Wie das Internet den Heimatbegriff verändert
"Manchmal sind es kleine Gruppen, die Entwicklungen vorgeben", sagt Katrhin Kissau. Die in der Schweiz lebende Sozial- und Medienwissenschaftlerin forscht zur Medienkultur von Migranten und untersucht, welche Rolle das Internet in verschiedenen Lebensbereichen spielt. Der Internet-Nutzung von Zuwanderern schreibt sie eine Vorreiterrolle zu: "Sie sind gezwungen über ihre geografischen Orientierungspunkte hinaus im Internet neue Gemeinschaften zu finden und neue Identitäten aufzubauen." In Zukunft werde sich die Internet-Nutzung auch gesamtgesellschaftlich in diese Richtung bewegen, meint Kissau: "Zugehörigkeit wird zwar auch künftig geografische Bezüge haben. Gemeinschaften und Gruppen, die online entstehen, gewinnen aber an Bedeutung."
Am Mittwoch ist die Wissenschaftlerin bei der Diskussionsreihe twentytwenty im Wiener Hub zu Gast, bei der diesmal das Thema "Heimat Internet" im Mittelpunkt steht.
"Heimat ist ein schwieriger Begriff"
"Heimat ist ein schwieriger Begriff", sagt Kissau. Mit dem Internet ändere sich jedenfalls die Art und Weise, wie wir den Begriff mit Leben füllen. "Was einem wichtig ist, wo man sich zugehörig, geborgen und geerdet fühlt, wird durch das Internet erweitert", sagt sie: Die Spielwiese vergrößert sich." Das Netz biete die Möglichkeit, Gemeinsamkeiten und Personen zu finden, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben und sich mit ähnlichen Themen beschäftigen. "Wenn man sich verstanden fühlt, kann sich auch ein heimatähnliches Gefühl entwickeln."
Für Migranten, vor allem jene der zweiten und dritten Generation, die sich weder in ihrem Herkunfts- noch im Zuwanderungsland zuhause fühlen, eröffne sich damit ein Raum, für den es eigentlich keinen geografischen Ort gibt. "Es gibt eine Vielzahl von Zugehörigkeiten, die man online finden kann", so die Wissenschaftlerin: "Man kann sich aus unterschiedlichen Nischen sein Selbstbild zusammenpuzzeln."
"Hemmschwelle zu kommunizieren niedriger"
Das Internet sei für Migranten ein zentraler Bereich. Es ermögliche Kommunikation in verschiedenen Sprachen, sagt Kissau. "Man kann in der Muttersprache kommunizieren und auch versuchen, sich in der neuen Sprache auszudrücken." Das sei ein wichtiger Schritt zur sozialen und wirtschaftlichen Teilhabe. Zwar sei es schwieriger sich schriftlich auszudrücken, die Hemmschwelle im Internet zu kommunizieren, sei aber geringer. Dabei spiele anfangs auch die Anonymität eine Rolle. "Wenn man einer Sprache nicht so mächtig ist, ist es einfacher anonym zu kommunizieren."
Das Internet habe auch als Informationsmedium für Migranten eine gewichtige Funktion. Wichtig sei, dass Informationen auch in ihrer Muttersprache im Netz angeboten werden. Der Politik empfiehlt Kissau deshalb, Zuwanderern entsprechende Angebote zu machen. "Es gibt eine Reihe von wichtigen Informationen, die Migranten brauchen, wenn sie neu in ein Land kommen. Man kann nicht erwarten, dass jeder die neue Sprache von Anfang an gut beherrscht."
"Ausweg aus der Begrenzung"
Im Online-Bereich haben Zuwanderer aber auch weitaus größere Möglichkeiten der politischen Beteiligung als im "wirklichen Leben", wo viele nicht wählen dürfen. "Auch wenn Migranten sonst kein Forum haben, können sie an Diskussionen und an der Meinungsbildung im Netz teilnehmen", sagt Kissau: "Das Internet ist für viele Zuwanderer ein Ausweg aus der formalrechtlichen Begrenzung."
"Heimat Internet"
Neben Kathrin Kissau diskutieren am Mittwochabend (18.30 Uhr) im Wiener Hub (1070, Lindengasse 56) Digitalks-Gründerin Meral Akin-Hecke, Olivera Stajić von derstandard.at und Dieter Zirnig von Digital Mindshift über "Heimat Internet".