Digital Life

iPhone-App MySugr kämpft gegen Diabetes-Monster

Diabetes macht dich nach einer Weile verrückt. Man hat immer die Angst im Nacken: Werde ich meine Füße verlieren, meine Augen, meine Nieren?” Fredrik Debong ist einer von etwa 400.000 Diabetikern in Österreich - und einer mit einem ganz besonderen Ziel: Gemeinsam mit Frank Westermann (ebenfalls Diabetiker) und Gerald Stangl hat er die Smartphone-App MySugr (4 Euro/Monat) konzipiert. Diese soll zum regelmäßigen Dokumentieren von Blutzuckerwerten und Ernährung animieren. “Wir haben uns überlegt: Was zerstört unseren Alltag, was geht schief? Das größte Problem ist die Motivation”, sagt Debong.

MySugr ist einer von immer mehr Web-Diensten, die im boomenden Bereich “mobile Health” tätig sind. Nicht zufällig ist der Wiener Business-Angel Hans Hansmann (

) mit an Bord, der sich in seinem Portfolio (u.a.iJoule,Runtastic,Diagnosia) immer stärker auf Gesundheitsthemen fokussiert. Der Markt für MySugr ist jedenfalls da: In Österreich gibt es derzeit etwa 40.000 Menschen, die “Diabetes Typ 1” haben, weltweit sind es etwa 40 Millionen. Insgesamt 400.000 Österreicher leiden an einer der verschiedenen Formen der Zuckerkrankheit.

Spielerisch
Was MySugr von vielen anderen Diabetiker-Apps unterscheidet, ist das Gamification-Konzept. Die Idee zu den spielerischen Elementen hatte Debong, als er spaßhalber mit einem Freund aus den USA um die Wette Blutzuckerwerte verglich - der Verlierer musste damals ein Bier zahlen. “Das war ein Ansporn, und das ist auch die grundlegende Philosophie von MySugr”, so Debong. “Das Diabetes-Monster ist das gemeine Viech, das es zu besiegen gilt.” Denn die Mehrheit der Diabetes-Patienten würden ihre Werte nicht oder nicht vollständig erfassen, was in Folge eine Optimierung der Therapie kaum möglich macht. Mit MySugr kann man am iPhone Blutzucker, Kohlenhydrate und Boluswerte erfassen, zu sich genommene Nahrung per Foto dokumentieren und eingeben, was man gerade macht (im Büro sitzen, Sport, etc.). “Der Kontext hat Einfluss auf die Menge des Insulins, das man benötigt”, erklärt Mitgründer Westermann.

Jeden Tag muss ein Ziel von 50 Punkten erreicht werden. “Das ist das Maß dafür, dass man sein Diabetes-Tagebuch ausreichend gepflegt hat”, sagt Debong. So kann die App Feedback über die Datenqualität geben - etwa “famos”, “gut” oder “schlecht”. “Ich halte das grundsätzlich für eine gute Idee, weil es mit dem Belohnungsprinzip arbeitet. Motivation ist besser als das ständige Drohen mit den Folgen”, sagt Peter Paul Hopfinger von Österreichs größter Diabetiker-Plattform www.diabetes-austria.com. “Wenn man seine Werte damit verbessern kann, dann sind die vier Euro pro Monat für die App allemal wert. Immerhin ist Diabetes eine teure Krankheit.”

Medizinprodukt mit hohen Auflagen
Weil die App therapeutisch in das Leben des Nutzers eingreift (Daten werden interpretiert, der Nutzer bekommt Feedback), ist sie als medizinisches Produkt klassifiziert - und muss dementsprechend hohe Auflagen erfüllen, um in Österreich und Deutschland (die derzeitigen Märkte) verkauft werden zu dürfen. Gemeinsam mit einem medizinischen Beirat (bestehend aus Ingrid Schütz von der Diabetologie des Spitals in Hietzing, Kardiologe Franz Wiesbauer und Psychologin Marianne König vom AKH) macht die Firma Risikoanalysen, bevor die App bzw. neue Funktionen veröffentlicht werden, außerdem müssen ISO-Normen (z.B. 62304, 14971) erfüllt und die “Gesundheitspolizei” AGES (Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit) über etwaige Probleme informiert werden (z.B. wenn ein Bug falsche Werte verursacht).

Auch den Schutz der heiklen Patientendaten nimmt man bei MySugr sehr ernst. Ein eigener Mitarbeiter kümmert sich ausschließlich um die regulatorischen Angelegenheiten und fungiert als Datenschutzbeauftragter, allein ihm ist der Zugriff auf die Nutzerdaten.erlaubt. Die Daten, die die Nutezr ins iPhone eintippen, werden von MySugr in der Cloud als Back-up gespiegelt - wie viele anderen kleine und große Internet-Firmen (

) setzt MySugr dabei auf Amazon Web Services.

In Planung
Dem kleinen Wiener Start-up mit elf Mitarbeitern steht noch viel Arbeit ins Haus. An einer Version für Android-Handys wird ebenso gebastelt wie an einer Variante für Kinder. Außerdem laufen Gespräche mit großen Pharmafirmen bezüglich Partnerschaften, und Kooperationen mit großen Unternehmen müssen ebenfalls eingefädelt werden. Die erste ist bereits unter Dach und Fach: Ihren etwa 17.000 Mitarbeitern bietet die Telekom Austria MySugr kostenlos an und zahlt dem Start-up dafür eine Pauschale. Weiters arbeiten Debong und Westermann daran, dass Ärzte MySugr verschreiben können bzw. die monatlichen Kosten von der Krankenversicherung übernommen werden.

Aktuell nutzen etwa 220 Personen die App und haben bis dato etwa 13.800 Einträge getätigt. MySugr ist damit noch nicht profitabel, könnte mit steigendem Interesse durch das wachsende Problem der “Volkskrankheit Diabetes” aber in wenigen Jahren dorthin gelangen. Die angebliche Bewertung der jungen Firma von 25 Millionen Euro, von der ein österreichisches Wirtschaftsmagazin kürzlich berichtete, stimmt allerdings nicht. Vielmehr ist sie im siebenstelligen Bereich anzusiedeln.

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Jakob Steinschaden

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