"Wir drohen den Kampf gegen Elektromüll zu verlieren"
Sechs Jahre ist es her, dass Umwelt-Journalist Mike Anane der futurezone aus erster Hand über die Deponien in Ghana berichtete, wo giftiger Elektroschrott aus Europa und der ganzen Welt illegal entsorgt wird. Als wir Anane nach all dieser Zeit am Telefon in der Hauptstadt Accra erreichen, ist die Freude über das Wiederhören groß. Umso ernüchternder fällt dann allerdings seine Antwort auf die Frage aus, was sich in den vergangenen Jahren hinsichtlich der Elektroschrott-Problematik zum Besseren verändert hat: „Leider nichts. Wir drohen den Kampf gegen den Elektromüll zu verlieren.“
Schrottflut nach Weihnachten
Neben dem südchinesischen Guiyu, wo die größte Elektroschrott-Deponie der Welt angesiedelt ist, zählt auch Ghana zu den Leidtragenden des Elektronik-Booms. Zwischen 500 bis 800 Schiffscontainer an illegalem Elektroschrott landen Monat pro Monat im Hafen nahe Accra. Nach der Weihnachtszeit steigt die Anzahl gar auf bis zu 1000 Container. Die Fracht, die oft als Second-Hand-Elektronik verschleiert wird, in Wahrheit aber problematischer Elektromüll ist, wird schließlich bei den Slums der ghanaischen Hauptstadt in freier Natur entsorgt.
„Kinder, die nicht einmal sechs Jahre alt sind, durchwühlen diesen Müll mit ihren bloßen Händen, um an wertvolle Metalle und andere Materialien zu kommen. Sie atmen die giftigen Dämpfe ein, erleiden Verätzungen an ihrer Haut. Es ist ein erschütternder Anblick“, erzählt Anane. Was sich in den vergangenen Jahren verändert hat, ist lediglich die Zusammensetzung des Schrotts. Während weniger Kühlschränke und Gefriertruhen in die Lagune bei Accra gekippt werden, finden sich immer häufiger Mobiltelefone unter dem Weggeworfenen. „Diese sind aufgrund der Akkus besonders gesundheitsgefährdend und vergiften zunehmend auch das Wasser und die Fische rund um die Stadt“, sagt Anane.
Zahnlose Gesetze
Zum Verhängnis wird Ghana dabei ausgerechnet die im Vergleich zu manch anderen afrikanischen Staaten rege Handelstätigkeit. Durch die Betriebsamkeit im Hafen lassen sich illegale Ladungen leichter unterjubeln. Wenn die problematische Fracht in Ghana ankommt, haben auch die europäischen Behörden längst versagt. Viele Schiffe kommen von Rotterdam und anderen europäischen Häfen, wo ihre Fracht offenbar unbemerkt blieb oder über fragwürdige Kanäle freigegeben wurde. Im Falle von Handy-Akkus ist es für die Müll-Mafia zudem ein besonders Leichtes, diese innerhalb einer großen Fracht zu verstecken.
Ein Gesetz der Regierung in Ghana, das härtere Strafen für illegale Müllgeschäfte vorsieht, wartet derzeit noch auf Absegnung. Und auch die 2012 überarbeiteteEU-Richtlinie, die Elektronikschrott eindämmen, die Verwendung von gefährlichen Stoffen reduzieren und die Wiederverwertung verbessern soll, hat die Situation in Ghana und China noch nicht spürbar verbessert. Auch scheinbar fachgerecht entsorgter Müll – etwa von Recyclingfirmen – dürfte immer wieder in diesen Regionen handeln.
Reparatur teurer als Neukauf
Neben der Politik sind aber auch Konsumenten und Hersteller gefragt, sind sich Experten einig. Für Kritik sorgt der von Apple etablierte Trend, Smartphones und Notebooks so zu gestalten, dass sie mit einfachen Mitteln nicht mehr repariert werden können.
„Wenn die Reparatur mehr kostet, als ein neues Produkt zu kaufen, ist das absurd. Da könnte die Politik schon entgegenwirken – etwa, indem sie ein Mindestmaß an Reparierbarkeit vorschreibt oder auch die Mehrwertsteuer auf Reparaturen senkt. Das hat etwa Schweden getan“, sagt die Ökologin Lisa Kernegger von Global 2000zur futurezone.
Länger verwenden
Ähnlich sieht das Entwicklungsexperte Konrad Rehling von der Organisation Südwind: „Am wichtigsten wäre es, die Nutzungsdauer von elektronischen Geräten zu verlängern. Modular aufgebaute Geräte, bei denen ich als Konsument selber Teile wie den Akku oder die Festplatte austauschen oder gar aktualisieren kann, tragen dazu wesentlich bei", erklärt Rehling. Leider geht der Trend – abgesehen von Herstellern wie dem Fairphone – aber gerade in eine ganz andere Richtung“, erklärt Rehling.
Das Thema Elektroschrott müsse angesichts der verwendeten nicht nachwachsenden Rohstoffe zudem als Teil der gesamten Liefer- und Wertschöpfungskette betrachtet werden.
44,7 Millionen Elektromüll
Zu diesem Schluss kommt auch der gerade präsentierte Elektroschrott-Bericht der Vereinten Nationen. So wurden im Jahr 2016 gerade einmal 20 Prozent der 44,7 Millionen Tonnen Elektromüll recycelt. Den Wert der in Elektroschrott vorhandenen Materialien wie Gold, Silber, Kupfer, Platin und Palladium sowie anderer Rohstoffe schätzen die Vereinten Nationen auf 55 Milliarden Dollar.
In den kommenden vier Jahren soll der Umfang an Elektroschrott und damit wohl auch die durch Recycling erzielbare Wertschöpfung um weitere 17 Prozent steigen. Auch die Technologiekonzerne haben das Problem längst erkannt, zumal die Verfügbarkeit gewisser Rohstoffe ohne Recycling nur mehr begrenzt gewährleistet werden kann.
Der österreichische Leiterplattenhersteller AT&S warnt in seinem Nachhaltigkeitsbericht 2016 davor, dass verarbeitete Rohstoffe wie Gold, Silber, Blei, Zinn, aber auch das Schwermetall Antimon ohne entsprechende Recycling-Maßnahmen nur mehr ein bis zwei Jahrzehnte abgebaut werden können. Auch Apple philosophiert in seinem aktuellen Umweltbericht PR-wirksam darüber, sämtliche wertvolle Materialien aus dem Recycling alter Geräte zu gewinnen.
Lange Verwendung am nachhaltigsten
Da es bis dahin noch ein weiter Weg ist, bliebt für umweltbewusste Konsumenten eigentlich nur übrig, ihre Geräte möglichst lange zu verwenden. „Funktionierende Geräte sollten nicht in der Schublade oder im Müll landen, oft können sie in der Familie weitergegeben werden“, sagt Rehling.
Eine weitere Möglichkeit, um den Lebenszyklus von Elektronik zu verlängern, ist der Verkauf seiner nicht mehr gebrauchten Geräte an Plattformen wiezoxs.at,wirkaufens.at,flip4new.deoderrebuy.de, welche jene gesäubert und überholt wieder weiterverkaufen.
Ähnliches gilt natürlich auch, wenn man selber ein gebrauchtes Gerät kauft. Damit wird dieses weiterverwendet und es lässt sich auch noch Geld sparen. Manche Firmen wie das steirische Unternehmen Compuritas bietet gebrauchte, überholte Geräte auch dezidiert für Vereine, Schulen und andere Institutionen an.
Fachgerechte Entsorgung
Sollte ein elektronisches Gerät tatsächlich nicht mehr funktionieren und auch nicht reparierbar sein, muss es fachgerecht entsorgt werden. In Österreich sind die rund 2000 Rücknahme- und Entsorgungs- stellen der Gemeinden und Städte die erste Adresse. Die Rücknahme ist kostenlos, unabhängig wo das Gerät gekauft wurde. Der abgegebene Elektromüll wird fachgerecht recycelt, giftige Stoffe entsorgt.
Auch größere Händler mit einer Verkaufsfläche von über 150 Quadratmeter sind laut Gesetz verpflichtet, beim Kauf eines gleichwertigen Neugerätes das nicht mehr benötigte gratis zurückzunehmen. Ähnliches gilt für Händler in Deutschland, wo es aber immer wieder auch zuProblemen bei der Rücknahmekommen soll.
"Gebe sicher nicht auf"
Umweltjournalist Mike Anane will den Kampf gegen den Elektromüll trotz aller Rückschläge nicht aufgeben. „Natürlich kann es sehr frustrierend sein, wenn man gegen diese international agierenden, kriminellen Organisationen nicht ankommt. Umso wichtiger ist es aber, unermüdlich auf das Problem hinzuweisen und das Bewusstsein in der Bevölkerung, bei Konsumenten, Herstellern und Politikern zu schärfen. Eines Tages werden wir mit unserer Botschaft durchkommen. Bis dahin gebe ich sicher nicht auf“, sagt Anane im Gespräch mit der futurezone.