Forscher: Gewalt in Computerspielen ist nicht primitiv
„Erst nachdem wir jede Menge Schaden angerichtet hatten, wurden wir von einer Panzerfaust in die Luft gesprengt. Zufrieden waren wir aber allemal.“ So fasst der Kulturwissenschaftler Christoph Bareither (Universität Tübingen) in seiner Doktorarbeit ein Gefecht in einem Computerspiel zusammen, an dem er mit anderen Spielern teilgenommen hatte. Insgesamt spielte Bareither hunderte Stunden selbst bei diversen Spiele mit, um virtuelle Gewalt zu erforschen. Am 8. November erhält er für seine Dissertation in Berlin den Studienpreis der Körber-Stiftung aus den Händen von Bundestagspräsident Norbert Lammert.
Wie Kino oder Fußball
Gewalt in Computerspielen bereitet Spielern nach Bareithers Erkenntnissen ein „hochkomplexes Vergnügen“: Sie erlebten Dominanz und Freude, Hochs und Tiefs, ja sogar Mitleid und Schuldgefühle. „Es steht dem Kinobesuch oder dem Fußballspielen in nichts nach“, sagte Bareither der Deutschen Presse-Agentur. Und betont: Er wolle virtuelle Gewalt nicht verharmlosen. Gleichwohl müsse man das Potenzial der Spiele, Emotionen hervorzurufen, anerkennen. „Sonst grenzt man alle Computerspieler aus und es kommt zu keiner vernünftigen Debatte.“ Diese sei nötig, um eine angemessene Kritik an virtueller Gewalt jenseits moralischer Vorurteile zu ermöglichen.
Für manchen mögen Bareithers Ergebnisse nach streitbaren Thesen klingen. „Ich würde das voll unterschreiben“, sagt dagegen der Computerspielforscher Prof. Maic Masuch (Universität Duisburg-Essen). Er gab Ende der 90er Jahre erste Computerspiel-Seminare, weil er selbst gern spielte und besetzte Deutschlands wohl erste Professur in diesem Bereich. Er betont, viele Spiele lägen heute auf hohem erzählerischem Niveau, Charaktere seien vielschichtig - und manche Spieler setzen sich über Jahre mit einem Spiel auseinander. „Das geht dann sogar weit über einen Kinobesuch hinaus“, sagt Masuch.
Anders als in Masuchs Anfangszeit hat Computerspielforschung heute an vielen deutschen Universitäten Einzug gehalten. Die Zugänge und Methoden variieren je nach Disziplin: Informatiker und Politikwissenschaftler mischen in dem Feld ebenso mit wie die Geisteswissenschaften - mit unterschiedlichen Methoden.
"Killerspiele" als Sündenbock
Bei der Computerspielforschung standen mögliche Wirkungen, gerade von „Gewaltspielen“, lange im Fokus. Etwa nach dem Amoklauf von Winnenden 2009 hoffte man auf Erkenntnisse. Doch diese blieben uneinheitlich. Nach Masuchs Einschätzung ist es „ungeheuer schwierig“, bei Computerspielen überhaupt Prinzipien von Ursache und Wirkung herzuleiten. Pauschalisierte Aussagen wie „15 Minuten Konsum von Gewaltdarstellungen pro Tag machen Jugendliche gewalttätig“ klängen zunächst naheliegend, seien aber wissenschaftlich unhaltbar. Sinkende Empathie durch viele Gewalterlebnisse am Computer hält aber auch Masuch in der Gesamtwirkung für wahrscheinlich.
Die eine eindeutige Antwort gibt es vielleicht gar nicht: Der Psychologe Dietrich Dörner (Universität Bamberg) nannte „Killerspiele“ einmal den „geborenen Sündenbock“: Sie ersparten jedes Nachdenken über tatsächliche Gewaltursachen.
Auch Bareither schließt mögliche Wirkungen von Spielen auf die Spieler nicht aus, wie er sagt. Für ihn ist die zentrale Frage aber, was die Spieler mit den Spielen machen und was sie damit erleben. Um das zu erforschen, knüpfte er Kontakte in die Szene und wurde zum Mitspieler. „Ich habe ein detailliertes Forschungstagebuch geführt auf einem Laptop neben dem Spielen“, sagt Bareither. Darin hielt er das Spielgeschehen ebenso fest wie die Äußerungen der Mitspieler: Ausrufe wie „Bäm!“ oder „Wie die wegfliegen, wie lustig!“ beim Erschießen von Gegnern.
Selbstreflexion beim Spielen
Manche Äußerungen fand Bareither durchaus bedenklich, wie er sagt. Hasstiraden und Lachen, etwa während eines virtuellen Amoklaufs, bewegten sich „an einer Tabugrenze“. Als Spiel mit dem Tabubruch ordnet er auch ein, dass Mitspieler sich in einem historischen Spiel als Deutsche „natürlich“ auf die Seite der Wehrmacht schlugen.
Allerdings beobachtete Bareither immer wieder auch Momente, in denen Gewalt unvergnüglich wird und Spieler das auch wahrnehmen. Ein Unwohlsein habe er zuerst an sich selbst, später bei anderen bemerkt. Bareither analysierte YouTube-Videos und Computerspielzeitschriften und führte Interviews mit Spielern. Manche seien dabei zu Erkenntnissen gelangt wie „Eigentlich ist da ja ziemlich krass, was wir hier machen“, erzählt Bareither. „Andere sind hochgradig selbstreflexiv.“ Unter Spielern werde darüber aber nicht gesprochen. „Da steht Spaß im Mittelpunkt.“
Als Forscher selbst derart involviert zu sein, sei generell problematisch, erläutert Masuch. „Es kann sehr schwierig sein, die nötige Neutralität und Distanz herzustellen.“ Für Bareither war das - natürlich nur im Spiel - eine Frage von Leben und Tod: Sein Avatar wurde oft erschossen, weil er gerade Notizen machte und abgelenkt war.