BOSNIA-TOURISM-HEALTH-ARCHAEOLOGY
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Meinung

Die Pyramiden von Bosnien

Der Hügel Visočica sieht für Hügelverhältnisse recht regelmäßig aus – zumindest wenn man ihn von der richtigen Seite betrachtet.

Man kann schon ein bisschen ehrfürchtig werden, wenn man sich bewusst macht, dass die ägyptischen Pyramiden von Gizeh bereits seit viereinhalb Jahrtausenden für Staunen sorgen. Wie kann man dieses wunderschöne historische Bauchkribbeln noch verstärken? Ganz einfach: Indem man noch größere, noch ältere Pyramiden findet.

Genau das sei ihm gelungen, glaubt der aus Bosnien stammende Bauunternehmer Semir Osmanagić. Mitten in Bosnien steht nämlich der Hügel Visočica – und der, so versichert Osmanagić, ist in Wirklichkeit gar kein Hügel, sondern die gigantische „Pyramide der Sonne“, errichtet vom Volk der Illyrer, vor 12.000 Jahren. Mindestens. Möglicherweise sogar schon vor 30.000 Jahren.

Geologisch erklärbar

Tatsächlich sieht der besagte Hügel für Hügelverhältnisse recht regelmäßig aus – zumindest wenn man ihn von der richtigen Seite betrachtet, kann man mit etwas gutem Willen schöne gerade Kanten erkennen. Und wenn man ein bisschen gräbt, dann stößt man dort und da auf Steinplatten mit gleichmäßiger Dicke, als hätte man sie nach wohldurchdachtem Plan aus einem Steinbruch herausgeschlagen. Manchmal bestehen diese Platten auch aus kleineren Steinchen, die ähnlich wie Waschbeton fest miteinander verbunden sind – ein prähistorischer Verbundwerkstoff?

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Für die Fans der bosnischen Pyramide ist die Sache klar: Das kann nur das Werk früher Hochkulturen sein! Auch einige andere Hügel rundherum wurden zu Pyramiden erklärt. Aus geologischer Sicht hingegen gibt es eine andere, deutlich weniger spektakuläre Erklärung: Über Millionen Jahre hat sich dort nämlich ein großer See befunden. Die Ablagerungen am Boden des Sees erzeugten viele dünne Schichten und wurden zu festem Gestein – das entlang dieser Schichten allerdings leicht bricht und somit auf ganz natürliche Weise Platten mit ziemlich glatten Oberflächen bildet. Man kennt dieses Phänomen auch aus anderen Gegenden.

Die Illyrer, die laut Pyramiden-Fans für diese Steinbauten verantwortlich sein sollen, lebten zwar tatsächlich in der Balkangegend, allerdings sind sie dort erst ungefähr seit dem 5. Jahrhundert v.Chr. belegt, nicht seit 12.000 oder gar 30.000 Jahren. Expertinnen und Experten aus Archäologie und Geschichtsforschung, die sich die angeblichen bosnischen Pyramiden näher angesehen haben, kommen zu einem ganz klaren Ergebnis: Es handelt sich um natürlich entstandene Hügel. Gesteinsfunde lassen sich entweder geologisch erklären, oder es handelt sich um Wasseranlagen oder Minenstollen aus dem Mittelalter.

Doch warum sollte man sich von Fakten beirren lassen, wenn man ohne sie ein gutes Geschäft machen kann? Und so wurden die bosnischen Pyramiden zum Magneten für querdenkerisch veranlagte Touristenströme. Besonders fantasievolle Leute finden angebliche Verbindungen zum Atlantis-Mythos oder anderen pseudo-historischen Erzählungen.

Schäden für echte Forschung

Das könnte man nun einfach milde belächeln – doch ganz harmlos ist die Sache nicht. Die echte bosnische Archäologie leidet nämlich darunter. Öffentliches Geld wurde für „Forschungen“ an den angeblichen Pyramiden ausgegeben – Geld, das dann der wissenschaftlichen Archäologie fehlt. Und eigentlich gäbe es gerade in Bosnien allerlei zu erforschen: Bosnien dürfte eine der letzten Zufluchtsgegenden der Neandertaler gewesen sein, das Gebiet ist seit Jahrtausenden besiedelt, aus ganz unterschiedlichen Epochen gäbe es dort einiges zu erkunden.

Doch wenn Ausgrabungs-Amateure in der Gegend herumgraben, um ihre These von der großen „Pyramide der Sonne“ zu bestätigen, dann besteht die Gefahr, dass echte, wissenschaftlich tatsächlich interessante Funde nicht fachgerecht aufgearbeitet werden, vielleicht sogar zerstört werden und für immer verloren sind.

Es ist prinzipiell großartig, wenn wissenschaftliche Forschung in Kooperation mit der lokalen Bevölkerung stattfindet, wenn nicht-akademische Wissenschaftsfans in ihrer Freizeit wissenschaftliche Fakten zusammentragen – man bezeichnet das als „Citizen Science“. Gerade in der Geschichtsforschung kann das gut funktionieren. Das Beispiel der bosnischen Pyramiden zeigt aber auch: Wenn sich diese Arbeit von fundierter, wissenschaftlicher Forschung ganz abkoppelt, dann entsteht mehr Schaden als Nutzen.

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Florian Aigner

Florian Aigner ist Physiker und Wissenschaftserklärer. Er beschäftigt sich nicht nur mit spannenden Themen der Naturwissenschaft, sondern oft auch mit Esoterik und Aberglauben, die sich so gerne als Wissenschaft tarnen. Über Wissenschaft, Blödsinn und den Unterschied zwischen diesen beiden Bereichen, schreibt er regelmäßig auf futurezone.at und in der Tageszeitung KURIER.

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