Digital Life

Fußball: Kameras entscheiden künftig über Abseits und Foul

Am Anfang, im Jahr 2009, stand die Empörung über eine Tor-Fehlentscheidung in der zweiten deutschen Liga. Dirk Broichhausen war darüber so erbost, dass er am nächsten Tag beim Mittagessen mit Kollegen die Idee eines kamerabasierten Torliniensystems entwickelte. Die daraufhin gegründete Firma GoalControl konnte sich schnell im Markt etablieren und bekam schließlich sogar den Zuspruch für die Fußball-WM 2014 in Brasilien.

Zuletzt entschied sich die französische Ligue 1 für das GoalControl-System, am Heimmarkt, in der deutschen Bundesliga hatte GoalControl hingegen gegenüber dem britischen Konkurrenten Hawk-Eye das Nachsehen. In Österreich ist man in puncto Torlinientechnik übrigens noch nicht so weit. Bevor in andere Sachen investiert wird, soll zunächst das Problem der verpflichtenden Rasenheizung gelöst werden, hieß es zuletzt bei den Verantwortlichen der österreichischen Bundesliga.

Ausgeklügeltes Kamerasystem

Jeweils sieben Kameras und die entsprechende Software sorgen beim GoalControl-System auf jeder Seite des Spielfelds dafür, dass menschliche Fehlentscheidungen bei Toren praktisch ausgeschlossen sind. Der Schiedsrichter hat theoretisch zwar das letzte Wort und könnte das System überstimmen. In der Praxis ist das – wie etwa auch beim WM-Spiel Frankreich gegen Honduras, als GoalControl auf Tor entschied – noch nie vorgekommen.

"Die Schiedsrichter sind von dem System sehr angetan, weil sie keine Tor-Entscheidung fällen müssen, die mit dem freien Auge oft einfach nicht gefällt werden kann. Sie können sich somit auch besser auf das Spiel und die Positionen der Spieler im Strafraum konzentrieren", erklärt GoalControl-Vorstand Björn Lindner am Rande des Dell Innovation Day in Kopenhagen zur futurezone.

Fouls und Abseits

War es ursprünglich eigentlich gar nicht geplant, den Zuschauern die digitale Torauswertung zu zeigen, hat die dreidimensionale Aufbereitung der Torszenen im TV längst FIFA und Ligen-Verantwortliche überzeugt. Und bei den GoalControl-Verantwortlichen denkt man schon einen Schritt weiter. Mit mehr Kameras wäre es in Zukunft auch möglich, Abseitsentscheidungen automatisiert vom System fällen zu lassen.

Auch bei Fouls könnten die digitalen Augen dem Schiedsrichter-Team unter die Arme greifen. "Damit Abseits erkannt wird, müssten die Gliedmaßen der Spieler erfasst werden. Um das Spielfeld abzudecken, wären wohl 24 bis 36 Kameras notwendig. Da die Preise für die Hardware aber stetig sinken, sollte das bei den Kosten nicht allzu stark ins Gewicht fallen", sagt Lindner.

Goal Control
Dass mit mehr Technik und mehr unstrittigen Entscheidungen der Fußball ein Stück weit der Emotionalität beraubt wird, glaubt der GoalControl-Vorstand allerdings nicht. "Es geht ja in erster Linie um das Spiel. Die Emotionen gehen sicher nicht den Bach hinunter, wenn fair gepfiffen wird bzw. keine Fehlentscheidungen getroffen werden", ist Lindner überzeugt.

Die moderne Aufbereitung eines Spiels mittels 3-D-Grafiken und -Animationen wird angesichts immer realistischerer Konsolen- und PC-Spiele auch bei Fernsehübertragungen eine immer wichtigere Rolle spielen, glaubt Lindner. "Gerade die Generation an jungen Fußball-Fans ist so eine digitale Aufbereitung gewohnt. Wenn man diese Erlebniswelt noch besser transportieren kann, profitieren alle davon."

Beim Torliniensystem GoalControl werden am Stadiondach jeweils sieben Kameras pro Torseite angebracht. Während eine TV-Übertragung Filmmaterial mit 25 Bildern pro Sekunde verwendet, nehmen die Torlinienkameras mit 500 Bildern pro Sekunde auf. Die Messgenauigkeit beträgt daher fünf Millimeter. Während eine Fernseh-Zeitlupe im Normalfall mit kurzer Verzögerung nachproduziert wird, muss das Torliniensystem in Echtzeit funktionieren und das Ergebnis in wenigen Millisekunden liefern können. Der Schiedsrichter bekommt die Tor-Entscheidung auf eine spezielle Uhr übertragen.

Goal Control
Die Übertragung und Auswertung der Bilddaten erfolgt über eine Glasfaserleitung auf Serverinfrastruktur, die bei GoalControl Dell bereitstellt. Diese ist bei größeren Stadien fix verbaut ist, im Normalfall aber in einem Übertragungswagen beim Stadion untergebracht. Dort kann das System auch direkt mit den Übertragungswagen der TV-Übertragung zusammengeschlossen werden. Um gegen Hitze und Kälte geschützt zu sein, muss das Gehäuse der Kameras entsprechend wetterfest gestaltet sein. Wackelt die Kamera im Wind, kalibrieren die installierten Software-Algorithmen sofort nach. Die Kameras sind nur aktiv, wenn der Ball sich auf 30 Zentimeter der Linie nähert. Die Torauswertung wird dem Schiedsrichter drahtlos auf eine Armbanduhr mitgeteilt.
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Martin Jan Stepanek

martinjan

Technologieverliebt. Wissenschaftsverliebt. Alte-Musik-Sänger im Vienna Vocal Consort. Mag gute Serien. Und Wien.

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