Pim van der Jagt, Leiter des Ford Forschungszentrums Aachen vor dem automatisierten Forschungsfahrzeug
Pim van der Jagt, Leiter des Ford Forschungszentrums Aachen vor dem automatisierten Forschungsfahrzeug
© Florian Christof

Interview

"Selbstfahrende Autos sind noch sehr weit entfernt"

Anfang der Woche stellte Apple CarPlay – die iOS-Verlängerung fürs Armaturenbrett vor. Seit Donnerstag läuft der Genfer Autosalon, auf dem weitere Neuerungen in Sachen Betriebssysteme für Fahrzeuge zu erwarten sind. Mit der Parkplatz-App Parkopedia und dem personalisierten Internetradio Aupeo hatte Ford erst kürzlich am Mobile World Congress in Barcelona zwei neue Anwendungen für das hauseigene Konnektivitätssystem Ford Sync AppLink vorgestellt. Die futurezone hat Pim van der Jagt, den Geschäftsführer des Ford Forschungszentrums Aachen, gefragt, was von Autos in Zukunft zu erwarten ist.

futurezone: Ford hat ein Auto präsentiert, das vollständig automatisiert fahren kann. Geht es in diese Richtung? Werden Autos bald von selber fahren?
​Pim van der Jagt:
Wir von Ford glauben nicht, dass es in absehbarer Zeit ein Auto geben wird, zu dem man sagt “Fahr mich zur Arbeit” und man dann im Fahrzeug weiterschlafen kann. Systeme wie zum Beispiel den Stauassistenten sehen wir schon. Das ist ein erster Schritt, der ziemlich schnell immer wieder erweitert werden wird: Erst bis 50 km/h, später vielleicht bis 70 km/h und dann eventuell komplette Autobahngeschwindigkeit. Es wird also wahrscheinlich Abschnitte geben – vielleicht 30 bis 40 Prozent der Zeit – wo es die Möglichkeit gibt, dass das Auto selber fährt. Aber der Fahrer muss noch immer da sein und er muss immer in der Lage sein, innerhalb von zwei, drei Sekunden das Fahren wieder übernehmen zu können. Das sehen wir schon als realistisch. Aber ein Auto, in dem niemand mehr drin sitzt, das sehen wir noch nicht als realistisch. Wir sagen aber auch nicht, dass das unmöglich ist. Wir sehen das noch als sehr weit entfernt.

Eine Reihe von Autoherstellern hat In-Car-App-Systeme präsentiert. Auch Apple drängt aufs Amaturenbrett.
Real-Time-Embedded-Systeme haben andere Anforderungen als beispielsweise ein Tablet. Aber natürlich haben Google und Apple Interesse in den Automotive-Markt einzusteigen. Unser Sync1- und Sync2-System wurde beispielsweise zusammen mit Microsoft entwickelt. Das Volumen des Automarktes ist natürlich sehr interessant. Also haben eigentlich alle Interesse daran in den Automotive-Markt einzusteigen.

Wäre es nicht einfacher zu sagen, wir bieten Android oder iOS im Auto an? Es gebe ja beispielsweise bereits eine Menge an Entwicklern, die Apps zur Verfügung stellen könnten. Auch der Bekanntheitsgrad dieser Betriebssysteme wäre enorm?
Es ist nicht so einfach, dass man alles, was für Smartphones und Tablets entwickelt wurde, einfach für Autos kopiert. Die Schnittstellen, der Zugriff auf alle Daten – wir möchten eigentlich ein Betriebssystem im Auto haben, das die Flexibilität hat mit Geräten aller Hersteller kommunizieren zu können. Es ist auch wichtig, dass die Daten über die Cloud verfügbar sind und nicht immer vom Telefon ins Auto kopiert werden müssen. Es ist viel einfacher, wenn die Daten in der Cloud verfügbar sind oder über Handheld-Devices auf die Daten zugegriffen werden kann.

Interieur des neuen Ford Focus

Auch wegen der Kompatibilität der Bedienbarkeit? Zum Beispiel die Steuerung von Apps über Tasten am Lenkrad?
Wir glauben sehr an Sprachsteuerung. Der Fahrer soll sich auf das Fahren konzentrieren und alles per Sprachsteuerung bedienen. Diese Systeme werden auch immer leistungsfähiger. Zum Beispiel reagieren unsere aktuellen Fahrzeuge auf “Ich habe hunger” und zeigen darauf eine Liste mit nahegelegenen Restaurants an. Auch die Spracherkennung von Adressen ist viel besser geworden. Man kann die gesamte Adresse in einem durchsagen und das Auto erkennt diese.

Bei all diesen Infotainment-Angeboten im Auto stellt sich die Frage, ob es dabei auch Werbeeinschaltungen wird?
In Europa ist diese App nicht verfügbar, aber in den US-Modellen von Ford gibt es eine App, die Coupons und Rabatten von nahegelegenen Geschäften und Restaurants anzeigt.

Was ist von V2V-Kommunikation – also der Kommunikation von Fahrzeug zu Fahrzeug zu erwarten?
Das ist sehr interessant. Nicht nur Ford, sondern die ganze Industrie ist davon überzeugt, dass das sehr viele Vorteile in Bezug auf Sicherheit, Verkehrsfluss und indirekt dann auch auf Treibstoffverbrauch mit sich bringt. Derzeit entwickelt die Industrie gerade Pläne, wie man diese Systeme ins Auto reinbekommt, in welchem Zeitrahmen das passieren soll und so weiter. In den USA werden diese Systeme demnächst verpflichtend sein. Das gibt auch Hoffnung für Europa, dass es bald in diese Richtung gehen wird.

Durch die Augen der Sensoren des Forschungsfahrzeugs

Soll die Kommunikation zwischen Fahrzeugen über den Mobilfunk organisiert werden, oder soll dies über Funksysteme, ähnlich dem WLAN, geschehen?
Die bevorzugte technische Lösung ist DSRC (Dedicated Short Range Communication). Das ist eine Art WLAN-Verbindung zwischen den Autos im Radius von ungefähr 300 Metern. Diese Abdeckung reicht eigentlich aus, um alle Autos, die eine mögliche Gefahr sein könnten zu erkennen. Die Einschränkung auf 300 Metern hat natürlich den Vorteil, dass die Menge an Informationen, die man erhält auf ein bewältigbares Maß reduziert wird. Das Auto soll ja auch in der Lage sein in weniger als einer Sekunde die Situationen zu analysieren und die Fahrzeuge zu erkennen, die eine mögliche Gefahr darstellen. Es können ja die 300 Meter schon kritisch werden. Zum Beispiel bei Stau in beide Richtungen auf einer vierspurigen Autobahn wäre es theoretisch möglich, dass das Auto Informationen von ungefähr 5000 Fahrzeugen verarbeiten müsste. Deswegen passt sich die Funkfrequenz auch an die Geschwindigkeit an. So ist der Funkradius bei einer Fahrgeschwindigkeit von 10 km/h geringer als bei höheren Geschwindigkeiten.

Was konkret haben die Konsumenten davon?
Würden wir diese Systeme jetzt in ein Auto einbauen, hätte niemand etwas davon, da es zu wenige Fahrzeuge mit derartigen Kommunikationsmöglichkeiten gibt.

Wie mit dem Internet, wenn nur eine paar Computer miteinander vernetzt wären?
Ja genau. Aber künftig könnten wir sehr viele Assistenzsysteme, die derzeit mit Sensoren funktionieren auch mit V2V-Kommunikation machen. Das wird aber nur funktionieren, wenn etwa 80 Prozent der Fahrzeuge mit diesen Kommunikationsmöglichkeiten ausgestattet sind. Wenn wir soweit kommen, könnten wir zum Beispiel das Fahren mit Tempomat neu organisieren: Die Autos kommunizieren, wissen, was die anderen machen und können so genügend Abstand halten. Man könnte auch die Notbremssysteme damit ansteuern, wenn zum Beispiel jemand ein Stoppschild übersieht. Man könnte auch Warnungen bei Überholmanövern auf Landstraßen anzeigen, wenn etwa hinter einer uneinsehbaren Kurve Gegenverkehr kommt.

So sieht das Forschungsfahrzeug seine Umwelt

Die Aussage des Ford Marketing-Chefs Jim Farley auf der diesjährigen CES, wonach Ford durch die Navigationsgeräte wisse, wer wann und wo das Gesetz bricht, hat ja große Wellen geschlagen …
… was er gesagt hat, stimmt überhaupt nicht. Es ist sehr wohl eine riesige Datenmenge verfügbar. Diese wird aber nicht abgespeichert. Bei V2V-Kommunikation beispielsweise, wenn ein Auto aussendet, es fährt mit einer bestimmten Geschwindigkeit in diese und jene Richtung, dann wird zwar ein Identifier mitgesendet, aber es werden keine Daten mitgeschickt, die die Registrierungsnummer oder den Fahrer identifizieren könnten. Außerdem werden diese Daten ja auch nicht abgespeichert. Das funktioniert komplett anonym. Was natürlich schon möglich ist – das wird aber auf Wunsch der Kunden selbst sein – ist die Möglichkeit, die persönlichen Fahrdaten Versicherungsgesellschaften zur Verfügung zu stellen, um Rabatte zu bekommen. Das sind aber Sachen, die nicht wir als Ford verkaufen, sondern das entscheiden die Kunden selber.

Aber durch die Vernetzung entstehen schon auch Risiken für Privatsphäre und Datenschutz.
Ja, aber die Autos machen das nicht schlimmer. Jeder Autofahrer hat ja auch sein Smartphone dabei

Alle Neuigkeiten und Hintergrundberichte vom Mobile World Congress.

Disclaimer: Redakteure der futurezone berichteten vom Mobile World Congress in Barcelona. Die Reisekosten wurden von der futurezone GmbH selbst sowie von Ford, Huawei, Samsung, Sony und T-Mobile übernommen.

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Florian Christof

FlorianChristof

Großteils bin ich mit Produkttests beschäftigt - Smartphones, Elektroautos, Kopfhörer und alles was mit Strom betrieben wird.

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