Billa: "Traurig, wenn Filialen nur noch Abholstationen sind"
Seit dem ersten Lockdown ist die Zahl der Onlinebestellungen bei Billa um 80 Prozent gestiegen. Dieser Trend hält an. Verantwortlich dafür, dass mit dem Lebensmittel-Online-Shopping alles klappt, ist Julia Stone, Digital-Chefin von Billa.
futurezone: Was ist der große Trend beim Lebensmittel-Online-Shopping, in welche Richtung geht es?
Julia Stone: Grundsätzlich geht es darum sicherzustellen, dass unsere Kunden zu Lebensmitteln kommen. Früher hieß das zu ermöglichen, dass der Kunde zur Ware geht. Jetzt muss man Möglichkeiten schaffen, damit die Ware zum Kunden gehen kann. Dabei soll der Kunde flexibel entscheiden können, wie er zu seinem Einkauf kommt, mit stationärem Handel, Click & Collect oder Zustellung.
Wird Click & Collect, also das Abholen der Ware nach dem Online-Bestellen, damit man nicht durch die Filiale muss, gut angenommen?
Vor 2 bis 3 Jahren ist es eher langsam angelaufen. Seit eineinhalb Jahren, vor allem durch die Pandemie, geht es durch die Decke. Wir expandieren das Service deshalb stark. Ende 2019 waren es 100 Filialen mit Click & Collect. Jetzt sind es 600, was jede zweite Billa-Filiale ist.
Sind Sie als Digital-Chefin im Unternehmen die Feindin des klassischen Supermarkt-Konzepts? Je effizienter der Online-Shop, desto weniger Kunden werden in der Filiale zu Lockangeboten geführt – sie bestellen nur noch das, was sie wirklich brauchen.
Das eine ersetzt das andere nicht. Es ist die Kombination aus Filiale und Online-Shop, durch die der E-Commerce floriert. In der Filiale liegt der durchschnittliche Warenkorb bei unter 20 Euro. Online sind es 85 Euro. Der Vorratseinkauf der online passiert, ist ein anderer Use-Case, als in der Filiale. Wir haben teilweise Online-Warenkörbe mit 300 bis 500 Euro. Deshalb wollen wir alle Möglichkeiten anbieten: Der Kunde entscheidet wo er einkauft und ich will sicherstellen, dass er sich am Ende des Tages für Billa entscheidet.
Was sich aber ändern wird, ist die Rolle der Filiale. Daran arbeiten wir permanent: Was ist die Zukunft des stationären Einkaufs? Was bedeutet es, in eine Filiale zu gehen? Auch als Digital-Chefin glaube ich nicht, dass die Menschen in den Filialen ersetzt werden. Digitalisierung soll Kapazitäten schaffen, um den Mensch wieder in den Vordergrund zu stellen, etwa um Kunden in der Filiale beraten zu können. Ich hoffe auch, dass wir zukünftig mehr Platz für Beratung oder Vorführungen in den Filialen haben, wenn mehr Kunden die Waren mit Click & Collect vorbereiten lassen und nur noch abholen.
Dass manche Filialen zu reinen Versandlagern oder Abholstationen werden, ist also unrealistisch?
Digitalisierung heißt nicht, dass wir entmenschlichen. Das kann und darf nicht die Zukunft sein. Es wäre sehr schade und auch traurig, wenn wir wirklich in diese Richtung gehen, dass Filialen nur noch Abholstationen mit Bildschirmen sind. Ja, es wird im Portfolio-Mix so etwas geben, wo ich nicht abhängig bin, ob mir jemand die Tür aufsperrt und ich nur schnell reingehe um etwas zu holen. Aber dass es Filialen, wie wir sie heute kennen, nicht mehr gibt, sondern nur noch Selbstbedienungsläden ohne Personal, daran glaube ich nicht.
Welche digitalen Lösungen können das Einkaufen im Supermarkt angenehmer machen?
Zum Beispiel die Billa-App, in der Bons und die Kundenkarte gespeichert und Aktionen gelistet sind. Wir sehen auch, dass die Kunden den Online-Shop der App nutzen, um sich quasi ihre Einkaufsliste zu machen, die sie dann in der Filiale Punkt für Punkt abhaken. Zudem wollen wir passive Wartezeiten minimieren. Dazu haben wir Ende 2019 Scan & Go gestartet. Wenn ich zB. zu Mittag vor dem Billa stehe und mich frage: „Will ich mich wirklich bei der Kassa anstellen nur wegen der Wurstsemmel?“, kann ich die Semmel holen, sie mit der App einscannen und direkt mit dem Smartphone bezahlen. Ich kann die Filiale verlassen und die Mittagspause genießen. Das System ist eine Alternative zur weiterhin bestehenden Sitzkassa.
Seit dem Start Ende 2019 in der Filiale in Wien beim Europlaza hat sich aber nicht viel getan mit Scan & Go.
Wir haben das Projekt wegen Corona gezielt pausiert, es gab andere Prioritäten. In diesem Jahr werden wir das System aber auch in anderen Filialen testen.
Welche Filialen werden das sein?
Wir sind gerade am Evaluieren und werden in Tranchen starten. Eine Tranche wird 10 bis 20 Filialen groß sein, der Start ist für das zweite Quartal geplant. Wir wollen das System an verschiedenen Orten testen. Die Filiale beim Europlaza ist etwa sehr von Kunden geprägt, die in den umgebenden Büros arbeiten.
Weil Sie das Beispiel mit der Wurstsemmel genannt haben: Gerade hier entsteht Wartezeit, beim Anstehen bei der Frischetheke in der Mittagspause. Könnte man das nicht auch per App lösen?
Wir haben das tatsächlich auf unserem Skizzenbrett. Es ist aber noch nicht spruchreif. Wir schauen uns an, wie alle passiven Wartezeiten verkürzt werden können, wollen aber auch Wege finden Kunden aktiv zu inspirieren, etwa wenn die Filiale gerade etwas hat, was meinem Lifestyle entspricht. Ein erster Schritt dazu ist, dass der Online-Shop anzeigt, ob ausgewählte Produkte in meiner Stammfiliale erhältlich sind. Das Ziel ist das Offline-Erlebnis digital zu bereichern, ohne, dass es einem im Weg steht.
Wie sieht es mit dem Thema Indoor-Navigation aus? Mit den früheren Merkur-Filialen hat Billa jetzt zusätzlich sehr große Geschäfte bekommen, durch die Kunden auf der Suche nach Produkten irren werden.
Indoor-Navigation ist nicht auf der Prioritätenliste. Wenn von den Kunden wirklich der Bedarf dafür da ist, werden wir es uns anschauen.
Wird sich durch den Wandel von Merkur zu Billa Plus etwas beim Digitalangebot von Billa ändern?
Wir haben schon beim Billa Online-Shop in Wien zusätzlich ausgewählte Waren aufgenommen, die den Kunden wichtig sind und vorher nur beim Merkur erhältlich waren. Grundsätzlich wird sich nichts ändern, außer, dass wir am Sortiment arbeiten und später auch bei Billa-Plus-Filialen Click & Collect anbieten werden.
Wie rüstet Billa sich gegen neue Konkurrenten wie gurkerl.at und Amazon Fresh, falls das in Österreich startet?
Ich glaube nicht, dass wir uns rüsten müssen. Dass sich der Markt bewegt zeigt uns, dass wir vor Jahren die richtige Entscheidung getroffen haben, in Lebensmittel-Onlinebestellung zu investieren. Lebensmittel online bestellen ist die Königsdisziplin des E-Commerce, mit allem was dazu gehört, wie Frische und Kühlkette.
Wir beobachten den Markt: Wohin geht der Trend, was möchte der Kunde? Gerade durch das vergangene Jahr hat sich viel verändert. Die Kunden sind viel offener dem Thema gegenüber, als sie es noch vor 3 Jahren waren. Wir orientieren uns also nicht an gurkerl.at oder Amazon sondern daran, welche Ansprüche der Kunde hat.
Und welche Ansprüche hat der Kunde?
Er will online bestellen. Er will die Flexibilität haben abzuholen oder zum Wunschtermin zustellen zu lassen. Dem Kunden ist auch Regionalität sehr wichtig, was wir etwa mit dem Regional-Regal in den Filialen anbieten. Und da bedienen wir uns als E-Commerce auch. In Zukunft wird es wichtig sein, das Portfolio zu erweitern, nachzuschärfen und auf den Kunden zu hören.
Ist die nächste logische Entwicklung, dass die jö-App zu einer „One Stop Shop”-App wird, in der Kunden bei Billa, Bipa usw. gesammelt bestellen können, statt über die einzelnen Apps?
Jö ist ein Multi-Partnerprogramm, das nicht nur Unternehmen des REWE-Konzerns umfasst. Ein Mega-Marktplatz ist nicht geplant.
Da die Jö-App so stark beworben wurde: Wissen die Kunden überhaupt, dass es eine Billa-App gibt? Oder gehen diese prinzipiell mit der Jö-App zum Billa einkaufen?
Das müssen Sie die Kunden fragen. In der Jö-App finde ich den Billa-Online-Shop nicht und die Scan & Go-Funktion wird später auch nur in der Billa-App zu finden sein. Es gibt eine Differenzierung und die Apps werden sich zukünftig noch mehr differenzieren. Die Billa-App ist für uns ein zentrales Tool. Wir müssen natürlich schauen, dass wir die Services so ausbauen, dass die Billa-App relevanter für die Kunden wird.
Zahlen & Fakten
Seit dem ersten Lockdown wird der Billa Online-Shop um 80 Prozent häufiger genutzt, als im Jahr 2019
Das Sortiment umfasst aktuell 9.000 Produkte
Generell bestellen Kunden häufiger am Abend, durch das Homeoffice haben sich die Bestellungen durchgehend über den ganzen Tag verteilt
Täglich bestellen einige Tausend Kunden (im einstelligen Tausenderbereich). Tendenz: Stetig wachsend, auch durch Click & Collect
Kunden bestellen durchschnittlich 2 bis 3-mal pro Monat
50 Prozent des Warenkorbs sind Frischeprodukte, wie Fleisch, Obst, Gemüse und Milchprodukte
Welches Produkt wurde seit der Pandemie öfters als zuvor online bestellt?
Zu Beginn waren es hauptsächlich Nudeln, Konserven und Toilettenpapier. Danach wurde es wieder normal. Wir haben beim Online-Shop 50 Prozent Frischeanteil, also etwa Fleisch, Brot, Obst, Gemüse und Milchprodukte. Getränke sind auch sehr stark gefragt: Also alles, was man schleppen müsste.
Bei Obst und Gemüse sollte man meinen, dass die Kunden skeptisch beim Online-Shopping sind. Man kann die Avocado nicht drücken, sieht die Bananen nicht und kann nicht an der Ananas riechen.
Wir hatten dasselbe vermutet. Wir achten natürlich darauf, dass bei Onlinebestellungen nur Ware verschickt wird, die einen bestimmten Reifegrad hat und dass sie auch beim Kunden gut ankommt. Die Mitarbeiter, die die Waren in den Filialen holen, werden auch entsprechend geschult. Beschwerden, dass die gelieferte Frischware schlecht ist oder weggeschmissen wurde, bekommen wir nicht. Dafür aber Anmerkungen bei der Bestellung, dass manche Kunden lieber grüne Bananen hätten und andere richtig gelbe.
Könnte das zukünftig mehr digitalisiert werden, etwa mit einer Webcam, die das Obst filmt? Jeder Kunde könnte das auswählen, was er in der App sieht.
Wir haben schon überlegt mit Bilderkennung zu arbeiten, um die Frische zu messen. Eine Live-Übertragung aus der Filiale klingt spannend, ist aber sehr schwierig umzusetzen, da man ja auch Laufkundschaft hat, die dann zB. vor der Ware steht. Der Kunde muss ein Grundvertrauen haben, dass wir ihm liefern, was gut ist und für ihn passt. Auf das haben wir hin gearbeitet und das haben wir jetzt erreicht.