Netzpolitik

HADOPI: Verwirrung um Internet-Sperren

Seit fast zwei Jahren ist in Frankreich die Behörde HADOPI (Haute Autorité pour la diffusion des oeuvres et la protection des droits sur l`Internet) aktiv. Sie ist unter der Regierung Nicolas Sarkozy geschaffen worden, um im Internet gegen Urheberrechtsverletzungen vorzugehen - mit der letzten Konsequenz, den Nutzern das Internet abzudrehen. Frankreich ist in Europa der erste Staat, der derart hart mit Nutzern von Peer-to-Peer-Netzwerken ins Gericht geht und das heftig umstrittene "Three Strikes Out"-Modell in Verwendung hat. Auch andere Staaten (vor allem Großbritannien) sowie so manche Vertreter der EU-Kommission liebäugeln mit dem Copyright-Warngesetz. Frankreich gilt daher als "Vorzeige-Land" für die Urheberrechtshardliner, die auf Strafen setzen wollen.

Doch was macht die Behörde eigentlich? Was wird überwacht? Und wann kommt es überhaupt zu Internet-Sperren? Das wissen selbst viele Franzosen nicht so genau. Das ergab vor kurzem eine Studie der Universität Rennes, die im Mai insgesamt 2000 Internet-Nutzer befragt hat. Demnach glauben 75 Prozent der Nutzer, dass Peer-to-Peer-Netzwerke überwacht werden. 68 Prozent denken, dass auch Filehoster wie Megaupload von den Überwachungs-Maßnahmen betroffen sind. 38 Prozent glauben, dass unautorisierte Streaming-Seiten überwacht werden und 12 Prozent sind der Meinung, dass auch die eigene Festplatte oder USB-Sticks nicht vor HADOPI sicher sind.

Nur Peer-to-Peer im Visier von HADOPI
Dabei überwacht HADOPI selbst gar nichts, wie die Rechtsschutzbeauftragte Rose-Marie Hunault bei ihrem Besuch in Wien im Rahmen der Musikwirtschaftstage erklärte, sondern Rechteinhaber melden Urheberrechtsverletzungen an HADOPI und zwar ausschließlich im Bereich Peer-to-Peer. Streaming-Dienste oder Filehoster sind gar nicht betroffen und kümmern HADOPI auch nicht. Der Grund: Sie würden auf einem „zentralisierten Modell" beruhen, während Peer-to-Peer-Netzwerke dezentral organisiert seien und eine Einbeziehung sei daher nicht vorgesehen, so Hunault in Wien.

Doch wie funktioniert "Three Strikes Out" eigentlich? Das umstrittene Abmahn-Modell beruht darauf, im Laufe der Jahre und bei anhaltenden Urheberrechtsverletzungen drei Verwarnungen an die Tauschbörsen-Nutzer zu schicken, bevor zu drastischen Mitteln gegriffen wird und der Internet-Zugang gekappt werden darf. Auch dieses Modell wurde von den befragten Franzosen missverstanden, berichtet die Zeitung „Le Figaro", die von einer „starken Unwissenheit der Nutzer" schreibt.

Three Strikes: 314 - Out: 0
Hunault erklärte in Wien, wie der Prozess mit den Warnmails funktioniert (zwischen den einzelnen Briefen liegen beispielsweise Jahre) und wie „erfolgreich" diese Warnmails seien. So seien bis Juni 2012 insgesamt über 1.090.000 erste Verwarnungen gesendet worden, 99.000 Personen haben bei einem erneuten dokumentierten Verstoß eine zweite Verwarnung bekommen. Die Zahl der dritten Verwarnungen beläuft sich bis Juni auf: 314. Aus Sicht von HADOPI ein „Erfolg".

„71 Prozent der Betroffenen, die eine dritte Verwarnung bekommen haben, nehmen Kontakt mit HADOPI auf, um sich erklären zu lassen, was sie tun können, um die Urheberrechtsverletzungen abzustellen", sagte Hunault. Auf Verstöße hin kontrolliert werden nämlich IP-Adressen, und hier sei es wiederum egal, ob der Betroffene selbst unautorisierte Peer-to-Peer-Aktivitäten durchführt oder dies jemand über die IP-Adresse durchführt.

Erst wenn HADOPI zu dem Schluss kommt, dass eine „maßgebliche Rechtsverletzung" vorliegt, wird der Fall an die Staatsanwaltschaft übergeben, die dann entsprechende Maßnahmen einleiten kann. "Das ist bisher jedoch nicht der Fall gewesen", erklärt Hunault auf futurezone-Nachfrage. „Noch ist niemandem das Internet abgedreht worden, allerdings befinden sich ein paar Einzelfälle derzeit in Evaluierung". Das Ziel von HADOPI sei allerdings gar nicht, dass diese Maßnahme notwendig werde, so Hunault. Sondern das Ziel sei, die Bevölkerung durch Informationen aufzuklären. Sie fügt hinzu: „Viele wissen nicht, ob etwas legal ist oder nicht."

HADOPI "nicht für die Ewigkeit geschaffen"
Die Rechtsschutzbeauftragte der Behörde erklärte zudem, dass HADOPI nicht „für die Ewigkeit" geschaffen worden sei. Entweder es gelinge, dass gleichzeitig zum Warnmodell verstärkt legale Angebote aufgebaut werden, oder das Projekt sei zum Scheitern verurteilt, sagte die Behörden-Vertreterin in Wien. Auch die jährlichen Kosten für die Behörde kamen zur Sprache. Diese belaufen sich laut Hunault auf rund 12 Millionen Euro pro Jahr. Am Dienstag ging durch französische Medien, dass genau diese Summe für das Jahr 2013 beantragt wurde.

Doch abseits der Frage, ob sich die französischen Internet-Nutzer jetzt konkret durch Verwarnungen oder aber durch die bloße Existenz von HADOPI (wie die Studie ja zeigt, wissen viele nicht, ob nicht auch Streaming-Services „betroffen" sind) eingeschüchtert fühlen, ist der Boom an Einnahmen, den sich die Musik- und Filmindustrie erhofft hat, bisher großteils ausgeblieben. Hunault räumte ein, dass sich die Musikindustrie in Frankreich in einer „Rezession" befinde. Bei der Filmindustrie hingegen sei eine „gute wirtschaftliche Entwicklung" zu beobachten. Allerdings sei der Beobachtungszeitraum seit der Einführung von HADOPI bis zum jetzigen Zeitpunkt noch etwas knapp bemessen, so Hunault.

"Jedes Smartphone ist eine Kopiermaschine"
Vorerst arbeitet die Behörde nun weiter – und ihre Vertreter hoffen darauf, den Internet-Nutzern etwas über Peer-to-Peer-Netzwerke beizubringen. Der britische Musikmanager (u.a. Pink Floyd) und Konsulent der World Intellectual Property Rights Organization (WIPO), Peter Jenner, glaubt nicht, dass man Menschen jemals vom Tauschen von Musik abhalten kann: „Heutzutage ist jedes Smartphone eine Kopiermaschine. Wenn man den Tausch über Peer-to-Peer-Netzwerke stoppt werden Menschen andere Wege finden, ihre Files zu tauschen – außer, es gibt bis dahin wirklich gute, legale Angebote".

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Die Rechtsschutzbeauftragte von HADOPI, Rose-Marie Hunault, sowie der britische Musikmanager Peter Jenner waren anlässlich der "Wiener Musikwirtschaftstage" Ende Juni in Wien. Die Konferenz hat dazu einen ausführlichen Nachbericht online gestellt.

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Barbara Wimmer

shroombab

Preisgekrönte Journalistin, Autorin und Vortragende. Seit November 2010 bei der Kurier-Futurezone. Schreibt und spricht über Netzpolitik, Datenschutz, Algorithmen, Künstliche Intelligenz, Social Media, Digitales und alles, was (vermeintlich) smart ist.

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