Netzpolitik

Aktivisten fordern Gesetz für Netzneutralität

Sie werden auf der #DNP12-Konferenz, die dieses Wochenende in Wien stattfinden wird, eine Kampagne für Netzneutralität in Österreich vorstellen. Wie wird diese Kampagne ausschauen und wer steckt dahinter?
Die Initiative für Netzfreiheit und der Verein für Internet-Benutzer Österreichs haben die Kampagne zusammen geplant. Sie beschäftigt sich explizit mit dem Thema Netzneutralität aus der Perspektive der Zivilgesellschaft. Ausgangspunkt im Web dafür ist unsernetz.at.

Was wollen Sie damit erreichen?
Wir wollen damit vor allem aufzeigen, wie wichtig ein neutrales Internet für die unterschiedlichsten Teile unser Gesellschaft ist. Den wenigsten Menschen ist dieser Begriff bekannt und die wenigsten haben eine konkrete Vorstellung davon, wieso Netzneutralität sie betrifft. Allerdings geht es auch noch um etwas Anderes: Wir wollen eine gesetzliche Festschreibung der Spielregeln, die im Internet herrschen sollen. Wir wollen die Grundsätze, die architektonischen Prinzipien, die das Netz groß gemacht haben, die für den Erfolg des Internets verantwortlich sind, geschützt wissen. Es geht uns um die Wahrung der Freiheit im Internet.

Macht es für Sie einen Unterschied als Aktivist, wenn Sie plötzlich für etwas eintreten und nicht gegen etwas mobilisieren?
Es macht noch mehr Spaß, aber Sie haben recht, es ist etwas Anderes. Bis jetzt waren wir tatsächlich immer in der Defensive. Wenn man sich die Kampagnen in Österreich anschaut im letzten Jahr waren das alles Negativ-Kampagnen. Wir wollten etwas verhindern, egal ob das jetzt die Vorratsdatenspeicherung war oder ACTA. Hier ist es zum ersten Mal so, dass wir positiv für einen Grundwert einstehen. Die Netzneutralität ist auf einer rein demokratischen Ebene, wenn es um das Recht der Meinungs- und Versammlungs- oder Informationsfreiheit geht, wichtig, aber auch in einem kulturellen Sinne. Mit Netzneutralität sind Pro7 und Servus TV genauso gleichberechtigt auf der Internet-Leitung wie Okto TV, Radio Orange oder jeder Blog und Podcast.

Das Internet war in den letzten 30 Jahren ein enormer Innovationsmotor, weil es auf Offenheit basiert und erlaubt, dass jeder etwas Neues entwickeln und sich dieser Infrastruktur bedienen kann. Es braucht aber gewisse Regeln, damit das Funktionieren des Netzes garantiert wird.

Welche Regeln sollen das im Fall von der Netzneutralität sein?
Da wäre erst einmal die Gleichbehandlung. Alle Datenpakete müssen während der Übertragung, unabhängig von Herkunft, Inhalt, Ziel, Klasse oder Tarif, gleich behandelt werden. Das soll ausschließen, dass es Netzwerk-Management gibt, mit dem ich gewisse Adressaten oder Absender diskriminiere oder aufgrund des Inhaltes anders route. Netzwerkmanagement ist nur aus technischen Gründen zur Erhaltung der Stabilität des Netzwerkes zulässig, Netzwerkeingriffe dürfen nicht abhängig vom Geschäftsmodell des Unternehmens oder politisch motiviert sein. Das ist der Kernpunkt.

Was bedeutet das genau?
Übersetzt in die Offline-Welt heißt das, dass ich den Taxifahrer nicht dafür bezahlen darf, dass er die Leute zu meiner Pizzeria fährt anstatt zu der Pizzeria der anderen. In der Online-Welt versucht diese abstrakte Formulierung die klassischen Gründe, weswegen Internet Service Provider in den Netzwerkverkehr eingreifen, auszuschließen. Das wäre etwa der Fall, wenn eigene Dienste priorisiert werden. Wenn ich zum Beispiel bei AON oder UPC die Möglichkeit habe, IP-Telefonie mitzubestellen oder deren IP-TV zu beziehen, wollen die Anbieter natürlich verhindern, dass ich für dieselbe Leistung zu einem ihrer Konkurrenten gehe.

Internet Service Provider blicken auf einen gesättigten Markt, da die Internet-Grundversorgung großteils abgedeckt ist und die Wachstumschancen für die Anbieter eingeschränkt sind. Die Richtung, in die man deswegen heutzutage gehen will, ist vertikale Differenzierung. Das heißt, ich verkaufe den Leuten nicht mehr nur eine Internet-Leitung, sondern eine Internet-Leitung mit priorisierten Video-Inhalten, das heißt Video-Streaming ist dann besonders schnell.

Was für Probleme können dadurch entstehen?
Diese Priorisierung von einer Art des Dienstes führt immer zu einer Benachteiligung von allen anderen Arten des Dienstes, weil ich natürlich nicht nur beim letzten Endkunden diesen Dienst bevorzugen muss, sondern in meinem ganzen Netz zwei Infrastrukturen brauche - eine für den bevorzugten Traffic und eine für den neutralen Teilen des Netzes, der nicht bevorzugt wird. Das führt automatisch dazu, dass dieser nicht neutrale Teil des Netzes höhere Gewinnmargen hat, weil ich da ganz andere Produkte anbieten kann.

Dann ist klar, worin privatwirtschaftlich organisierte Unternehmen investieren werden - in den nicht-neutralen Teil des Netzes und das führt mittelfristig zu einer Zwei-Klassen-Infrastruktur und zu einer komplett neuen digitalen Kluft. Wir kommen dann zu einem Punkt, wo nur noch „Internet" draufsteht, aber nicht mehr drin ist. Das ist nicht mehr das Netz der Netze, sondern ich habe nur noch eine gewisse Bandbreite an Diensten, die ich darüber beziehen kann.

Es wird also nur noch Internet drauf stehen, aber nicht mehr drin sein – wenn es nach so manchen Telekom-Providern gehen würde... A1-Chef Hannes Ametsreiter ist ja beispielsweise bereits durch seine Aussage „Wir besitzen die Infrastruktur. Wir sollten auch entscheiden, wer sie benutzt" aufgefallen...
Darin besteht ja die Gefahr, dass Internet Service Provider ihre Monopolstellung ausnutzen, die sie teilweise haben. Das ist wie ein kippender Teich, wenn das Ökosystem nicht mehr funktioniert. Das kann auch im Internet passieren, dass Netzneutralität abgeschafft wird, in dem im nationalen Netz ein großer Provider sagt, dass er den Verkehr anders behandelt. Dadurch sind auch die anderen Provider, die an das große Netz angeschlossen sind, davon betroffen. Hier muss man Regelungen finden, besonders bei so einem Telekommunikationsmarkt wie Österreich.

Was meinen Sie damit, ist es in anderen Märkten besser?
In Österreich gibt es nur einige wenige Firmen, die auf einem gewissen Kabel-/Anschluss-Typ sitzen. Die EU-Kommissarin Neelie Kroes ist beispielsweise der Meinung, dass der Markt und der Wettbewerb das schon alleine regeln werden. Das ist aber eine Farce, wenn es keine Wahlmöglichkeiten gibt und man sich seinen Provider nicht aussuchen kann, weil es den in bestimmten Regionen einfach nicht gibt. Hier gibt es in Österreich zu wenig Wettbewerb als ausgleichendes Element.

Es gibt aber sehr wohl andere Länder, in denen ein lebendiger Wettbewerb und guter Netzausbau durchaus zumindest als eine Art Prophylaxe gegen die Gefahren einer fehlenden Netzneutralitätsregelung dienen. Finnland, Estland oder Litauen haben bewusst keine Regelungen, weil sie mit ihren 100 MBit in den meisten Haushalten über Glasfaser bzw. den lebendigen Markt mit bis zu 10 Internet Service Provider, aus denen man wählen kann, wirklich einen Markt und eine Wahlfreiheit haben.

Versetzen wir uns in die Lage der Provider hinein. Immer mehr Menschen verwenden das Internet, das Datenaufkommen wird immer größer. Dürfen Provider da nicht gewisse Maßnahmen treffen, wenn sie ans Ende ihrer Kapazitäten stoßen?
Netzneutralität ist kein Ersatz für Netzausbau. Netzausbau ist etwas, das definitiv notwendig ist für die Gemeinschaft, für jeden Staat. Jeder, der am Internet teilnimmt, zahlt auch dafür. Telekom-Provider haben ihre Kunden, egal ob das Konsumenten sind, die ihre Services nutzen oder die Anbieter von Inhalten, die Dienste zur Verfügung stellen. Beide zahlen gemäß ihres Aufkommens genau für diese bestehende Leistung. Es fehlt aber noch immer an stabilen Zahlen, wie das Datenaufkommen in den Netzen tatsächlich aussieht. Hauptsächlich ist es ja ein Problem der letzten Meile und nicht der Backbones.

Wie soll Ihrer Meinung nach die Zukunft der Netze aussehen?
Der zukünftige Netzausbau muss um jeden Preis neutral gehalten werden. In den Netzausbau fließen ja auch öffentliche Gelder. An diese sollte geknüpft sein, dass die Netze neutral betrieben werden und nicht den Interessen einzelner Firmen unterliegen.

Das heißt, der Netzausbau sollte transparenter sein, man sollte erfahren, was mit den öffentlichen Geldern wie z.B. den 30 Millionen Förderung des Bundesministeriums passiert?
Ja, auch das. Aber wir wollen auch noch auf etwas Anderes hinaus. Zugangsanbieter müssen in ihren Verträgen eine zugesicherte Mindestbandbreite und zugesicherte Maximallatenz sowie die darauf anzuwendenden Qualitätsmaßgaben offenlegen. Außerdem sollten sie genormte Werkzeuge für deren Überprüfung durch Dritte zur Verfügung stellen.

Wir fordern auch eine Garantie der vertraglich festgelegten Bandbreite, um diese auch einfordern zu können. Wir wollen klarere Spielregeln dafür, wie der Zugang zu den Netzen geregelt ist, wofür die Kunden zahlen, wenn sie bei einem Internet Service Provider ein Produkt bestellen. Nirgendwo sonst gibt es den Fall, dass ich um 5,99 Euro „bis zu 2,5 kg Fleisch" bekomme - hier ist eine enorme Spannbreite drinnen, die teilweise mit der variablen Last des Netzes zu begründen ist, gleichzeitig kann es aber auch nicht sein, dass die beworbene und vertraglich festgelegte Bandbreite dauerhaft und signifikant von der tatsächlichen Bandbreite abweicht.

Spielen Sie hier auf die jüngste FIT-Werbung für Neukunden von UPC an?
Auf alle Kabelprovider. Das Problem betrifft alle. Hier muss es klarere Regeln geben. Hier muss das, was beworben wird, auch geliefert werden. Wenn ein Anbieter eine Leistung, die er vertraglich versprochen hat, nicht liefern kann, muss man über den Vertrag neu verhandeln oder es muss ein Regulierer einschreiten. Es müssen Maßnahmen gefunden werden, damit wir einen transparenteren und realistischeren Zugang dazu haben, was in diesen Netzen wirklich vorgeht.

Kann man derzeit gar nichts dagegen machen, wenn die beworbene Geschwindigkeit zu sehr von der tatsächlichen abweicht?
Es gibt sicherlich theoretische Möglichkeiten, die man ergreifen könnte, aber in der Praxis sieht es so aus, dass leider Telekommunikationsprovider dermaßen schmerzbefreit sind, dass eine wirkliche Ansprache zu diesen Fragen nicht möglich ist.

In Großbritannien haben sich zehn Internet Service Provider und Mobilfunkbetreiber zu einem Transparenz-Kodex verpflichtet und setzen auf Selbstregulierung. Wäre das auch eine Möglichkeit in Österreich?
Bis es ein Gesetz gibt ist Selbstregulierung und Transparenz vonseiten der Provider das zweitbeste. Eine dauerhafte Lösung ist die Selbstregulierung allerdings definitiv nicht. Wie wir zuletzt bei Silver Server gesehen haben (Anmerkung: Silver Server wurde von Tele 2 gekauft), gibt es eine starke Tendenz am Markt, sich gegenseitig aufzukaufen und die bestehende Monopol-Problematik zu verstärken. Hier ist es zwar gut, wenn einzelne Firmen als Vorreiter dienen, um zu zeigen, dass es möglich ist und sehr wohl auch mit dem Betrieb eines Netzes und der Geschäftspraxis vereinbar ist, netzneutral zu sein, nur ist es keine dauerhafte Lösung.

Sie fordern dazu ein österreichisches Gesetz. Was bringt eine nationale Lösung, sollte man nicht versuchen, das auf EU-Ebene festzuschreiben?
Wir wollen in Österreich für die Netzneutralität kämpfen, weil wir glauben, dass Österreich in dieser Frage eine Vorreiterrolle einnehmen kann. Wir haben außerdem in anderen europäischen Ländern gesehen, dass nationale Regelungen für die Netzneutralität sehr wohl funktionieren und auch positive Effekte haben können.

Wie in den Niederlanden, wo dieses Jahr ein Gesetz zur Netzneutralität beschlossen wurde?
Ja, aber auch in Luxemburg, Teilen Belgiens oder Norwegen. In diesen Ländern sieht man, dass eine Definition von Netzneutralität garantiert, dass das nationale Netz in diesen Ländern frei und neutral bleibt. Natürlich sprechen wir von einer nationalen Lösung für ein globales Problem. Aber die EU und die nationale Ebene schließen sich ja keineswegs aus. Die EU ist stark davon beeinflusst, was in den einzelnen Mitgliedsländern passiert. Das sehen wir gerade am Beispiel der Vorratsdatenspeicherung, wo nationale Regelungen ein großer Grund dafür sind, dass noch immer über das Thema und die Richtlinie gesprochen wird.

Netzneutralität ist auch ein sehr wettbewerbs- und wirtschaftsförderndes Instrument, um zu garantieren, dass es auch für kleine mittelständische Unternehmen und Start-ups die Möglichkeit gibt, mit innovativen neuen Services auf den Markt zu gehen. Es ist aber auch aus demokratiepolitischer Sicht enorm wichtig und deswegen werden wir uns dafür einsetzen.

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Zur Person:
Thomas Lohninger bloggt auf netzkinder.at und ist einer der Aktiven beim AK Vorrat. Er hat zusammen mit anderen Aktivisten die Kampagne "Unsernetz.at" ins Leben gerufen. Am #DNP12-Kongress wird er diesen Samstag einen Vortrag zum Thema Netzneutralität halten und die Kampagne offiziell vorstellen.

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Barbara Wimmer

shroombab

Preisgekrönte Journalistin, Autorin und Vortragende. Seit November 2010 bei der Kurier-Futurezone. Schreibt und spricht über Netzpolitik, Datenschutz, Algorithmen, Künstliche Intelligenz, Social Media, Digitales und alles, was (vermeintlich) smart ist.

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