Der Steinzeitbildschirm
Im Vorland des Kilimandscharo, an der Grenze zwischen Kenia und Tansania, liegt Amboseli, in der Sprache der Massai die „leere Weite". Hier brannten vor etwa einer halben Million Jahren die ersten menschlichen Lagerfeuer, und hier hat sich in den Köpfen unserer Urvorfahren das gebildet, was wir heute Bewusstsein nennen. Eine Schlüsselrolle dabei hat die Beherrschung des Feuers gespielt. Im Schutz der Flammen, die von allen anderen Lebewesen gefürchtet werden, konnte der Mensch zum ersten Mal die ununterbrochene kreatürliche Anspannung in einer lebensgefährlichen Umwelt ablegen.
Am Ende einer leuchtenden Spur durch die Geschichte steht nun der Computer als aktueller Höchststand unserer Fertigkeit, das Feuer zu beherrschen. Denn was ist ein Bildschirm anderes als ein Ofenloch, in dem ein kaltes Feuer glüht? Ein vernetzter Rechner ist nichts anderes als ein weltweit wirksamer Schürhaken.
Der Computer erlaubt uns nun die Kontrolle über jedes Funkenpixel am Bildschirm. Heute sitzen die Nachfahren der alten Schamanen und Magier programmierend vor den modernisierten Feuern und lassen, wie seit Jahrtausenden in der Branche üblich, mit Hilfe eines undurchsichtigen Brimboriums aus codierten Beschwörungsformeln ihre Visionen erscheinen, nunmehr auf Monitoren. Der Bildschirm ist das Lagerfeuer unserer Zeit.
Ins Feuer schauen
Aber auch das analoge Feuer ist nicht verloschen. Neben der arbeitsteiligen Trennung der Grundfunktionen des Feuers, von Licht und Wärme, existiert auch die dritte und bemerkenswerteste Eigenschaft der züngelnden Flammen weiter: die Traumbildung.
Naturerscheinungen wie Ozeane, Flüsse oder eben das Feuer üben eine zu tiefste Faszination aus. Obwohl sie monoton zu sein scheinen, können Menschen ihnen stundenlang zusehen, ohne gelangweilt zu sein. Aus ihrer Vielgestaltigkeit - jede Welle, jede Flammenzunge ist anders - läßt sich das Bewußtsein zu immer neuen Imaginationen anregen. Jeder schaut gern ins Feuer, daran hat sich auch nach Hunderttausenden von Jahren nichts geändert.
Und natürlich gab es schon von frühesten Zeiten an mobile Formen von Feuer - Kienspäne, Fackeln, Glutkästchen, Petroleumlampen, Gasfeuerzeuge. Was noch fehlte, war das mobile Lagerfeuer. Ich meine nicht die elektrisch hinterleuchteten Glutattrappen, wie die Engländer sie so lieben, sondern etwas wie das Travelmate Kofferfeuer, das man mit sich herumtragen kann und „das die Idee einer Feuerstelle komplettiert“.
Da der moderne Mensch sich ungern festlegt, stehen immer mehr Möbel fahrbar auf Rollen und können jederzeit anderswohin. Auch Tätigkeiten sind immer freier transformierbar - jemand, der heute Wirtschaftsminister war, kann morgen Verteidigungsminister sein. Der Computer schließlich macht aus der begrenzten Faschingszeit ein ganzjähriges Kostümfest der Ideen und Werkzeuge – eine Maschine, die sich zunehmend erfolgreich in alle anderen Maschinen verwandelt. Das Kofferfeuer ist ein Gipfelpunkt dieser frei flottierenden Unentschiedenheit.
Drinnen oder draußen
Wer sich nicht entscheiden kann, ob der Kamin drinnen oder draußen seinen Flammenschein verbreiten soll, dem ist der 25 Kilogramm schwere, weiße Ethanol-Kamin in der griffbereiten Handgepäcksform zugedacht. Besonders in der Übergangszeit wie jetzt zum Frühling hin ziehen solche sehnsüchtige Ambivalenzen den Menschen hinab in seine stammesgeschichtlichen Tiefen. Oder wie der Reisekamin-Designer es ausdrückt: „Die Technologie des rauchfreien Feuers bietet vor allem Eines: das Loslösen des Feuers von einem festen Standort in der Wohnung.“
Zwar gibt es die Technologie der Loslösung des Feuers vom festen Standort bereits - sie heißt Zimmerbrand -, jedoch findet sie sich in dem Kofferfeuer in gebändigter, also kulturell wertvoller Form. „Die formale Anlehnung an einen stilisierten Reisekoffer kommuniziert unmissverständlich eine Ortsungebundenheit des Objektes“, vermerkt der Schöpfer desselben.
Kamillentee grillen
Und auch Träume steigen nach wie vor auf aus dem Feuer, auch wenn es nur der bleiche, blaugelb hingewackelte Schein von brennendem Alkohol ist. So fiel mir in Anbetracht dieser Lagerfeuerabsurdität ein fast vergessener Comic-Held meiner Kinderzeit ein: Coco Bill. Der irre Cowboy des Zeichners Benito Jacovitti war umgeben von Abstrusitäten - Salamiwürsten, die laufen konnten, Reitern mit vier Beinen auf zweibeinigen Pferden oder Lokomotiven, die ihre Gleise untergeschnallt hatten. Und natürlich sitzt Coco Bill abends am Lagerfeuer – und grillt sich eine Tasse Kamillentee.