"Wir stehen im goldenen Zeitalter des Journalismus"
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Sie sind für viele in der Medienbranche ein Feindbild. Wie gehen Sie damit um?
Ich hoffe, dass jeder, der solche Gefühle mir gegenüber hegt, sich ernsthaft mit der Huffington Post beschäftigt. Wir sind eine Plattform, auf der bekannte und unbekannte Menschen, die etwas Interessantes zu sagen haben, sich ausdrücken können; Und das bei einem Unternehmen, das den Pulitzer-Preis erhalten hat (2012 erhielt die Huffington Post als erste kommerzielle Onlinezeitung einen Pulitzer-Preis, Anm.) und bei dem investigative Reporter über die ganze Welt verstreut arbeiten.
Wie fühlen Sie sich als geborene Europäerin, doch für eine große Revolution im Medienbusiness verantwortlich zu sein, die von den USA ausgeht?
Ich bin extrem dankbar, dass ich die Huffington Post in den USA zuerst starten konnte und nun in andere Staaten der Welt bringen kann – und jetzt sogar nach Griechenland, wo wir im November starten. Für mich ist das das ultimative Nach-Hause-Kommen. Nicht nur, weil ich dort geboren wurde, sondern weil es eine griechische Tradition ist, Menschen zusammenzubringen und gemeinsame Unterhaltungen zu fördern.
Wie definieren Sie Qualitätsjournalismus?
Wir glauben, dass Qualitätsjournalismus das Geschichtenerzählen, also das Storytelling, als Qualitätsinstrument verwendet – Statistiken werden mit Fleisch und Blut aufgefettet, man tröstet die Gequälten und quält das Angenehme und verhindert, dass alles Schwarz-Weiß- bzw. Rechts-Links gesehen wird. Unsere Reporter sind immer besessen davon, fesselnde Geschichten zu erzählen. Sie beißen sich an Stories fest und bleiben dran, während sich andere Medien schon längst mit anderen Themen befassen.
Wie kontrolliert Huffington Post, dass die veröffentlichten Stories wirklich dem Standard des Qualitätsjournalismus entsprechen?
So wie das jede andere Nachrichten-Organisation auch tut. Die Arbeit machen hunderte Journalisten rund um die Welt. Wir haben uns zu Qualitätsjournalisms verpflichtet, zum tief-investigativen Journalismus, und wir befassen uns mit der Thematik der Studentenkredite, dem verlorenen Krieg gegen Drogen, Klimawandel und mit Ungleichheiten quer durch alle Bereiche.
Kann man Ihren Qualitätsjournalismus überhaupt finanzieren?
Natürlich. Ein Beispiel: Als Jeff Bezos die Washington Post vor einem Jahr gekauft hat, wurde das Beste der traditionellen Medienbranche mit dem grenzenlosen Potenzial digitaler Medien verbunden. Das bringt gewaltige Möglichkeiten. Und endlich geht die Diskussion weg von der Zukunft der Medien zur Zukunft des Journalismus – in welcher Form auch immer der geliefert wird. Trotz all der düsteren Nachrichtenlage zum Zeitungssterben, wir stehen praktisch mitten in goldenen Zeiten des Journalismus. Es gibt keinen Mangel an großartigem Journalismus und es gibt keinen Mangel an Menschen, die an Journalismus interessiert und nach guten Artikeln hungrig sind. Jetzt werden eben einige verschiedene Modelle versucht, wie man das Alte mit dem Neuen verbinden kann.
Wie viele Zeitungen/Medienhäuser werden überleben?
Einen Nachruf auf Zeitungen zu halten, ist verfrüht. Es gibt viele Zeitungen, die es schaffen, sich an die neue Situation, an die neue Umgebung anzupassen. Es gibt noch so etwas wie eine kollektive DNA, vor allem bei jenen, die vor der Erfindung des Internet auf die Welt gekommen sind. Sie wollen eine Tasse Kaffee schlürfen, in einer Zeitung blättern und beim Lesen eines Artikels mit den Worten „Kannst du das glauben?“ aufschauen und die Zeitung dem Gegenüber reichen.
Also sehen Sie die Zukunft von Zeitungen gar nicht schwarz?
Es wird einen Platz für Zeitungen geben. Es gab zwar eine Debatte in den vergangenen Jahren, ob Zeitungen überleben werden und ob alles nur noch online konsumiert wird. Aber wir erkennen nun, dass reine Online-Medien, wie die Huffington Post eine ist, die traditionelle Charakterisika übernehmen kann, mit all seinen journalistischen Grundsätzen: Präzision, Fairness, Recherche und Faktencheck. Und die Traditionshäuser unter den Medien, wie etwa die New York Times oder das NPR (National Public Radio), nutzen immer mehr diese digitalen Tools, um die Gesellschaft am Entstehen von Journalismus teilhaben zu lassen; durch Bürgerjournalismus, mit Hilfe von Reportagen aus der Masse und von dort, wo es passiert; mit Hilfe von Videos, Twitter-Nachrichten und all den medialen Möglichkeiten, die es gibt.
Glauben Sie wirklich, dass normale Leser in die Rolle eines Journalisten schlüpfen können und das journalistische Handwerk – Recherchieren, Bewerten und Schreiben – beherrschen können?
Auf unserer Plattform gibt es viele Möglichkeiten, sich auszudrücken. Wir sehen so viele traditionelle Medienhäuser, die diese Gemeinschafts-bildenden Werkzeuge verwenden, um Menschen einzuladen, damit man ihre Stimme hört. Die meisten unserer Blogger sind zwar keine professionellen Schreiber, aber sie kommen aus den verschiedensten Gesellschaftsschichten. Von Amtsträgern über Studenten, Aktivisten, Unterhalter etc. Und was noch wichtiger ist: Sie dürfen nicht nur schreiben, was sie wollen, sie können schreiben so oft und so viel sie wollen. Letztlich bloggen sie auf Huffington Post aus den gleichen Gründen, wie man ins Fernsehen geht, weil sie von ihren Themen, Ideen, Büchern oder Filmen überzeugt sind. Sie wollen von einer breiten Masse gehört werden und wissen, was es bringt, gesehen, beachtet und gelesen zu werden.
Wie wird ein gutes Medienhaus in Zukunft funktionieren?
Abgesehen davon, dass es anpassungsfähig sein muss, müssen sich alle Medienunternehmen dem „Innovators Dilemma“ stellen. Sogar sehr erfolgreiche Firmen mit sehr fähigen Mitarbeitern scheitern, weil sie zu sehr in Strategien verharren, die sie einst ganz nach oben gebracht haben. Genau das macht sie verwundbar und unflexibel. Sie versäumen große Möglichkeiten, weil sie unwillig sind, ihr eigenes Spiel zu unterbrechen.
Welche Fehler machen Ihrer Meinung nach die Medienhäuser rund um den Globus? In Österreich glauben traditionelle Zeitungshäuser ja nach wie vor, dass sie die Print-Auflagen steigern können, obwohl sie seit Jahren fallen.
Der größte Fehler ist, sich nicht an diese neuen Umstände anzupassen und sich das Faktum wegzuwünschen, dass da gerade Medienkonvergenz passiert und dass dieses Lagerdenken „alte Medien/neue Medien" nicht mehr zeitgemäß ist und beide Welten gerade miteinander verschmelzen
Es gibt ja – auch in Österreich – nach wie vor auch den Glauben, dass Online-Journalisten keine echten Journalisten sind. Vor allem viele Print-Kollegen, Journalisten von Radio- und TV-Stationen sind der Meinung, dass Online-Journalisten ja nur "Schreiberlinge" sind.
Das ist nicht nur in Österreich so, das haben wir im Zuge unserer Expansion auch festgestellt. Mittlerweile gibt es elf Huffington-Post-Ausgaben um den Globus, fast die Hälfte unserer Zugriffe kommen von außerhalb der USA. Ich bin überzeugt, dass wir ein Beispiel dafür sein können, dieses dickköpfige Festhalten an dieser Einstellung aufzubrechen. In den USA und rund um den Globus wird dieses Denken immer weniger.
Welche Zeitungen und Nachrichtenquellen nutzen Sie?
Ich habe verschiedene Zeitungs- und Magazin-Abos, darunter die New York Times, das Wall Street Journal oder die New Republic. Ich versuche immer so viele Zeitungen und Nachrichtenquellen wie nur irgendwie möglich zu lesen – vor allem dann, wenn ich reise.
Wie wichtig ist Social Media in der heutigen und zukünftigen Nachrichtenwelt?
Das explosive Wachstum von Social Media ändert fundamental unsere Beziehung zu Nachrichten, die nicht mehr passiv wahrgenommen werden. Heute befassen wir uns mit Nachrichten, reagieren auf sie und teilen sie. Wir leben nun in einem goldenen Zeitalter des Engagements, des sich Beschäftigen mit Nachrichten. Für Konsumenten, die im Web surfen, die Suchmaschinen nutzen und daher einen Zugang zu den besten Artikeln rund um den Globus haben und die auch noch dazu fähig sind, zu kommentieren, zu interagieren und Gemeinschaften zu bilden. Das ist eigentlich das Kernstück, das der Huffington Post zugrunde liegt.
Was sind Ihre Hobbies?
Ich beginne jeden Tag mit 20 bis 30 Minuten Meditation und turne so oft ich kann. Am liebsten gehe ich wandern mit Freunden. Und wir haben uns ausgemacht, dass der, der die meiste Energie verspürt, Geschichten erzählen muss. Die anderen reden dann beim Abstieg. Anders formuliert: Ich bin bekannt als ziemlich gute Erzählerin beim Abstieg.
Die CTO von Cisco, Padma Warrior, hat mir im vergangenen Jahr gesagt, dass sie einmal pro Woche digitale Entgiftung praktiziert und offline geht. Wie macht das eine durch und durch digitale Arianna Huffington?
Offline zu gehen bedeutet, das Gehirn und die Seele zu rebooten. Menschen profitieren davon, wenn sie sich regelmäßig von ihren Bildschirmen und Geräten verabschieden – sei es für eine Woche, einen Tag oder nur ein paar Minuten. Ich empfehle, in der Nacht offline zu gehen und vor allem Geräte nicht im Schlafzimmer zu haben. Sich aus der digitalen Welt auszuklinken hilft, sich mit Weisheit, Intuition und Kreativität aufzuladen. Und einen Tipp für den Morgen: Wenn man in der Früh aufwacht, sollte man nicht gleich auf sein Smartphone schauen, sondern sollte sich eine Minute Zeit nehmen – für ein tiefes Einatmen, ein Dankbarsein und um sich auf den Tag einzustimmen.
Arianna Huffington wurde 1950 in Athen geboren, studierte in Cambridge und zog in den 80er-Jahren nach New York, wo sie als Buchautorin tätig war. 1986 heiratete sie den Filmproduzenten und Öl-Millionär Michael Huffington, von dem sie sich 1997 trennte.
2005 gründete sie die Huffington Post, die 2011 an AOL verkauft wurde. 2006 stand Arianna Huffington auf der Time-Liste der 100 einflussreichsten Personen und ist Präsidentin der Huffington Post Media Group. Heute, 23. September 2014, ist Huffington beim „future.talk“ der Telekom Austria in Wien zu Gast.
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