Meinung

Tote stalken

Vor einigen Tagen kam sie wieder einmal, diese Nachricht: Es ist jemand gestorben. Jemand, den man kannte, nicht besonders gut, aber doch. Es gibt ein paar Erinnerungen zu der Person, ein paar Bilder im Kopf. Von früher. Ich stelle sie mir kurz vor, diese Frau, die dem Krebs viel zu jung zum Opfer fiel, dann mache ich weiter mit all dem, was man an einem Montagabend halt so tut.

Ein paar Tage später fällt sie mir wieder ein, ich sitze vor dem Rechner in der Arbeit und tippe ihren Namen in die Facebook-Suche ein: Tatsächlich, sie hatte ein Profil, das wusste ich gar nicht. Erst jetzt, nachdem sie verstorben ist, komme ich auf die Idee online nach ihr zu suchen. Ich scrolle durch ihre Timeline, klicke durch ihre Fotos, alles schon ein bisschen älter, zuletzt hat sie wohl nichts mehr gepostet. Ich fühle mich extrem komisch dabei, wie ich durch die digitalen Überbleibsel stöbere, aufhören kann ich aber irgendwie auch nicht. Nach einigen Minuten starre ich dann nochmal auf ihr Profilbild und denke: Dieser Mensch lebt nicht mehr. Es ist surreal.

Es ist natürlich längst nicht das erste Mal, dass ich mit Verstorbenen auf irgendwelchen Social-Media-Plattformen konfrontiert bin oder mich selbst konfrontiere. Aber ich fange an, mehr darüber nachzudenken, je häufiger ich in die Situation komme: Wie das sein wird in Zukunft, wenn immer mehr Menschen nicht mehr sein werden, die ihre Nutzerkonten auf Twitter, Facebook und so weiter zurückgelassen haben. Und wie wir bzw. ich damit umgehen. Ob es sich irgendwann nicht mehr so seltsam anfühlen wird, ob der Tod dann auch auf Facebook einfach zur Normalität wird, ob wir uns überhaupt als Gesellschaft zu “gemeinsamen Spielregeln” durchringen werden, was mit dem digitalen Nachlass, all den zurückgelassenen Daten geschieht oder geschehen sollte.

Sie werden mehr

Die Auseinandersetzung wird uns jedenfalls alle immer stärker betreffen, desto mehr Menschen ihr Leben auch online führen. Der Kontakt zu den Toten im Netz ist vielfältig. Da gibt es Twitter-Follower, die nicht mehr leben und mir manchmal wieder unterkommen. Da gibt es Selbstmordfälle, die in meine Timeline gespült werden - ich lese die letzten Tweets von Personen, bevor sie sich das Leben genommen haben. Es gibt lange Leidensgeschichten von Kranken, die sich bewusst damit in die Öffentlichkeit begeben und dann irgendwann nicht mehr da sind.

Manche Profile werden nach dem Tod von den Angehörigen übernommen und zur Erinnerung an die Person genutzt. Manche werden entfernt, und sehr viele werden einfach vergessen. Die bleiben dann so stehen, als wären die Menschen dahinter immer noch da. Da kann es auch passieren, dass man in der Geburtstagsliste daran erinnert wird, einem Toten zu gratulieren. Auch das fühlt sich ziemlich seltsam an.

Keine allgemeinen Antworten

Allein Facebook hat derzeit 1,4 Milliarden aktive User - die alle früher oder später sterben werden. Es gibt die Möglichkeit, in seinen Einstellungen festzulegen, wem der Account (exklusive privater Nachrichten) übergeben wird, wenn einem etwas zustößt. Auch Google bietet so etwas an. Die Frage um den digitalen Nachlass beschäftigt gleichzeitig bereits die Gerichte, aber das ist nur ein Aspekt des Themas. Die größere, wahrscheinlich tiefer gehende Frage ist eine emotionale und persönliche: Das Sterben und das Totsein wird breiter zugänglich, öffentlicher, auch wenn es “nur” im Social-Media-Freundeskreis passiert. Ich hätte keinen Zugang zu Fotos und Erlebnissen dieser verstorbenen, entfernten Bekannten gehabt, würde es Facebook nicht geben. Diese persönliche Hinterlassenschaft wäre dem engsten Freundes- und Familienkreis vorbehalten gewesen.

Ob das nun gut oder schlecht ist, ob es überhaupt eine Rolle spielt, muss wohl jeder für sich definieren. Gedanken um meinen eigenen digitalen Nachlass hab ich mir bislang jedenfalls nicht gemacht.

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Claudia Zettel

ClaudiaZettel

futurezone-Chefredakteurin, Feministin, Musik-Liebhaberin und Katzen-Verehrerin. Im Zweifel für den Zweifel.

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