisch sein. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen gewisse Eigenschaften abdecken und Männer dafür andere, ist höher.
Heterogenen Teams werden größere Erfolgschancen zugeschrieben? Nessler: Die Kompetenzen sollten gut verteilt sein. Wenn vier Männer die nötigen Kompetenz abdecken, ist das genauso gut, wie wenn es vier Frauen machen. Die Wahrscheinlichkeit, dass gemischte Teams besser sind, ist gegeben. Ich hab das auch ein paar Mal gesehen.
Pingitzer: Wir sehen bei vielen Start-ups, dass die Durchmischung von Kompetenzen in den Gründerteams zu einer höheren Erfolgschance führt. Diese Vielfalt ist extrem wichtig für Unternehmen.
Die Initiative Austrian Start-ups fordert einen Förderbonus für heterogene Teams. Wäre das ein Schritt in die richtige Richtung? Nessler: Ich bin gegen Bonusse, weil es immer zu Missbrauch führt.
Pingitzer: Es sollte nicht zu Alibibesetzungen kommen. Aber man muss auch klar sagen, dass so eine Förderung besondere Anreize bieten würde, um Frauen verstärkt dazu zu kriegen, zu gründen. Man müsste es aber mit gewissen Auflagen koppeln, um Missbräuchen vorzubeugen.
Wie können Gründerinnen gefördert werden? Pingitzer: Es beginnt in der Schule. Es ist wichtig, dass man auch weibliche Role-Models hat, um aufzuzeigen, dass erfolgreiche Karrieren nicht nur von Männern, sondern auch von vielen Frauen gemacht werden können.
Zum Beispiel?Pingitzer: Es gibt beispielsweise eine Sheryl Sandberg (Anm.: Facebook-Geschäftsführerin) und andere erfolgreiche Unternehmerinnnen, die sehr wohl ein solches Role Model sein können.
Nessler:Ein Kind am Land denkt nicht an Sheryl Sandberg, sehr wohl aber an die Verkäuferin, die Friseurin und die Sprechstundenassistentin.
Pingitzer: Wichtig ist, dass man aufzeigt, dass es solche Berufsbilder auch gibt.
Nessler: Wer soll's aufzeigen, die Kindergärtnerin, die es selber nicht weiß?
Pingitzer: Nein, das Bildungssystem. Man kann sehr wohl Akzente setzen. Es muss auch Anreize geben, verstärkt Frauen in technische Berufe zu führen. Generell könnte man schon in der Volksschule oder der Unterstufe Kindern das Programmieren beizubringen.
Wie beurteilen Sie den Status Quo des Bildungssystems? Nessler: Der Status Quo ist unbefriedigend. Heute wird ein Kind vom Kindergarten weg nur kontrolliert. Es wird kontrolliert, ob es ein Lied erlernt hat oder die richtigen Multiple-Choice-Fragen beantwortet hat. Das Leben ist aber anders.
Pingitzer: Als Unternehmer muss man kontinuierlich Lösungen entwickeln und man muss immer wieder neue Möglichkeiten in Betracht ziehen und innovativen Ansätzen nachgehen. Unser Bildungssystem trichtert uns ein, dass es einen Lösungsansatz gibt, den man befolgen muss. Als ich in der Schule einmal in einer Mathematikarbeit einen anderen Denkgang hatte, aber dennoch zum richtigen Ergebnis gekommen bin, wurde mir das ausgebessert, weil ich nicht die gängige Methode angewandt habe. Man muss die Individualität und Kreativität von Kindern fördern, damit sie eigene Lösungen suchen. Es wird aber alles überwacht, beurteilt und zensuriert.
Nessler: Jede Mutter weiß heute über das Handy, ob ihr Kind am Klo sitzt oder einen Purzelbaum macht.
Pingitzer: Es wird getrackt. Es fehlt die Freiheit und Unbeschwertheit, aus der sich Kreativität entwickelt.
Und wie kann Risikobereitschaft gefördert werden? Nessler: Indem man einem Kind, wenn es auf den Baum steigt, nicht sagt, gib Acht, fall nicht runter, sondern es einfach raufsteigen lässt.
Pingitzer: Sehr viel ist Erziehungssache. Ein Thema, bei dem es auch Aufholbedarf gibt, ist das Scheitern. Man muss eine Kultur des Scheiterns fördern und offen darüber sprechen, dass Scheitern ein Teil des Erfolges ist. Es ist wichtig, jungen Leuten beizubringen, dass das Leben auch aus Scheitern besteht. Nur wenn man die Angst vor dem Scheitern nimmt, kann man Risikobereitschaft fördern und Leute auch dazu bringen, Dinge auszuprobieren.
Was raten Sie jungen Gründerinnen? Nessler: Wenn man eine gute Idee hat, sie einfach durchziehen. Machen ist das Zauberwort.
Pingitzer: Mut zeigen und aus sich herauszugehen. Nicht schüchtern sein und sich Dinge trauen. Gerade in der Start-up-Szene ist es Usus einander zu helfen. Es liegt in der Verantwortung von erfolgreichen Gründern, jungen Gründern zu helfen und der Community etwas zurückzugeben. Das System kann nur funktionieren, wenn es ein Geben und Nehmen ist. Das ist auch das Herzstück einer Business-Angel-Organisation.
Stefanie Pingitzer ist die Gründerin und Geschäftsführerin von LilO the entrepreneur boutique einer unternehmerisch geführten Investmentboutique die sich auf Zu- und Verkäufe von eigentümergeführten Unternehmen spezialisiert hat. Neben LilO hat Pingitzer auch 2012 gemeinsam mit Selma Prodanovic und Hansi Hansmann die Austrian Angel Investors Association gegründet, die 200 Business Angels als Mitglieder zählt.
Brigitte Nessler gründete nach 20-jähriger Tätigkeit bei einem globalen Markenartikler 1993 mit ihrer Familie die Nessler Medizintechnik GmBH, die 2013 an die US-Firma Graphic Controls verkauft wurde. Eine kleine Entwicklerfirma - die Nessler Medizin Elektronik - gibt es nach wie vor. Sie investiert in Start-ups in der Pre-Seed-Phase.
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