2 Buckelwale im Ozean

2 Buckelwale im Ozean 

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Science

Kein zurück mehr: Ein Warnsystem für das kippende Klima

Der Klimawandel ist menschengemacht – daran besteht kein Zweifel. Dennoch gibt es in der Klimaforschung einige Unsicherheiten. Ein Beispiel dafür sind Kipppunkte. Das sind Teile des Erdsystems, die, wenn sie überschritten werden, zu erheblichen Veränderungen des Klimas führen können. 

„Wir wissen, dass sich diese Systeme abrupt verändern können. Wir haben aber nicht genug Daten, um zu sagen, wann und wie schnell diese Elemente des Klimasystems kippen“, sagt Carl-Friedrich Schleussner vom International Institute for Applied System Analysis (IIASA). 

Das riskante Experiment mit den Kipppunkten

Er vergleicht die Situation mit einer Autofahrt, bei der wir mit Vollgas durch den Nebel fahren: Es kann gut gehen. Meistens jedoch nicht und das Risiko eines schweren Unfalls ist groß. „Genau das ist, was wir auch mit unserem Treibhausgasausstoß in Bezug auf die Kippelemente tun“, erklärt der Wissenschaftler. 

Ein internationales Forschungsprojekt möchte nun Licht ins Dunkel bringen. Insgesamt 27 Forschungsteams arbeiten in den nächsten 5 Jahren an einem Frühwarnsystem für Kipppunkte. Dabei helfen Künstliche Intelligenz, Sensoren und Unterwasserroboter.

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Fakten

Paris
Das Pariser Abkommen sieht vor, dass die globale Erwärmung bis 2100 1,5 Grad Celsius im Vergleich zum Jahr 1850 nicht überschreiten soll.

Grönland 
Forscher schätzen, dass der Grönlandeisschild bei 1,5 Grad Erwärmung stark schrumpfen könnte, was den Meeresspiegel um etwa 7 Meter ansteigen ließe.

Nordatlantik 
Bei 1,8 Grad Erwärmung könnte der nordatlantische Subpolarwirbel kollabieren. Das kann zu extremen Wetterereignissen in Europa und Nordamerika führen.

Die Warnung der Korallen

Ein bekannter Kipppunkt, der Wissenschaftlern Sorgen bereitet, sind Korallenriffe. Die immer öfter auftretenden Korallenbleichen durch marine Hitzewellen sind ein Anzeichen dafür, dass das System bereits kippt – und das, obwohl die mittlere globale Erwärmung noch bei 1,3 Grad Celsius liegt.  

Die britische Advanced Research and Invention Agency (Aria) investiert umgerechnet rund 97 Millionen Euro. Das Geld soll verwendet werden, um mehr Daten zu Schwellenwerten zu sammeln und Anzeichen eines Kippens zu erkennen. 

Kipppunkte im Fokus 

Zwei Kipppunkte stehen dabei im Fokus: Zum einen das grönländische Eisschild. Durch den Treibhausgasausstoß erwärmt sich der Planet, was dazu führt, dass die massiven Eisflächen schmelzen. Das könnte zu einem meterhohen Anstieg des Meeresspiegels führen, wodurch zahlreiche Küsten unter Wasser stehen würden. 

Der zweite Kipppunkt, den sich die Forscherinnen und Forscher genauer ansehen, heißt nordatlantischer Subpolarwirbel (SPG). Er ist ein Teil der nordatlantischen Ozeanströmung. Es wird befürchtet, dass diese in naher Zukunft zusammenbrechen könnte. Das würde das Wetter durcheinanderbringen, zu harten Wintern führen und unsere Lebensmittelversorgung in Europa stark gefährden. 

Schlafende Riesen

„Was wir mit unseren Emissionen machen, ist ein gigantisches Experiment mit unserem Planeten. Diese Kippelemente des Erdsystems sind wie schlafende Riesen, die wir gerade aufwecken“, betont Schleussner. Deshalb sieht er das Projekt als wichtigen Beitrag zur Klimaforschung. 

Um das Frühwarnsystem umzusetzen, kommt unterschiedliche Technik zum Einsatz. Ein Team konzentriert sich auf Plankton. Das sind mikroskopisch kleine Organismen in den Ozeanen, die ganze Ökosysteme ernähren und Einfluss auf den Kohlenstoffkreislauf haben. Die Organismen reagieren auch sensibel auf Umweltveränderungen. Um Daten zu Planktonpopulationen zu erhalten, werden Sensoren an Schiffen und Walen in Grönland und Island angebracht.  

Weiters werden Echtzeitdaten, beispielsweise zu Salzgehalt oder Temperatur, über den Zustand des SPG im Atlantik gesammelt. Dabei kommen autonome Unterwasserroboter zum Einsatz.

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Kein zurück? 

„Je länger wir uns in einem Temperaturbereich von über 1,5 Grad bewegen, desto höher ist das Risiko, dass die Systeme kippen“, sagt  Schleussner. Das große Problem dabei: „Wenn ein Kippen eines Systems einmal ausgelöst ist, können wir das nicht einfach wieder rückgängig machen.“

Ein weiteres Forschungsteam arbeitet an einem „digitalen Zwilling“. Dabei werden Daten aus Vergangenheit und Gegenwart genutzt, um ein präzises Abbild des SPG und Grönlandeises zu erstellen. Mithilfe von Künstlicher Intelligenz und Computersimulationen sollen dann kritische Schwellenwerte identifiziert werden, ab denen ein Kipppunkt überschritten wird. 

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Mehrere Kipppunkte könnten schon bei 1,5 bis zwei Grad Celsius überschritten werden. Derzeit steuern wir auf eine mittlere globale Erwärmung von bis zu drei Grad zu. Ein Ergebnis des Forschungsprojekts kann Schleussner deshalb schon jetzt verraten: „Wir müssen unsere Emissionen so schnell wie möglich auf null bringen, um das Risiko eines Kippens zu reduzieren.“

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Sandra Czadul

Begeistert von Wissenschaft und stets auf der Suche nach Ideen, die uns voranbringen.

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