Digital Life

"Berufe werden verändert, nicht abgeschafft"

"Die Zukunft der Wirtschaft ist digital - Ist Österreich schon bereit dafür?" lautete der Titel einer Diskussion im Wiener Tech Gate am Donnerstag. Wenngleich österreichische Unternehmen seit vielen Jahren zeigen, dass sie in der digitalen Wirtschaft sehr gut zurecht kommen, so gibt es doch Verbesserungsbedarf. Deshalb diskutierten Experten aus Wirtschaft und Wissenschaft über die Lage der Nation in Zeiten der "vierten industriellen Revolution".

Unter Zuhilfenahme der am öftesten verwendeten Phrasen lässt sich folgendes Fazit ziehen: Der gegenwärtige "gesellschaftliche Wandel" sei eine "große Herausforderung", zu deren Bewältigung es einer "breiten Diskussion" bedarf, man solle aber die relativ "gute Ausgangslage" Österreichs bedenken und generell sei "mehr Optimismus notwendig". Daneben gab es aber doch auch interessantere Erkenntnisse.

Förderung und Erleichterung

Staatssekretärin Sonja Steßl beschrieb in ihrer Keynote etwa das Regierungsprojekt "Digital Roadmap", das viele Teilstrategien zusammenführen solle. Um optimale Voraussetzungen für heimische Unternehmen in der Digitalwirtschaft zu schaffen, werde in den kommenden Jahren die Breitbandverbreitung stark vorangetrieben.

Die Regierung bekennt sich zu großzügigen Investitionen gegen die aktuelle Konjunkturschwäche und will den Bildungsbereich reformieren. Die derzeitige Lage der Nation in digitalen Angelegenheiten sei etwas über dem europäischen Durchschnitt. Freilich müsse man auf die führenden Nationen aufholen, man solle sich aber die Standortvorteile Österreichs vor Augen führen, unter anderem den strengen Datenschutz und die soziale Stabilität. Steßl ist aber auch der Bedarf nach Bürokratieabbau bewusst: "Die Verwaltung wird oft als alt und versteinert empfunden." Die Regierung bemühe sich daher, künftig sämtliche Behördenwege elektronisch durchführbar zu machen und Datenbestände für die freie Verwendung zu öffnen.

Unberechtigte Ängste

Philosophie- und Wissenschaftstheorie-Professor Klaus Mainzer von der TU München beschrieb, was die Digitalwirtschaft in näherer Zukunft beschäftigen wird: Das Internet der Dinge, die Verarbeitung von Datenmassen (Big Data), intelligente Stromnetze (Smart Grids) oder die Vernetzung von Fahrzeugen und Straßeninfrastruktur (V2X). "Das ist eine Welt, die viele ängstigt", diagnostiziert Mainzer. "Viele fragen sich: Wo bleibt der Mensch?"

Vor allem die Angst vor Arbeitsplatzverlust beschäftige die Gesellschaft. Dabei sei diese Angst ganz unbegründet: "Wer sich in der Technik auskennt, weiß, dass vollautomatische Unternehmen ein Ammenmärchen sind." Die Digitale Wirtschaft fordere adäquate Ausbildungssysteme. "Berufe werden aber nur verändert, nicht abgeschafft."

Rene Heinzl stimmt dem Professor zu. Heinzl betreibt das Start-up books&docs 421. "Es gibt unglaublich viele Berufe, für die es noch gar keine Ausbildung gibt." Die Start-up-Kultur sei wichtig. Sie beflügle die Wirtschaft und inspiriere alteingesessene Unternehmen.

Bei der Diskussionsveranstaltung "Talk Gate" im Tech Gate Wien wurde über die Zukunft Österreichs in der digitalen Wirtschaft gesprochen

Regulieren vs. Investieren

Angesprochen auf die Rolle leistungsfähiger Datennetze meint Jan Trionow, Geschäftsführer von Hutchison Drei Austria: "Man muss immer am Ball bleiben." In Österreich gebe es noch einigen Aufholbedarf, etwa bei der Überbrückung der Stadt-Land-Kluft: "In den Statistiken sehen wir nicht gut aus." Neben dem Staat müsse auch die Privatwirtschaft in den Breitbandausbau investieren. Das sei aber nur möglich, "wenn Geld vorhanden ist".

Trionow beklagt hier die vielfältigen Belastungen der Telekombranche. Die hohen Kosten der LTE-Frequenzauktion sowie das Drängen der Musikindustrie auf die Festplattenabgabe seien Beispiele dafür. Außerdem sei Österreich "das einzige Land außer Griechenland, in dem es verpflichtende Papierrechnungen gibt."

Bildung mit neuen Mitteln

Christiane Noll von Microsoft Österreich betont, wie wichtig es sei, in Ausbildung und Weiterbildung zu investieren: "Wir sollten damit im Kindergarten anfangen." Neue Technik könnte hier helfen, etwa Microsofts Virtual-Reality-Brille HoloLens: "Man kann damit völlig anders als bisher lernen." Damit in Zukunft nicht sämltiche Wertschöpfung in der IT-Entwicklung im Silicon Valley stattfinde, sei es zudem wichtig, heimische Start-ups zu unterstützen und ihnen beste Voraussetzungen zu bieten.

Mehr bargeldloses Bezahlen

Die Voraussetzungen für bargeldloses Bezahlen sind laut Gerald Gruber, Chef der Österreich-Niederlassung von MasterCard Europe, hierzulande mangelhaft. "In anderen Ländern gibt es mehr Commitment zu bargeldlosem Zahlen. Bargeld verträgt sich nicht mit dem Internet der Dinge."

Auch einen Seitenhieb in Richtung Regierung kann sich Gruber nicht verkneifen: "Da gibt's einen Kollegen der Frau Steßl, der sich Start-ups ansieht und dann sagt, er ist der Verteidiger des Bargelds." Die Anspielung galt wohl Finanzminister Jörg Schelling. Auf die Frage, ob es in Zukunft einen gläsernen Finanzmensch gebe, meint Gruber: "Die Daten sind im Kaufprozess an verschiedene Stellen verteilt. Die Privatsphäre ist gegeben."

Privatsphäre schützen

Michael Rohregger, der Vizepräsident der Rechtsanwaltskammer Wien, sieht sehr wohl eine Gefahr für die Privatsphäre der Bürger. Zur Veranschaulichung bringt er ein Beispiel von einem Seifenspender auf der Toilette, der seinen Füllstand übermittelt: "Daran kann man erkennen, wie gut das Reinigungspersonal arbeitet." Rohregger hält so einen Fall für heikel. "Das ist im gewissen Sinne Überwachung." Versicherungen würden sich künftig um Daten von Onlinehändlern bemühen, etwa um zu sehen, ob Menschen Bücher über bestimmte Krankheiten suchen. "Wie reagiert der Gesetzgeber auf so etwas?", sei die große Frage, die sich daraus ergebe.

Beim Thema Überwachung und Spionage - etwa durch US-Geheimdienste - sind die Diskussionsteilnehmer unterschiedlicher Meinung. Microsoft-Vertreterin Noll plädiert etwa auf die Eigenverantwortung der Menschen bei der Internet-Nutzung. "Man muss zur Kenntnis nehmen, dass in den USA andere Standards als in Europa existieren", meint Wissenschaftler Mainzer. "Für uns kann das einen Standortvorteil bedeuten."

Drei-Chef Trionow wiederum befürchtet eine Innovationsbremse: "Wir dürfen nicht die Besten beim Vorschieben von Riegeln sein." Jurist Rohregger kontert: "Alles, was nicht aus bestimmten Gründen verboten ist, darf ich". Das Gesetz achte darauf, den Innovationstrieb nicht zu behindern. Das aktuell größte Problem zwischen digitaler Wirtschaft und Recht sei ein anderes: "Rechtsordnungen denken in nationalen Grenzen. Im Internet sind sie deshalb zahnlos."

Klicken Sie hier für die Newsletteranmeldung

Hat dir der Artikel gefallen? Jetzt teilen!

David Kotrba

Ich beschäftige mich großteils mit den Themen Energie, Mobilität und Klimaschutz. Hie und da geht es aber auch in eine ganz andere Richtung.

mehr lesen