Start-up ermöglicht Weltraum-Spaziergang auf der Erde
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"Blurred Frontiers" bzw. "verschwommene Grenzen" lautet das Motto zum diesjährigen Pioneers Festival, das am Donnerstag in der Wiener Hofburg begonnen hat. Bei Österreichs größter Start-up-Veranstaltung gibt es gleich eine Reihe von Vorträgen, die zeigen sollen, wie das Motto gemeint ist. "Weiß irgendjemand, was zum Teufel hier eigentlich passiert?", lautet die provokante Einleitung von Ryan Holmes bei seinem Vortrag. Mit seinem Start-up Space VR will er die Grenzen zwischen Erde und Weltraum verblassen lassen, aber genauso Barrieren zwischen Menschen im Allgemeinen abbauen.
Kranke Gesellschaft heilen
"Mein Land gibt 800 Milliarden Dollar pro Jahr für Krieg aus. 17 Milliarden Dollar pro Jahr werden in den USA für Antidepressive ausgegeben. Junge Amerikaner bringen Mitschüler um", klagt Holmes, der in Jogginghosen, einem roten Schal und Flip-Flops auf der Bühne steht, an. Seiner Meinung nach ist die Gesellschaft krank. "Wir stellen Kapital über alles, auch über uns selbst." Und dann wäre da noch "Donald fucking Trump, der gegen Immigranten vorgeht, obwohl seine Frau aus Slowenien kommt."
Holmes Rezept gegen die Misere: Den eigenen Blickwinkel verändern und sehen, was wirklich wichtig ist im Leben. "Das verändert jede Entscheidung, jede Idee, jede Beziehung." Space VR will Menschen dazu in den Weltraum versetzen und ihnen die Perspektive eines Astronauten verschaffen - auf virtuellem Weg. In einem Salzwassertank treibend und mit VR-Brille ausgestattet sollen sie die Erde und ihren Platz in den Weiten des Alls erkennen. Das Live-Bildmaterial dazu soll von einem eigenen Satelliten namens "Overview 1" stammen, der noch heuer an Bord einer SpaceX-Rakete in den Orbit gebracht werden soll. Die Finanzierung des Projekts soll durch den Verkauf von Einheiten einer eigenen Kryptowährung gelingen.
Abenteuer Firmengründung
Um das Ausloten eigener Grenzen und der Vermischung von Abenteuer und Unternehmertum geht es in einer Panel-Diskussion zum Auftakt von Pioneers 18, deren Teilnehmer allesamt beruflich mit der Erforschung der Weltmeere oder des Weltraums zu tun haben. Die Entdecker-Einstellung ("explorer mindset") habe ihm stets geholfen, meint etwa Guillermo Söhnlein, der bereits sieben Start-ups gegründet hat. Der Raumfahrt-Unternehmer (Blue Marble Exploration) vergleicht die Gründung und Führung eines Jungunternehmens mit der Organisation einer Expedition: "Jede Entscheidung, die du triffst, kann Leben oder Tod bedeuten. Einziger Unterschied: Im Falle eines Start-ups geht nur ein Unternehmen drauf, im Falle einer Expedition Menschen."
Chancen wie Fische im Meer
Wie bei einer Expedition sei es als Start-up-Gründer notwendig, Menschen an Bord zu holen, die bereits sind, abgetretene Pfade zu verlassen und "dort hinzugehen, wo noch nie ein Mensch zuvor gewesen ist", meint Söhnlein. Laut Ozeanforscherin Gaelin Rosenwaks biete die Erschließung der Weltmeere ein riesiges Betätigungsfeld für abenteuerlustige Start-ups: "Es gibt so viel Unbekanntes im Ozean." Im Gegensatz zur Weltraumforschung fließe derzeit allerdings noch relativ wenig Geld in die Meeresforschung. Mehr denn je sei es daher notwendig, potenziell Interessierte mit faszinierenden Geschichten anzusprechen.
Laut Gaelin könnte das "Storytelling" etwa durch Virtual Reality gelingen. "Wenn man virtuell einen Tauchgang erleben kann, all die Farben und das blühende Leben unter Wasser sieht, versteht man die Faszination sicherlich besser." Investoren von möglicherweise verrückt erscheinenden Projekten, sei es im Weltraum oder im Ozean, zu überzeugen, sei ein schwieriges Unterfangen, meint Söhnlein. Das behutsame Ausloten von Grenzen sei für Start-ups maßgeblich. Sie müssen einen Weg finden, um einerseits eine große Vision zu vermitteln und andererseits aufzuzeigen, wie man damit in absehbarer Zeit Gewinne erwirtschaften will.
Mensch im Mittelpunkt
Das Sprengen der Grenzen zwischen Technologie und Menschen ist gewissermaßen das Thema des Vortrags von Werner Vogels, dem Technik-Chef (CTO) von Amazon. In seiner Keynote geht es um die Verwendung von Sprache, um eine Benutzerschnittstelle zu schaffen, die den Mensch in den Mittelpunkt rückt. "Bisher hat man es von den Fähigkeiten von Maschinen abhängig gemacht, wie man sie bedienen konnte", meint Vogels. "Heute ist das Tippen die meistverbreitete Form von Benutzerschnittstellen. In Sprachen mit einem überschaubaren Alphabet ist das relativ einfach, aber was ist mit Sprachen wie Chinesisch?"
Sprache verbindet
Für den Amazon-CTO ist Sprache der natürlichste Kommunikationskanal, den fast jeder beherrscht. Amazons Alexa sei der fortschrittlichste Ausdruck dieser Einstellung, ist Vogels überzeugt. Bei der Entwicklung neuer Technologien sollten Start-ups stets daran denken, Sprache als Schnittstelle zu verwenden, lautet sein Plädoyer. Sprachgesteuerte Maschinen seien der geeignetste Weg, um einen Großteil der Gesellschaft zu erreichen, unabhängig von Alter oder Einkommen. Vogels erwähnt etwa ein Beispiel, bei dem Landwirte auf den Philippinen eine Telefon-Hotline anrufen können, um wertvolle Tipps für den Reisanbau auf ihren jeweiligen Feldern zu erhalten. Die Telefongespräche werden automatisiert von Amazon Alexa abgewickelt. Das Projekt war angeblich ein voller Erfolg.
Äußerst positive Rückmeldungen zu Sprachsteuerung habe Vogels auch von Demenzpatienten erhalten: "Man kann Alexa ständig fragen, welcher Tag heute ist, meinten sie. Alexa wird dabei niemals böse. Sie antwortet immer höflich und korrekt."
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