"Kampf gegen den Terrorismus ist nur ein Nebeneffekt"
"Die Kontrolle der weltweiten Geldflüsse und das Sammeln wirtschaftlich relevanter Informationen zählt zu den zentralen Aufgaben US-amerikanischer Geheimdienste", sagte Gert-René Polli, Ex-Chef des Bundesamts für Verfassungsschutzes, am Mittwoch bei der Veranstaltung "IT-Unternehmen zwischen Überwachungsstaat und Kundenverantwortung" in Wien. Um Vorteile für die eigene Volkswirtschaft zu erreichen, gehöre Industriespionage selbstverständlich zum zentralen Aufgabengebiet der Nachrichtendienste, erklärte Polli. Für die Verfolgung dieser strategischen Ziele würden Netzwerkdaten fremder Regierungen, Fluggesellschaften, Energieversorger und Finanzinstitute abgesaugt.
Als Beispiel führte Polli Daten aus Kreditkartentransaktionen an: Da sämtliche Kreditkartenunternehmen in den USA angesiedelt seien, sei der Zugriff auf diese Informationen für den Geheimdienst NSA - beispielsweise durch den Patriot Act - ein Leichtes. Eine Auswertung dieser Daten könne bereits recht genaue Aufschlüsse über Unternehmenstätigkeiten geben.
Feigenblatt Terrorbekämpfung
"In den Aufgaben der Geheimdienste ist der Kampf gegen den Terrorismus nämlich nur ein Nebeneffekt", konstatierte Polli. "Die Terrorismusbekämpfung liefert lediglich die nötigen Argumente, damit die geheimdienstlichen Befugnisse ausgeweitet werden können und andere Länder Kooperationen mit den USA eingehen." Die Terrorismusbekämpfung lasse sich in der Öffentlichkeit aber gut verkaufen.
Polli ist überzeugt, dass bei künftigen kriegerischen Auseinandersetzungen mit der IT-Infrastruktur ein völlig neues Schlachtfeld hinzukommt. Damit könnten etwa Atomkraftwerke heruntergefahren und Kommunikationswege lahmgelegt werden. Eine Souveränität Europas wäre dabei wohl nicht gegeben, da die IT-Infrastruktur in Europa viel zu sehr mit der US-amerikanischen verzahnt sei - sei es durch verbaute Hardware, durch verwendete Firmware oder durch ausgelagerten Daten.
Wendepunkt 9/11
Laut Polli waren die Terroranschläge auf das World Trade Center im September 2001 ein Wendepunkt. "Eine Reihe von Gesetzesänderungen im Zusammenhang mit den Anschlägen erlaubte es den Geheimdienste sich fortan sehr offensiv zu verhalten", schilderte Polli. Demnach nutzt beispielsweise die NSA sämtliche, zur Verfügung stehenden Mittel um Informationen zu beschaffen. Es sei kein Missbrauch der Technologie, wenn die NSA Daten sammle, so der frühere Verfassungschutzchef. "Die Programme und Techniken wurden genau für diesen Zweck konstruiert." Es liege nun einmal in der Natur von Nachrichtendiensten, Informationen zu sammeln.
"'No-Spy-Abkommen' politisch naiv"
Polli kritisierte eine Aussage von Justizministerin Beatrix Karl aus dem August dieses Jahres, wonach sie sich ein bilaterales "No-Spy Abkommen" mit den USA vorstellen könne. "Spionage ist wahrscheinlich das zweitälteste Gewerbe der Welt. Dieses abzuschaffen wäre vermutlich schwieriger, als das älteste Gewerbe der Welt abzuschaffen", erklärte Polli schmunzelnd. "Ein 'No-Spy Abkommen' zu fordern ist politisch-naiv."
Problematisch im Umgang mit Industriespionage sei, dass Vorfälle einerseits wegen eines drohenden Imageverlusts nicht angezeigt und andererseits die Spionagetätigkeiten vielfach gar nicht auffallen würden.
In der abschließenden Podiumsdiskussion empfahl ORF-Journalist Erich Möchel Unternehmen, Cloud-Computing-Dienste österreichischer Anbieter in Anspruch zu nehmen. Sensible Daten würden so im österreichischen Rechtsraum bleiben und nicht an die USA ausgelagert.
Für Polli kam das Auffliegen der NSA-Affäre zum richtigen Zeitpunkt. Denn obwohl die Politik paralysiert sei und eine Diskussion - wenn überhaupt - sehr naiv geführt werde, könne eine gewisse Bewusstseinsbildung im Umgang mit Daten nicht geleugnet werden.