Luftfahrt-Industrie will Gepäck-Odysseen reduzieren
Im Vergleich zu 2011 wurden im Jahr 2012 um 2,84 Prozent mehr Gepäckstücke auf Flughäfen in aller Welt fehlgeleitet. Allerdings gab es auch einen Anstieg der weltweiten Passagierzahlen um 4,5 Prozent. Der Effekt: Das Risiko, sein Gepäck nach einem Flug nicht auf dem Gepäckförderband vorzufinden, wo es sein sollte, ist gesunken. Pro eintausend Fluggästen begaben sich 8,83 Koffer auf Odyssee. 2011 waren es noch 8,99. Das Risiko ist also um 1,78 Prozent gesunken.
Jahresbericht
In absoluten Zahlen sieht die Menge an fehlgeleitetem Gepäck schon anders aus: Über 26 Millionen Koffer und Taschen fanden 2012 nicht den richtigen Weg, besagt der Baggage Report des weltgrößten Luftfahrt-IT-Ausstatters SITA. Wie stark dieser Wert im Verlauf der Jahre trotz immer höheren Passagierzahlen sinkt, sieht man am Vergleichswert von 2007. Damals waren es am Jahresende 46,9 Millionen fehlgeleitete Gepäcksstücke.
Der Großteil der heutzutage fehlgeleiteten Gepäcksstücke betrifft Transferflüge. 48 Prozent aller Koffer und Taschen kommen dann nicht an, wenn man am Weg zu seinem Reiseziel umsteigen muss. 17 Prozent aller Gepäcksstücke kommen nicht an, weil man sie - aus welchem Grund auch immer - nicht ins Flugzeug laden kann. Sonstige Ursachen umfassen unter anderem Gepäcksmanagement-Fehler bei Abflug und Ankunft, Gewichtsrestriktionen, Zollbestimmungen, Sicherheitsbestimmungen oder Etikettierungsfehler.
Aufholbedarf in Europa
Im Vergleich der 100 größten Flughäfen der Welt zeigt sich, dass das Fehlleitungsproblem regionale Unterschiede aufweist. Die Region Asien fällt durch einen äußerst zuverlässige Gepäcktransport auf. Von eintausend Gepäcksstücken werden auf großen Flughäfen (über 25 Millionen Passagiere im Jahr) im Durchschnitt nur 1,93 fehlgeleitet. In Nordamerika sind es 4,17 Gepäcksstücke. In Europa sogar 10,6. Die Statistik zeigt klar, dass auf kleineren Flughäfen weniger Gepäcksstücke verloren gehen.
Dass Europa in der Statistik relativ schlecht abschneidet, liegt unter anderem an der hohen Anzahl an Transferflügen. Aber auch strenge Regeln der EU, welche die Anzahl der Flugzeugabfertigungs-Anbieter auf Flughäfen limitieren, werden dafür verantwortlich gemacht. "Der Flugzeugabfertigungsmarkt muss weitreichend liberalisiert werden, damit es zu Wettbewerb und erhöhter Servicequalität kommt", sagt Athar Husain Khan, Generalsekretär des Verbands europäischer Fluglinien.
Flexibilisierung
Um das Problem von fehlgeleitetem Gepäck in den Griff zu bekommen, gibt es mehrere Lösungsansätze. Einer davon ist ein verstärkter Fokus auf das Gepäck von Transferpassagieren. Die Fluglinie Iberia betreibt in ihrem Knotenpunkt Madrid ein zweigeteiltes Gepäcksortierungssystem. Die Koffer von Passagieren mit engen Zeitabständen zwischen Verbindungsflügen werden priorisiert behandelt und auf eigenen, schnelleren Förderbändern von einem Terminal zum anderen transportiert.
Wenn es nicht gerade um schnelle Transfers geht, behandelt das System das Gepäck von Inlandsfluggästen priorisiert, da der Zeitfaktor bei Kurzstreckenflügen eher eine Rolle spielt. Die Flexibilisierung des Gepäcksmanagements wird auch am Flughafen von Helsinki oder in Wien (siehe unten) praktiziert. Ein eigenes Programm überwacht hier Ankunftsverzögerungen und erlaubt das Einleiten spezieller Maßnahmen, um Gepäck bei Zeitknappheit schneller zum jeweiligen Anschlussflug zu transportieren.
Mehr Bag Drop
Ein weiterer Schritt hin zu mehr Zuverlässigkeit bei der Gepäcksabfertigung betrifft die Beseitigung von Engpässen, die zu Stoßzeiten überlastet werden und so fehleranfällig werden. Eine solche Engstelle stellt oft die Sicherheitsüberprüfung des Gepäcks dar. Üblicherweise kann eine Maschine nicht mehr als 25 bis 30 Stücke pro Minute verarbeiten. Computermodelle zur Steuerung des Gepäcksflusses und eine Erhöhung der Kapazität sollen Engpässe vermeiden.
Die Erhöhung der Kapazität wird als essentiell gesehen, denn die Verarbeitung des Gepäcks soll künftig rasant beschleunigt werden. Ein Grund dafür liegt in der Forcierung der Selbstbedienung beim Einchecken. Neben dem Erstellen von Boarding Cards an Automaten sollen Flugpassagiere künftig auch immer öfters Etiketten für ihr Gepäck ausdrucken und anbringen können.
Am "Bag Drop"-Schalter soll künftig ein Großteil des Gepäcks aufgegeben werden. Umfragen zeigen, dass selbst ausgedruckte und angebrachte Gepäcks-Etiketten den Stress der Passagiere beim Einchecken reduzieren können. Laut dem Baggage Report sind 68 Prozent aller Fluggäste an mehr Eigenverantwortlichkeit bei der Gepäckabgabe interessiert.
Die Lage am Flughafen Wien
Am Flughafen Wien nehmen laut aktuellen Ergebnissen acht von eintausend Gepäcksstücken den falschen Weg. Damit wird im internationalen Vergleich ein guter Wert erreicht, wobei der Flughafen mit seinen 22,2 Millionen Passagieren pro Jahr (Stand 2012) aber auch zu den "kleineren" Standorten laut SITA-Definition zählt. Eine signifikante Ursache für Fehlleitungen in Wien liege in externen Einflüssen, etwa den starken Schneefällen in den Wintermonaten, teilt der Flughafen auf Anfrage mit. Im Sommer gäbe es weniger Störungen im Flugbetrieb und damit auch weniger fehlgeleitetes Gepäck.
Um die Qualität beim Gepäcksmanagment zu verbessern, setzt der Flughafen Wien auf prädiktive Verfahren. Am Flughafen weiß man, wer an Bord welches ankommenden Flugzeugs welchen Anschlussflug erreichen muss und stellt spezielle Mannschaften dafür ab, das Transfergepäck möglichst schnell umzuladen. In der Gepäcksortieranlage erhält Transfergepäck einen eigenen Bereich und wird bevorzugt behandelt.
Zusammenarbeit gefragt
Hinter den Kulissen kommt es bei der Optimierung des Gepäcksmanagments sehr auf eine funktionierende Zusammenarbeit zwischen Fluglinien und Flughäfen an. An allen großen Luftfahrt-Knotenpunkten der Welt gibt es Initiativen, um diese Zusammenarbeit zu verbessern. Der Baggage Report führt hier das "Agora"-Projekt zwischen Iberia und dem Flughafen Madrid als positives Beispiel an.
Doch auch in Madrid sind Passagiere teilweise weit davon entfernt, dem Stressfaktor Gepäckabgabe weniger Bedeutung beizumessen. Denn wer sich auf dem Weg nach Wien zunächst bei einem Automaten sein Gepäck-Etikett selber ausdruckt, dann aber keinen offenen Bag-Drop-Schalter der Iberia vorfindet und sich an der Schlange für Einchecken auf traditionelle Art anstellen muss, der verspürt bei Reiseantritt wenig Freude.