Digital Life

Quirky macht Hobby-Erfinder zu Millionären

Die schlichte Eingangstür in dem riesigen Industrial-Gebäude im New Yorker Stadtteil Chelsea lässt kaum vermuten, dass sich im siebten Stock eine der gerade angesagtesten Firmen der Stadt befindet. Auf Hunderten offenen Loft-Quadratmetern brüten Designer, Techniker und Verkaufsleute über Hunderte Produktideen, während durch Glaswände abgetrennt, Millionen Dollar teure 3D-Drucker und Spezialfräsen Prototypen produzieren.

Zehn Prozent Beteiligung

Das Konzept von Quirky ist einfach. Wer eine quirky (=eigenartige) Idee zu einem Produkt hat, kann diese auf der gleichnamigen Plattform einreichen. Wird die Idee angenommen, übernimmt Quirky Produktentwicklung und Verkauf. Um dahin zu gelangen, müssen Hobbyerfinder ihre Idee zunächst mittels Beschreibung, Bildern und einem Video sieben Tage lang in der Community bewerben.

Bei positivem Feedback oder wenn die Idee das Quirky-Kernteam begeistert, wird diese im New Yorker Office vor 100-200 Leuten präsentiert und dann live darüber abgestimmt, ob Quirky die Produktentwicklung übernehmen soll. Schafft es ein Produkt in die Massenproduktion, wird der Ideengeber aber auch andere User („Influencer“), die ihre Expertise einbringen, mit maximal zehn Prozent am Verkauf beteiligt.

Quirky
Was in der Theorie nach einem wenig lukrativem Deal klingt, kann im Idealfall dennoch Hunderttausende Dollar einbringen, selbst wenn der eigentliche „Erfinder“ außer einer rudimentären Skizze oder Projektbeschreibung sonst nichts zur Produktentwicklung beigetragen hat. Vorzeigeprojekt der 2009 von Ben Kaufman gegründeten Plattform ist der flexible Mehrfach-StromsteckerPivot Power, dessen einzelne Steckdosen so angeordnet werden können, dass Gerätestecker sich nicht gegenseitig im Weg sind.

Mehrfachstecker als Verkaufsrenner

Allein bis Herbst 2013 hat sich der Stecker weltweit über 700.000 Mal verkauft. Der 23-jährige Student, der seine Idee ohne technisches Hintergrundwissen eingereicht hat, ist der erste Quirky-User, der eine Million Dollar über die Plattform eingenommen hat, wie Lauren Ball von Quirky im futurezone-Interview verrät. Für die anderen „Erfinder“ ist das Geschäft bisher nicht so lukrativ, laut dem Unternehmen bringen viele der über 300 entwickelten Produkte aber zumindest Jahreseinkünfte von 30.000 bis 40.000 Dollar ein – ohne, dass die kreativen Ideengeber Anfangskapital aufbringen müssen oder den Risiken ausgesetzt sind, die eine Start-up-Gründung sonst mit sich bringt.

Quirky
Dass Quirky groß im Geschäft ist, zeigen nicht nur die Verkaufszahlen des etwas verrückt wirkenden Haushalts- und Elektronikportfolios, das neben dem besagten Stromstecker ein Sparschwein mit App-Anbindung und einen Eigelb-Separator mit Saugfunktion umfasst. Auch in drei Investorenrunden konnte Quirky kräftig abcashen, insgesamt 170 Millionen Dollar, davon kolportierte 30 Millionen Dollar vom Traditionskonzern General Electric (GE), stehen zu Buche. Vor allem letzterer Deal sorgte für Aufsehen in der Branche, zumal im Zuge der Kooperation gemeinsam Geräte wie smarte Klimaanlagen und Kühlschränke entwickelt werden und GE zuletzt auch Tausende Patente zur Nutzung freigab.

futurezone besucht Quirky

Wie die öffentliche Evaluierung und somit die Auswahl erfolgsversprechender Ideen über die Bühne geht, durfte die futurezone bei einem Quirky-Besuch in New York vor einigen Wochen live miterleben. Geleitet wird der jeden Donnerstag stattfindende Quirky „Eval“ im Normalfall von CEO Ben Kaufman persönlich, der bei der live ins Internet übertragenen Präsentation seine Showmaster-Qualitäten unter Beweis stellt. In lockerer Atmosphäre werden die Ideen kurz präsentiert, die wechselnde Jury sorgt bei ihren Bewertungen und so manch vorgetragenen Bedenken immer wieder für Lacher. Abgestimmt wird direkt im Saal von allen Anwesenden per Handzeichen.

Auch Prototypen finden den Weg in den Saal
Die sieben an diesem Abend vorgestellten Ideen konnten unterschiedlicher nicht sein. Neben einemKopfhörer, der nur bestimmte Frequenzen ausfiltertund so trotz Geräuschunterdrückung den Träger etwa Babygeschrei hören lässt, stand auch ein Forschungsprojekt rund umdrahtlose Energieübertragungzur Auswahl. Abgesehen von diesen technisch komplexen Ideen konnte man auch über einen einfachen Türen-Verriegelungsbolzen und einen Schwamm abstimmen, mit dem die Säuberung von Autofelgen erleichtert werden soll. Die zwei letztgenannten Projekte fanden allerdings keine mehrheitliche Unterstützung – zu wenig innovativ, zu wenig mitreißend wurden die Ideen empfunden, obwohl etwa der Erfinder der Türverriegelung diese in jahrelanger Arbeit entwickelt hatte und in kleinen Stückzahlen bereits vertreibt.

Cat and Dog Content

Dass bei einer Abstimmung über innovative technische Ideen ausgerechnet Hunde und Katzen die größten emotionalen Reaktionen auslösten, war einerseits verblüffend, aber dann auch wieder wenig überraschend. Zu vielen „ooohs“ und „aaaahs“ führte etwa eine smarte Haustier-Box, mit der Hund oder Katze per Smartphone-App gefüttert werden kann. Ein eingebautes Mikrofon und eine Kamera ermöglichen zudem die Kommunikation mit dem Tier. Der im Raum gezeigte Prototyp wurde zwei Jahre lang von einer jungen Südkoreanerin entwickelt und kam sowohl bei der Fachjury, als auch im Saal und beim Online-Publikum hervorragend an. Mittlerweile haben die Quirky-Designer bereits ein Modell entwickelt und User über Farbe und Material abstimmen lassen. Der Name und die Vermarktungsstrategie stehen allerdings noch nicht fest.

Quirky
Für heftige Diskussionen und ebenso viel Gelächter sorgte eine Maschine, mit der manaus Altpapier selbst Katzenstreu herstellen kann. US-Haushalte würden 100 Millionen Katzen besitzen und jährlich zwei Milliarden Dollar für Katzenstreu ausgeben, der noch dazu umweltschädlich hergestellt sei und durch die anfallenden Staubpartikeln für Allergien bei Katzenbesitzern sorgen könnten, so der Erfinder Marc Smith. Schon jetzt würden viele als Alternative mühsam alte Zeitungen schreddern, dieser Prozess müsse doch auch mittels einer speziellen Maschine erleichtert werden können.

Geteilte Meinung

Im Saal sorgte die Idee für viel Zustimmung, aber auch viel Skepsis. CEO Ben Kaufman etwa konnte der Idee wenig abgewinnen und quittierte das Projekt mit „No, thank you!“, andere in der Jury empfanden den Aufwand, alternative Katzenstreu herzustellen, als viel zu aufwändig, zumal etwa alte Zeitungen aufgrund der Druckerschwärze zuerst behandelt werden müssten, bevor sie weiterverarbeitet werden. Im Saal war die Meinung geteilt, als vorläufige Rettung für das Projekt entpuppte sich schließlich die Online-Community, die zu 60 Prozent für die Idee votierten. Es wird nun noch einmal evaluiert.

Die lockere Atmosphäre sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Abläufe hinter der Produktentwicklung hochprofessionalisiert sind. Ca. 70 fertige Quirky-Produkte landen pro Jahr auf dem Markt. Vertrieben wird in den USA in großen Elektronikketten wie Best Buy oder auch Amazon. Viele Quirky-Produkte sind auch bei uns über Online-Händler und kleinere Retailer beziehbar. Ende Juni soll auch mit einer großen Elektronikkette für Deutschland und Österreich ein Vertrag abgeschlossen werden. Die Marke Quirky könnte ab Herbst also auch hierzulande breitere Bekanntheit erlangen.

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Martin Jan Stepanek

martinjan

Technologieverliebt. Wissenschaftsverliebt. Alte-Musik-Sänger im Vienna Vocal Consort. Mag gute Serien. Und Wien.

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