Netzpolitik

#OccupyWallStreet: Hashtag-Revolte in den USA

Seit über zwei Wochen protestieren junge US-Amerikaner rund um den Liberty Square, gegenüber der Baustelle des ehemaligen World Trade Centers und besetzen den Platz bei der New Yorker Börse, der Wall Street. "#OccupyWallStreet" heißt die Bewegung und der Journalistik-Professor der Universität von New York, Jeff Jarvis, bezeichnet sie in einem Blog-Eintrag als "Hashtag-Revolte". "Ein Hashtag hat keinen Besitzer, keine Hirarchie, kein Credo. Er ist ein unbeschriebenes Blatt, über das jeder seinen Ärger, seine Beschwerden, Wünsche oder Prinzipien kundtun kann", so Jarvis.

Derartige Zusammenschlüsse seien ein Versuch, eine neue Öffentlichkeit nach den Prinzipien Gleichheit, Transparenz und Ehrlichkeit zu kreieren, "für das Netzwerk-Zeitalter upgedatet". Die Kraft und Freiheit, die Gutenberg der Moderne gegeben habe, bringen die Netzwerk-Tools nun jedem in diesem frühen, digitalen Zeitalter. "Sie geben uns die Möglichkeit, selbst etwas zu schaffen, uns zu vernetzen, zu organisieren und unser Wissen zu sammeln. Sie schaffen Barrieren ab", so Jarvis.

"Meine Generation ist verloren"
Tatsächlich sind die Anliegen der Menschen, die sich an den Protesten beteiligen, sehr unterschiedlich. Es sind großteils junge, internetaffine, gebildete US-Amerikaner, die den Glauben an eine Zukunft fast verloren haben und ihren Frust in den Protesten zum Ausdruck bringen. "Letztes Jahr wurde die Wohnung meiner 60-jährigen Mutter zwangsgeräumt. Ich bin dieses Jahr mit meiner Master-Ausbildung fertig geworden. Derzeit bin ich arbeitslos und habe einen 120.000 US-Dollar Studenten-Kredit zurückzuzahlen. Ich glaube nicht mehr länger an den amerikanischen Traum. Wir sind die 99 Prozent", heißt es etwa auf einem Transparent.

Auf einem anderen Plakat steht: "Wenn du jung bist, bekommst du immer gesagt, dass du alles erreichen kannst. Ich habe diese Lügen satt. Ich habe seit dem Jahr 2009 meinen Uni-Abschluss und suche seither einen Job. Meine Generation ist verloren, depressiv, kämpft und hat Schulden. Wir versuchen uns in unbezahlten Praktika und zeitlich begrenzten Verträgen ohne Gesundheitsversicherung. Wir werden für immer bei unseren Eltern wohnen."

Live-Stream und IRC-Chat
"Es ist im Grunde #unibrennt vor der Wall Street und der Protest richtet sich gegen soziale Ungleichheit, das Geldwesen und Korruption", so der Vergleich des Twitternutzers @epijdemie. Die Proteste werden, ähnlich wie bei der Studentenbewegung #unibrennt im Herbst 2009, über diverse Websites wie occupywallst.org und feedtheprotest.com organisiert.

Ein Live-Stream unter dem Schlagwort "global revolution"  überträgt 24 Stunden lang Material von den Demos, Verhaftungen, Interviews mit Teilnehmern an den Protesten. Rund 40.000 Menschen aus aller Welt schauen dabei regelmäßig zu und bringen ihre Solidarität zum Ausdruck.

Auch Facebook und Twitter sind wichtige Kanäle zur Verbreitung der Anliegen. Rund 98.500 Facebook-Nutzer unterstützen die Aktion dort via "Gefällt Mir"-Button, die gesamte Welt kann die Aktivitäten dort mitverfolgen. Auf Twitter verzeichnet die Bewegung derzeit rund 41.200 "Follower".

Anonyme Kommunikation möglich
Um Links zu sammeln, setzt die Bewegung auf Reddit. Die Chat-Funktion auf der Website zur Koordination der Aktionen funktioniert über den guten, alten Internet Relay Chat (IRC). Doch die Demonstranten setzen auch auf weniger bekannte Tools, um ihren Protest zu koordinieren.

So kommt etwa eine App namens "Vibe" zum Einsatz, die es erlaubt, dass Nutzer, die nicht weiter als 50 Meter voneinander entfernt sind, anonym miteinander kommunizieren können. So können die Protestierenden etwa kurzfristig Flashmobs besser organisieren. Vorort kommen zur Übertragung der Live-Streams etwa die portablen WiMax-Hotspots von Clearwire zum Einsatz. Die meisten Demonstranten verwenden BlackBerrys, Apples iPhone scheint dagegen "nicht so beliebt" zu sein.

"Wir sind 99 Prozent"
Die Protestbewegung setzt jedoch nicht nur auf ähnliche Kommunikationskanäle wie #unibrennt, sondern wird auch von vielen US-Massenmedien mit denselben Vorwürfen wie die damalige Bewegung in Österreich konfroniert. Es gebe kein einheitliches Programm und keine Sprecher der Protestorganisation. Es seien alles "arbeitsunwillige Hippies", ein "Chaotenverein."

Auf der Tumblr-Website "Wir sind die 99 Prozent" versuchen die Protestierenden der Bewegung ein Gesicht zu geben - sie erzählen in Bildern und Plakaten ihre eigene, persönliche Geschichte. Niedrige Einkommen oder familiäre Schicksalsschläge, die bewegen. Entäuschte US-Bürger, die "brav das gemacht haben, was man ihnen gesagt hat und nun trotzdem nichts vorzuweisen haben", schreibt etwa die Kolumnistin Ezra Klein in der "Washington Post".

Rasante Ausbreitung
Die Bewegung wächst zudem rasant: Mittlerweile hat sich "#OccupyWallStreet" auf 147 US-Städte ausgeweitet. Auch viele bekannte Persönlichkeiten erklären sich solidarisch. Auch Arbeitsorganisationen wie die 700.000 Mitglieder umfassende "Communication Workers of Amerika"-Vereinigung empfindet die Bewegung als ein "angemessenes Mittel, dem Ärger aller Amerikaner, vor allem denjenigen, die von der Wall Street zurückgelassen wurden, Luft zu machen".

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Barbara Wimmer

shroombab

Preisgekrönte Journalistin, Autorin und Vortragende. Seit November 2010 bei der Kurier-Futurezone. Schreibt und spricht über Netzpolitik, Datenschutz, Algorithmen, Künstliche Intelligenz, Social Media, Digitales und alles, was (vermeintlich) smart ist.

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