"Die Schallplatte wird die CD überleben"
"Vinyl ist unvergleichlich", sagt Doris Schartmüller, die gemeinsam mit ihrem Mann Werner seit fast 25 Jahren das Rave up im sechsten Wiener Gemeindebezirk betreibt. "Der Sound ist besser, es gibt wunderbare Cover. Man hat Geschichte in der Hand." Auch Konstantin Drobil vom Wiener Plattenladen Substance schwärmt von den Qualtiäten der Vinyl-Scheiben. Man könne Platten, die 40 Jahre oder älter seien noch immer hören. Bei CDs sei dies nicht der Fall, denn die würden nach häufigem Abspielen anfangen zu springen. "Platten knistern vielleicht nach ein Paar Jahren vielleicht ein bisschen. Sie haben aber einen besonderen Sound", meint Drobil, der auch das Label und Vertriebsunternehmen Trost leitet. Dass es Schallplatten noch geben wird, wenn CDs längst ausgemustert sind, ist für die Plattenhändler keine Frage: "Die Schallplatte wird die CD zu hundert Prozent überleben", sagt Schartmüller.
Boomende Nische
Vinyl-Enthusiasten haben allen Grund zum Welttag der Schallplatte zuversichtlich in die Zukunft zu blicken. Nachdem die Verkäufe der Vinylplatten nach der Einführung der CD in den 80er-Jahren rapide sanken und die Schallplatte von der Tonträgerindustrie bereits totgesagt wurden, verzeichnet das "schwarze Gold" seit der Jahrtausendwende als einziges physisches Tonträgerformat wieder beständige Zuwachsraten. In Großbritannien legten die Verkäufe zuletzt von Jänner bis Juli nach Angaben der Entertainment Retailers Association (ERA) um 55 Prozent zu. Für die USA wies das Marktforschungsunternehmen Nielsen Soundscan für das erste Halbjahr 2011 Zuwächse von 41 Prozent aus.
In Österreich betrug der Umsatz mit Vinyl-Produkten im vergangenen Jahr laut einem Marktbericht (PDF) des Musikwirtschaftsverbandes IFPI Austria eine Million Euro. Gegenüber dem Vorjahr war dies eine Steigerung von 20 Prozent. Der Anteil der schwarzen Scheiben am Gesamtmarkt ist mit einem halben Prozentpunkt aber bescheiden. Im Vergleich dazu wurden hierzulande mit CDs 2010 125 Millioen Euro umgesetzt. Die Erlöse am Online-Musikmarkt beliefen sich auf 21 Millionen. Vinylplatten sind zwar zum Nischenprodukt geschrumpft. Aber die Nische boomt.
"Wir verkaufen in Summe wieder mehr Platten", bestätigt Drobil Der CD- und DVD-Verkauf sei hingegen in den vergangenen Jahren weggebrochen. Auch Schartmüller zeigt sich mit dem Vinyl-Verkauf zufrieden: "Der Schallplattenverkauf läuft konstant gut". Aber nicht nur Spezialgeschäfte verzeichnen eine steigende Nachfrage an Vinyl-Produkten. Frank Kretzschmar von der Elektrohandelskette Saturn spricht von einem Vinyl-Revial: "Im Laufe des Jahres hat das Kundeinteresse bei Vinyl um über 70 Prozent zugelegt."
"Weicher und räumlicher Klang"
Auch Heinz Lichtenegger vom österreichischen Hersteller von Plattenspielern und Weltmarktführer Pro-Ject Audio Systems berichtet von leicht steigenden Verkäufen bei Plattenspielern in den vergangenen Jahren. "Vor allem qualitativ hochwertige Plattenspieler werden verstärkt nachgefragt", sagt Lichtenegger, dessen Unternehmen jährlich rund 50.000 Geräte produziert und in aller Welt verkauft. "Wir verzeichnen steigende Umsätze."
Als Gründe an dem Analogboom, der nach Europa laut Lichtenegger nun auch in den USA langsam ins Rollen kommen, nennt Lichtenegger den "natürlichen, weichen und räumlichen Klang" von Plattenspielern: "Das ist dem Digitalen fremd." Daneben werde das "stressfreie Hören" der schwarzen Scheiben zunehmend zur "Lifestyle-Option": "Es werden Alternativen zur Fast-Food-Welt gesucht."
Angebot gewachsen
Mit dem Interesse der Kunden ist in den vergangenen Jahren auch das Angebot an Vinyl-Scheiben gewachsen. Während im Indie-Bereich und bei bei elektronischen Musik das Angebot an Schallplatten auch durch die CD nicht gelitten hat, bieten nun auch große Musikkonzerne ihre Produktionen wieder häufiger auch auf Vinyl an. Auch viele Klassiker werden in Luxus-Ausgaben für Fans nachgepresst. "Das verkauft sich sehr gut", sagt Substance-Betreiber Drobil.
"Es gehört heute bei vielen Plattenfirmen zum guten Ton auch eine kleine Vinyl-Auflage bei neuen Produktionen zu machen", sagt Christian Matula, Geschäftsführer des Wiener CD-, DVD- und BluRay-Hersteller CSM Production, der seit mehr als zwei Jahren nach steigendem Kundenanfragen auch Schallplatten presst und herstellt. "Das kommt bei Fans gut an." Der Geschäftszweig habe sich seit der Aufnahme der Produktion gut entwickelt, lediglich in den vergangenen Monaten habe es eine Stagnation gegeben, sagt Matula: Den Anstieg bei den Verkaufszahlen will er nicht überbewerten. Bei Verkäufen von ein paar Tausend Stück ließen sich schnell Zuwachsraten von 50 Prozent und mehr erreichen.
Musikfans sind auch bereit für Schallplatten tiefer in die Tasche zu greifen. Die Preise für Schallplatten sind mit durchschnittlich knapp 20 Euro für Longplayer im Handel höher als jene für CDs. Downloads von neuen Alben werden bereits für knapp zehn Euro oder weniger angeboten. Die Verkaufspreise für Vinyl resultieren auch aus den höheren Herstellungskosten. Je nach Ausführung und produzierter Stückzahl ist die Produktion einer Schallplatte laut CSM-Geschäftsführer Matula bis zu drei Mal so teuer wie die Herstellung einer CD.
Reife Hörer
Schallplatten werden vor allem von älteren Semestern gekauft. "Wir haben viele Kunden, die mit uns gereift sind", sagt Schartmüller. Das Klischee, typische Schallplattenkäufer seien 35-jährige männliche Musikfans, will sie nicht uneingeschränkt bestätigen. Auch viele Jugendliche hätten wieder das Interesse an Schallplatten entdeckt, sagt sie. "Es sind leider viel zu wenige, die noch Platten kaufen", meint Substance-Betreiber Drobil. Der Großteil der Jugendlichen lade Musik nur noch aus dem Netz.
Die Umsatzeinbrüche der Tonträgerindustrie machen sich auch bei den Plattenläden bemerkbar. Für Drobil ist der Betrieb des Plattenladens eine "Liebhaberprojekt", der durch Import und Vertrieb von Schallplatten an andere Händler querfinanziert wird. Auch das Rave up verzeichnete in den vergangenen zehn Jahren Umsatzrückgänge, steuerte jedoch mit Suchservices, einer Abteilung für Raritäten und einem breitem Repertoire gegen. Seit einem Jahr wird auch ein Newsletter mit Plattenempfehlungen angeboten, sagt Schartmüller "Man muss sich immer wieder was einfallen lassen."
Dazu zählt etwa auch der "Record Store Day", der von den USA ausgehend seit einigen Jahren alljährlich am dritten Samstag im April begangen wird. Bands und Musiker veröffentlichen zu diesem Anlass spezielle Editionen, die bei Sammlern sehr begehrt sind. "Wir waren überrascht wie gut sich das ausgewirkt hat", heißt es aus dem Rave up. Bei Substance verzeichnete man heuer am "Record Store Day" einen Umsatzrekord. Der Welttag der Schallplatte ruft bei den Wiener Händlern kaum Interesse hervor. "Sonderaktionen planen wir nicht", sagt Drobil: "Wir feiern die Schallplatte jeden Tag."
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Welttag der Schallplatte
Vor 134 Jahren, am 12. August 1877, erfand Thomas Alva Edison den Phongraphen und legte damit den Grundstein für die Schallplatte. Seit 2002 feiern Vinyl-Enthusiasten an diesem Tag den Welttag der Schallplatte. Um die kulturellen Leistungen der Schallplatte, alte Aufnahmen und Cover-Kunst zu bewahren und um die Zukunft der schwarzen Scheiben zu fördern, wie es auf der Website zum Vinyl Record Day heißt. Alljährlich am dritten Samstag im April begehen Schallplattenhändler, Fans und Musiker auch den Record Store Day, um die "einzigartige Kultur" zu würdigen, die rund um Plattenläden entstanden ist. Zahlreiche Musiker veröffentlichen spezielle Editionen zum Record Store Day, die bei Sammlern sehr begehrt sind.