Welches Recht gilt bei einem Mord im Weltraum?
Vor drei Jahren war es erstmals soweit, dass einer Raumfahrerin das erste Verbrechen im All unterstellt wurde. Die Astronautin Anne McClain soll während eines Aufenthalts auf der Internationalen Raumstation (ISS) unrechtmäßig auf das Online-Konto ihrer Ex-Partnerin auf der Erde zugegriffen haben. Der Vorwurf stellte sich Monate später als falsch heraus. Doch was ist, wenn es tatsächlich einmal zu einem Verbrechen im All kommt, vielleicht sogar einem schwereren, wie Mord? Welches Gericht würde diesen Fall behandeln?
Verträge von 1966 und 1998
Das Weltraumrecht ist für einen solchen Fall derzeit nicht wirklich hieb- und stichfest vorbereitet. Als Grundlage dient der Outer Space Treaty von 1966. Der Vertrag regelt vor allem Besitzverhältnisse im All und legt fest, dass der Weltraum nicht staatlich aufgeteilt werden soll. Im Abschnitt VIII werden jedoch auch juristische Verantwortlichkeiten geregelt. Die Rechtsprechung obliegt demnach jeweils jenem Staat, in dem ein Raumfahrzeug registriert ist, aber auch Objekte auf anderen Himmelskörpern, etwa Marskolonien. Wenn es also an Bord eines SpaceX-Raumschiffes zu absichtlicher Körperverletzung, Diebstahl oder Drogenhandel kommt, würde der Prozess ganz klar in den USA stattfinden.
Mit dem Bau der Internationalen Raumstation tat sich ein rechtliches Problem auf. Die ISS ist nicht in einem einzigen Land registriert, weshalb es 1998 zu einem Intergovernmental Agreement (IGA) kam. In dieser Vereinbarung aller an der ISS beteiligten Länder heißt es, dass jeder Staat grundsätzlich für seine Staatsbürger*innen verantwortlich ist, es im Fall der Fälle aber zu bilateralen Verhandlungen kommt. Wenn es also zu einem heimtückischen Mord kommt, müssen die Staaten von Täter*in und Opfer also beratschlagen, wo die Gerichtsverhandlung stattfinden soll.
FBI in Richtung Südpol geschickt
Bei diesen vagen Bestimmungen sind mögliche Konflikte absehbar. Was passiert etwa, wenn sich Staaten nach einem Verbrechen nicht darüber einig werden, wer die Rechtsprechung übernimmt? Was, wenn ein Staat die Auslieferung eines Täters oder einer Täterin verlangt, diesem Wunsch aber nicht nachgegeben wird? Laut der Abteilung für Weltraumangelegenheiten im Bundesministerium für Klimaschutz regelt der Outer Space Treaty etwa keine Auslieferungen.
Die bisherigen Verträge zielen eher grundsätzlich darauf ab, keinen rechtsfreien Raum im Weltraum zuzulassen. Das All gehört zwar niemandem, aber man darf dennoch nicht tun und lassen, was man will. Insofern lässt sich die Lage mit jener auf hoher See oder in der Antarktis vergleichen. Auch am südlichsten Kontinent sind hauptsächlich Forscher*innen tätig, von denen es heißt, sie seien nicht "diese Art von Menschen", die Verbrechen begehen.
Dennoch hat es in der Vergangenheit auch schon Verbrechen in der Antarktis gegeben wie The Atlantic berichtet. 1996 wurde sogar das FBI in die eisige Kälte geschickt, um Ermittlungen wegen schwerer Körperverletzung anzustellen, nachdem sich zwei Köche auf einer Forschungsstation geprügelt hatten. Einer der Kontrahenten hat dabei einen Hammer verwendet.
Mord im Weltraumhotel
Auch im Weltraum ist es nur eine Frage der Zeit, bis Verbrechen begangen werden, sind Expert*innen überzeugt. Bisher waren tatsächlich hauptsächlich Forscher*innen im All, die möglicherweise an ganz anderen Dingen als Verbrechen interessiert sind, aber der aufkommende Weltraumtourismus wird die Lage verändern, etwa in Weltraumhotels.
"Wenn du 400 Zivilisten im Weltraum hast, dann weißt du, dass Verbrechen unvermeidbar sind", meint Michelle Hanlon, Direktorin des Air and Space Law Program an der University of Mississippi. "Wir schicken die diszipliniertesten und fittesten Leute zur ISS, das Beste, was die Menschheit vorzuweisen hat. Bei einem Hotel kannst du nicht dieselben Standards anwenden. Du musst Geld verdienen. Du bekommst eine viel größere Vielfalt an Leuten und du weißt, dass es Verbrechen geben wird, von einer gestohlenen Uhr bis hin zu Mord."
Folter im Weltraumgefängnis
Angenommen, ein Weltraumhotel wird von einem Unternehmen in einem Staat gebaut, von einem Unternehmen in einem anderen Staat betrieben, von einem dritten Staat ins All gebracht - welcher dieser Staaten übernimmt nun die Rechtsprechung bei einem Verbrechen? Für jeden der drei Staaten sprächen Argumente, so Hanlon.
Stellt man sich Fragen wie diese, tauchen auch gleich eine Reihe weiterer Fragen auf, etwa, wer Ermittlungen im All übernimmt. Überlegungen dazu gibt es bereits viele. Sie reichen bis hin zu Details wie Selbstverteidigungsstrategien für Weltraumpolizist*innen in der Schwerelosigkeit oder dem Schutz von Menschenrechten in Weltraumgefängnissen, wo Wärter*innen in Versuchung kommen könnten, Gefangene durch den Entzug von Sauerstoff zu foltern.
Überwachung und soziale Kontrolle
Einige Weltraumexpert*innen sind überzeugt, dass es weiterhin unmöglich sein wird, unerkannt ein Verbrechen im All zu begehen. "Die Menschen werden auf so viele Arten überwacht. Den Täterkreis einzuschränken, wird sehr leicht sein", meint Planetenwissenschaftler David Paige von der University of California Los Angeles (UCLA).
Wo sich Personen in einem Raumschiff oder auf einer Raumstation aufhalten, welchen Puls sie gerade haben und welche Schleusen wann betätigt werden, werde immer genau bekannt sein. Die Begrenztheit des lebensfreundlichen Raumes führe außerdem zu einem engen Netz sozialer Kontrolle, in dem Persönlichkeitsveränderungen an Personen schnell auffallen.
Abgründe der menschlichen Seele
Andere sind nicht so überzeugt davon, dass sich bestimmte Menschen von der allgegenwärtigen Überwachung abschrecken lassen. Sie denken u.a. an eine ferne Zukunft, in der etwa Kinder auf Raumstationen geboren werden und in im Teenageralter auf alle möglichen dummen Ideen kommen. Aber auch in einer näheren Zukunft sollte man ihnen zufolge die Abgründe der menschlichen Seele nicht unterschätzen. Raumfahrer*innen auf langen Missionen in die Tiefen des Alls, die Isolation, Streit oder Eifersucht psychisch nicht mehr aushalten, könnten zu allen erdenklichen Taten bereit sein.
Für Jurist*innen bietet der Weltraum jedenfalls künftig ein weitreichendes Betätigungsfeld. Newsweek schreibt: "Kurz gesagt, das Weltraumrecht ist ziemlich vage und großteils ungetestet." Wie die Abteilung für Weltraumangelegenheiten des BMK der futurezone mitteilt, erfolgt die Weiterentwicklung des Weltraumrechts durch das UN Committee on the Peaceful Uses of Outer Space (COPUOS). Dieses veranstaltet jährlich Diskussionen über offene rechtliche Fragen im Weltraum.