Meinung

Meinungen im Kombipack

Wir können völlig unterschiedliche Meinungen über Taylor Swift haben und trotzdem dieselbe Partei wählen. Wir können in Bezug auf Gendersprache unterschiedlicher Ansicht sein, aber dieselbe Meinung über den Nahostkonflikt vertreten. Es gibt keinen Grund, warum die Meinung über das eine mit der Meinung über das andere etwas zu tun haben sollte.

Aber der Alltag zeigt uns ein anderes Bild: Bestimmte Meinungen scheinen auf fast magische Weise miteinander in Verbindung zu stehen, wie verschränkte Quantenteilchen. Wer an das eine glaubt, glaubt mit hoher Wahrscheinlichkeit auch an das andere – selbst wenn es sich um weit voneinander entfernte Themen handelt.

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Wer hier querdenkt, denkt auch dort quer?

Seit der Corona-Pandemie scheint dieser Effekt immer deutlicher zu werden: Wer Corona-Maßnahmen unnötig fand und Impfungen schrecklich gefährlich findet, zeigt heute auffällig oft Verständnis für Putins Angriffskrieg auf die Ukraine. Verblüffend häufig findet man dann auf denselben Social-Media-Profilen auch noch Klimawandel-Leugnung oder auch Sympathie für Donald Trump. Logisch hängt das zwar nicht zusammen, aber gewisse Meinungen treten mit hoher Zuverlässigkeit immer wieder im Kombipack auf.

Es ist naheliegend, dahinter einen ausgeklügelten Plan zu vermuten. Vielleicht stecken bezahlte Troll-Farmen dahinter? Russische Propaganda, die Millionen Menschen über zwielichtige Online-Medien merkwürdige Meinungen in die Köpfe hämmert? Da mag in bestimmten Fällen vielleicht etwas Wahres dran sein, aber auch bei solchen Verschwörungstheorien sollte man skeptisch bleiben. Auch mit einem großzügigen Propaganda-Budget kann man Meinungen nicht nach Belieben steuern. Man kann höchstens Tendenzen verstärken, die ohnehin bereits in weiten Teilen der Bevölkerung schlummern.

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Ein dummer Fehler, den jeder macht

Vielleicht ist es hilfreicher, diesen Meinungs-Kombipack-Effekt als einen ganz natürlichen menschlichen Fehler zu betrachten, dem sich niemand ganz entziehen kann. Mal ehrlich: Haben wir nicht alle schon Meinungen als wahr akzeptiert, einfach weil die Person, die uns davon erzählt hat, schon vorher mal unserer Meinung war? Oder vielleicht betreiben wir dasselbe Spiel oft auch umgekehrt: Ein Politiker, den ich nicht mag, fordert etwas? Dann muss es garantiert gefährlicher Unsinn sein! Das ist natürlich genauso irrational. Theoretisch könnte ein ekliger antidemokratischer Polit-Flegel morgen erstaunlicherweise eine originelle, höchst wertvolle Idee präsentieren. Dann muss ich ihn immer noch nicht gut finden – aber in diesem einen Punkt sollte ich ihm dann fairerweise zustimmen. Ablehnung im Kombipack ist genauso falsch wie Zustimmung im Kombipack.

Meinungsverschiedenheiten zulassen anstatt alles angleichen

Vielleicht ist das etwas, was man bewusst trainieren kann: Es emotional auszuhalten, dass wir in manchen Punkten derselben, in anderen Punkten unterschiedlicher Meinung sind. Das ist ok. Man muss sich nicht immer einigen. Ein Gesangsverein braucht eine einheitliche Position über die Auswahl der Lieder für das Herbstkonzert. Eine einheitliche Position zur Energiewende braucht er nicht. Im Gegenteil: Vielleicht ist es sogar gut, wenn man in der Probenpause über politische Fragen streiten kann. Das gehört zur demokratischen Meinungsbildung dazu. Sich sauber und geordnet in meinungs-homogene Splittergruppen zu segregieren, ist keine Demokratie.

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Und umgekehrt darf man auch mal eine Aussage von Leuten gut finden, denen man trotzdem bei der nächsten Wahl aus tiefster Seele den allerschmerzlichsten Absturz wünscht.

Wir dürfen bei jedem Thema über unsere Meinung separat entscheiden. Wir müssen nicht Themen im Kombipack übernehmen. Das macht unseren persönlichen Meinungsfindungsprozess manchmal etwas mühsamer, komplizierter und unübersichtlicher, aber das ist gut so.

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Florian Aigner

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen, schreibt er regelmäßig auf futurezone.at und in der Tageszeitung KURIER.

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