Netzpolitik

Anwalt: "Abmahnwellen sind extrem schädlich"

futurezone: Sie haben gesagt, das Urheberrechtssystem

stehe vor dem Kollaps
, weil es der gesellschaftlichen Entwicklung nicht mehr folgt. Wo genau liegen die Gründe für dieses Akzeptanzproblem?
Till Kreutzer: Das Urheberrecht wurde als sehr spezielles Recht konzipiert, das nur sehr wenige betraf. Große Unternehmen beispielsweise Verlage oder Musikverlage und Leute, die professionell als Urheber gearbeitet haben. Mit dem Aufkommen von Digitaltechnologien, vor allem dem Internet, hat sich die Bedeutung des Urheberrechts massiv gewandelt. Heute reicht es sehr stark in den privaten Bereich hinein. Aber Dinge, die die Leute im Alltag machen wie etwa Remixes und Mashups sind häufig verboten. Das Urheberrecht hat diesen Bedeutungswandel nicht mitvollzogen. Vieles was gemacht werden kann, weil die technischen Voraussetzungen da sind, ist einfach nicht erlaubt. Das führt zu einem Akzeptanzproblem. Die Leute sehen nicht ein, dass sie für alltägliche Handlungen geklagt und abgemahnt werden. Im Internet kann man aber nicht alles kontrollieren. Deshalb ist das Urheberrecht ganz stark auf die Akzeptanz der Nutzer angewiesen.

Wie kann dieses Akzeptanzproblem überwunden werden?
Es gibt sehr viele Ideen dazu, wie das Urheberrecht angepasst werden müsste. Viel davon kann nur langfristig umgesetzt werden, weil das Urheberrecht im Prinzip neu aufgesetzt werden muss. Kurzfristig wäre es wichtig dafür zu sorgen, dass weniger verboten ist und mehr gemacht werden darf. Dafür müsste aber auch Geld bezahlt werden in Form einer Pauschalabgabe. Dahin muss die Reise gehen.

In Österreich ist die Einführung einer Festplattenabgabe zur Entschädigung für Privatkopien geplant.
Ich finde das Prinzip an sich sinnvoll. Auf der einen Seite gibt es eine Nutzungsfreiheit, nämlich die Privatkopierfreiheit. Nach dem urheberrechtlichen Grundgedanken bedarf das einer finanziellen Kompensation. Das ist die Pauschalabgabe. Wichtig ist, dass die Kompensation unmerklich erfolgt. Man bezahlt Geld an einer Stelle, die man nicht vermeiden kann, etwa wenn man eine Festplatte kauft. Früher waren es Kassetten oder Videokassetten. Die sind heute irrelevant, weil es solche Medien nicht mehr gibt. An ihre Stelle sind andere getreten. CD-Rohlinge oder Festplatten. Es könnten auch Internet-Anschlüsse sein. Das Geld wird über effiziente Mechanismen wieder an die Urheber ausgeschüttet. Ich halte das für einen ganz wichtigen Punkt.

Nichtkommerzielle Werknutzungen, etwa das Verwenden von Musik für private Videos oder Mashups sind damit aber nicht abgegolten. Die Grünen haben in Österreich eine Internet-Abgabe - eine Art Kulturflatrate - vorgeschlagen, die auch solche Nutzungspraktiken umfassen soll.
Wofür solche Pauschalabgaben erhoben werden ist eine weitere Frage. Das ist auch in Deutschland sehr stark in der Diskussion. Da gibt es aber noch allerhand Diskussionsbedarf. Das Grundprinzip geht jedenfalls in die richtige Richtung. Wie man das ausgestaltet, was damit erlaubt sein soll und wie es gemacht wird, da ist noch allerhand drüber nachzudenken. Das ist nicht so einfach.

Sie haben auch vorgeschlagen Ausnahmen für kreative Nutzungspraktiken einzuführen. Nach dem Vorbild der US-Fair-Use-Doktrin, die etwa Zitate und Parodien erlaubt.
In den USA ist "Fair Use" ein Regelungsprinzip, das besagt, was fair genutzt wird, ist nicht verboten. Es ist eine ganz simple Regelung. Dahinter steht der Gedanke, dass viele Sachen erlaubt sein sollen, die sich auch mit den technischen Möglichkeiten ständig ändern. In Europa hat man für solche Nutzungsfreiheiten einen anderen Ansatz, die sogenannten Schrankenbestimmungen. Da wird auf EU-Ebene ein bestimmter Katalog festgelegt, der nur vom Gesetzgeber angepasst werden kann. Der Katalog reicht aber nie aus. Das Fair-Use-Prinzip ist viel dynamischer. Wenn neue kulturelle Formen aufkommen, etwa Videos auf YouTube, bei denen verschiedene Inhalte zusammengemischt werden, fallen sie automatisch unter das Fair-Use-Prinzip. In Europa müsste man dafür eine Richtlinie ändern, das bedeutet einen Riesenaufwand.

Ein Beispiel: In Deutschland wurde vor kurzem ein Facebook-Nutzer abgemahnt, weil er einen Artikel geliked hat. Das Vorschaubild wurde automatisch auf Facebook angezeigt, weil das System nun einmal so funktioniert. Es ist fraglich ob das urheberrechtlich erlaubt ist. In Europa gibt es keine Regelung, die besagt, dass so etwas erlaubt ist. Das ist ein ganz kleiner Fall, der sich aber in eine riesige Abmahnwelle auswachsen könnte. Über "Fair Use" könnte man das ganz einfach in den Griff bekommen. Da würde man sagen, das schadet niemanden, das funktioniert nun einmal so. Es kommt den Urhebern, deren Artikel geliked wurde, sogar zugute, weil es Aufmerksamkeit generiert. Also ist es fair und nicht verboten.

In Österreich wird im Zuge der Urheberrechtsreform auch an einer Neuregelung der Rechtsdurchsetzung gearbeitet, die auch dazu führen könnte, dass es Abmahnungen und Klagen gegen private Tauschbörsennutzer gibt. Es wird zwar eine Deckelung bei den Abmahngebühren vorgeschlagen, Kritiker halten das aber für wirkungslos. In Deutschland hat es in den vergangenen Jahren regelrechte Abmahnwellen gegeben.
Abmahnwellen gegen Privatnutzer sind einer der Hauptgründe für das Akzeptanzproblem des Urheberrechts. Wenn man die Leute auf der Straße fragt, ob sie schon etwas vom Urheberrecht gehört haben, dann sagen sie: "Ach, das ist doch das, weshalb viele Leute irgendwelche Schreiben kriegen, in denen tausende von Euros gefordert werden, weil sie einen Song heruntergeladen haben." Das stimmt zwar so nicht ganz, Abmahnwellen sind aber für das ganze Urheberrechtssystem extrem schädlich. Ich würde dringend dazu raten, diesen Fehler in Österreich nicht auch zu machen. In Deutschland versucht man mit allen Mitteln diese Abmahnungen wieder einzudämmen. Man sollte im Rahmen des Möglichen vermeiden, dass solche Phänomene entstehen. Sie schaden nämlich auch den Rechteinhabern ganz massiv. Es ist eine der wichtigsten Aufgaben des Urheberrechts, dafür zu sorgen, das soetwas nicht mehr stattfindet.

In Deutschland ist ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger geplant - auch in Österreich wird darüber diskutiert. Sie machen mit IGEL, einer Initiative gegen das Leistungsschutzrecht mobil. Was spricht gegen ein Leistungsschutzrecht?
Kurz gesagt: Das Leistungsschutzrecht für Presseverlager braucht niemand und es schadet nur. In Deutschland geht es mittlerweile nur noch darum, dass die Verlage von Google Geld bekommen sollen. Dafür gibt es aber keine Rechtfertigung. Suchmaschinenbetreiber und Verlage leben in einer Symbiose. Sie können nicht ohneinander. Man könnte ebenso gut sagen, Google soll von den Verlegern Geld bekommen, weil Google ihnen Nutzer zuschaufelt. Damit verdienen die Verleger Geld, mit Reichweite und Werbung. Das Leistungsschutzrecht schadet auch der Innovationskultur.

Inwiefern?
In Deutschland ist etwa geplant, dass Snippets - kurze Ausschnitte aus Texten, die in Suchmaschinen angezeigt werden - lizenzierungspflichtig werden sollen. Google könnte sicherlich damit umgehen, aber kleine und mittelständische Unternehmen, die in diesem Bereich tätig sind, müssten zigtausende von Rechten einholen. Ansonsten müssten sie solche Inhalte aus ihrem Index entfernen. Das würde dazu führen, dass diese Inhalte nicht mehr gefunden werden. Es würde auch den Verlagen selbst schaden.

Auch die EU hat eine Reform des Urheberrechts angekündigt - die Urheberrechtsreformen in der Vergangenheit haben eigentlich immer zu einer Verschärfung des Urhreberrechts geführt. Wird es diesmal anders sein?
In den vergangenen 15 Jahren wurde das Urheberrecht immer weiter verschärft. Man hatte den Fokus, dass man im Internet dafür sorgen muss, dass das Recht durchgesetzt werden kann. Das ändert sich allmählich, weil man merkt, dass es so nicht funktioniert. Das zivilgesellschaftliche Engagement hat viel dazu beigetragen, dass dieses Bewusstsein entsteht. Das Urheberrecht ist nicht nur dazu da, maximal mögliche Monopolrechte zu verleihen, es ist auch ein Ausgleichsinstrument. Die Interessen der Rechteinhaber, der Verwerter und der Nutzer müssen in einen Ausgleich gebracht werden. Wenn man diesen Grundsatz ernst nimmt, dann muss man eine andere Richtung einschlagen.

Wo sehen Sie Ansatzpunkte für eine langfristige Reform des Urheberrechts?
Langfristig muss man sich von dem Kontrollgedanken verabschieden. Wenn Millionen von Leuten vom Urheberrecht betroffen sind, müssen andere Lösungen gefunden werden. Das Urheberrecht muss flexibler werden. Man muss weniger auf Verbote und Exklusivrechte und mehr auf Vergütungsmechanismen setzen. Möglichst solche, die automatisch funktionieren. Die Schutzdauren müssen verkürzt und flexibilisiert werden. Man kann viel machen, das dauert aber seine Zeit.

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Till Kreutzer ist Rechtsanwalt und Rechtswissenschafter und hat irights.info, eine Informationsplattform zu Urheberrecht und kreativem Schaffen in der digitalen Welt mitbegründet. Für den SPÖ-Parlamentsklub untersuchte Kreutzer Möglichkeiten das deutsche Urhebervertragsrecht, das die Position von Künstlern gegenüber Rechteverwertern stärken soll, auf Österreich zu übertragen. Die Ergebnisse seiner Untersuchung

präsentierte
er vergangene Woche in Wien.

Urheberrecht für das 21. Jahrhundert
Seine Vorschläge für ein Urheberrecht für das 21. Jahrhundert hat Till Kreutzer in dem von irights.media herausgegebenen Jahresrückblick Netzpolitik "Das Netz 2012"

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Patrick Dax

pdax

Kommt aus dem Team der “alten” ORF-Futurezone. Beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Innovationen, Start-ups, Urheberrecht, Netzpolitik und Medien. Kinder und Tiere behandelt er gut.

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