Österreich unterzeichnet Anti-Piraterieabkommen
Österreich werde das Anti-Counterfeiting Trade Agreement (kurz ACTA) in ein bis zwei Wochen unterzeichnen, heißt es aus dem Wirtschaftsministerium auf Anfrage der futurezone. Geschehen soll dies durch den österreichischen Botschafter in Japan. Davor wird es am Dienstag in den Ministerrat kommen. Auch der Nationalrat wird sich noch mit dem Anti-Pirateriepakt befassen. Der EU-Rat hatte das Abkommen bereits Mitte Dezember abgenickt. Bevor das Abkommen in Kraft treten kann, muss das EU-Parlament noch zustimmen. Derzeit wird ACTA dort in verschiedenen Ausschüssen behandelt, die Abstimmung könnte nach Angaben von EU-Parlamentariern im April oder Mai stattfinden.
Mit dem Abkommen (PDF), das in den vergangenen Jahren weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit unter anderem zwischen den USA, Japan und der EU ausgehandelt wurde, sollen Produktpiraterie und Urheberrechtsverletzungen bekämpft werden. Bürgerrechtler warnen davor, dass ähnlich wie bei den geplanten US-Antipirateriegesetzen SOPA und PIPA, Grundrechte von Bürgern einem strengeren Schutz der Urheberrechte zum Opfer fallen könnten. Internet-Anbieter befürchten, dass sie durch ACTA zur Überwachung ihrer Netze gezwungen werden könnten.
Anpassungen bei Gesetzen
Während die ACTA-Verhandler der EU-Kommission in den vergangenen Jahren wiederholt versicherten, das ACTA nicht über EU-Recht hinausgehe, dürften Änderungen nationaler Gesetze sehr wohl erforderlich sein. Es werde einen Ratifizierungsprozess geben, bei dem ACTA in nationales Recht umgesetzt wird, heißt es aus dem Wirtschaftsministerium. Das österreichische Recht decke die zivil- und strafrechtlichen Verpflichtungen von ACTA weitgehend ab, sagt eine Sprecherin des Justizministeriums. Anpassungen seien voraussichtlich notwendig. Das Justizministerium befasse sich derzeit mit der Materie und prüfe allfällige Gesetzesänderungen im Urheberrechtsgesetz und Markenschutzgesetz.
Das Anti-Piraterieabkommen sehe etwa vor, dass in bestimmten Fällen aus Privatanklagedelikten Offizialdelikte werden, so die Sprecherin. Das würde bedeuten, dass der Staatsanwaltschaft - anders als es heute bei Privatanklagedelikten der Fall ist - unter bestimmten Voraussetzungen automatisch tätig werden muss. Damit könnte theoretisch auch das nicht autorisierte Zurverfügungstellen von urheberrechtlich geschützten Inhalten mittels Filesharing-Software wieder behördliche Ermittlungen nach sich ziehen und Tauschbörsennutzer ins Visier des Staatsanwaltes geraten.
Seit der Reform der Strafprozessordnung 2008 war Rechteinhabern in Österreich diese Möglichkeit versagt, da bei Privatanklagedelikten, wie etwa Urheberrechtsvergehen, Vorerhebungen nicht mehr durchgeführt werden. Rechteinhaber konnten so nicht mit der Hilfe eines Gerichts oder eines Staatsanwaltes rechnen, wenn sie Nutzer hinter dynamischen IP-Adressen ausforschen wollten.
Unscharfe Formulierungen
Im Justizministerium spricht man davon, dass die durch ACTA bedingten möglichen Anpassungen der Rechtslage nur für besonders schwere Fälle gelten sollen, etwa im Bereich der organisierten Kriminalität. Die Grenzen verlaufen jedoch fließend. Die Formulierungen in dem Anti-Piraterieabkommen sind vage gehalten. Eine Urheberrechtsverletzung im gewerblichen Umfang wird etwa durch direkte oder indirekte ökonomische oder kommerzielle Vorteile definiert (Artikel 23, Absatz 1).
Urheberrechtsverstöße im privaten Rahmen, etwa beim Tausch von geschützten Inhalten in Filesharing-Netzwerken, sind davon nicht explizit ausgenommen. Eine Kriminalisierung von Tauschbörsennutzern soll vermieden werden, heißt es dazu aus dem Justizministerium: "Auf keinen Fall wird es zu einer Kriminalisierung der Konsumenten kommen." Wie das konkret sichergestellt werden soll, lässt die Ressortsprecherin offen: "Wir sind dabei, das zu erabeiten." Allfälligen Gesetzesänderungen, die durch das Anti-Piraterabkommen notwendig werden, müsste auch das Parlament zustimmen.
Druck auf Internet-Anbieter
Österreichische Internet-Anbieter befürchten, dass sie durch den Anti-Pirateriepakt für die Inhalte in ihren Netzen verantwortlich gemacht werden könnten. "Der Druck auf die Provider wird erhöht", sagt Andreas Wildberger vom Verband der österreichischen Internet-Anbieter ISPA. In dem Abkommen ist etwa davon die Rede, dass die Vertragspartner für eine bessere Zusammenarbeit zwischen Rechteinhabern und Internet-Anbietern bei der Bekämpfung von Urheberrechtsverstößen sorgen müssten.
Internet-Anbieter könnten durch die Bestimmungen des Abkommens auch zunehmend Ziel von Unterlassungserklärungen und hohen Schadenersatzforderungen, meint Wildberger. Das könnte letztlich dazu führen, dass Provider dazu gezwungen würden, Inhalte in ihren Netzen auf Urheberrechtsverstöße zu überwachen und zu filtern. "Wir werden in die Rolle der Polizei und des Richters gedrängt", sagt Wildberger. "Dadurch werden demokratische Prozesse umgangen."
Der ISPA-Generalsekretär warnt auch vor Folgen für den Wettbewerb, wenn Provider von Plattformbetreibern für die von ihnen durchgeleiteten Inhalte verantwortlich gemacht würden: "Hohe Kosten für technische Maßnahmen oder mögliche Millionenklagen von Rechteinhabern könnten kleine Anbieter gar nicht schlucken."
"Haftungsfragen gefährden das Netz"
"Während sich kein Mensch bemüßigt fühlt, die Post verantwortlich zu machen, wenn ein Erpresserbrief geschickt wird, soll bei der Verantwortlichkeit der Internet-Anbieter an einer Schraube gedreht werden", kritisiert die grüne österreichische EU-Abgebordnete Eva Lichtenberger. Die österreichischen Grünen schwärzten bei den Online-Protesten gegen die geplanten US-Antipirateriemaßnahmen am vergangenen Mittwoch ihre Webseite ein und forderten auch das Europaparlament und die nationalen Parlamente auf, ACTA nicht zuzustimmen. "Die in dem Abkommen aufgeworfenen Haftungsfragen haben Auswirkungen auf das Internet. Sie gefährden das, was das Netz stark gemacht hat", warnt Lichtenberger.
Abstimmung im EU-Parlament offen
Ob es im EU-Parlament ein Mehrheit für ACTA gebe, könne man noch nicht sagen, sagt der sozialdemokratische österreichische EU-Parlamentarier Jörg Leichtfried. Der Meinungsbildungsprozess sei noch im Gang. Die Informationspolitik der EU-Kommission zu dem Abkommen sei jedoch "äußerst sparsam", was von einem schlechten Gewissen zeuge. Bei ACTA werde die Freiheit der Meinungsäußerung einem massiven Schutz geistigen Eigentums untergeordnet, sagt Leichtfried: "Ich habe sowohl inhaltliche als auch rechtliche Bedenken."
Die ÖVP-Fraktion im EU-Parlament hat sich ebenfalls noch kein abschließendes Urteil zu ACTA gebildet. Elisabeth Köstinger, Mitglied des Ausschusses für Internationalen Handel, will sicherstellen, dass ACTA mit geltendem EU-Recht im Einklang steht und dazu ein vom Rechtsdienst des Parlaments erstelltes Gutachten analysieren: "Solange diese Überprüfungen nicht abgeschlossen sind, sind alle Urteile voreilig."
"Protestpotenzial wächst"
Ob ACTA in Europa einen ähnlichen Proteststurm hervorruft, wie die in Teilen vergleichbaren US-Anti-Piraterie-Initiativen, bleibt abzuwarten. Bürgerrechtsorganisationen wie die deutsche Digitale Gesellschaft und La Quadrature du Net aus Frankreich, fordern dazu auf, an EU-Parlamentarier zu appellieren, gegen das Abkommen zu stimmen. Auch die internationale Vereinigung von Bürgerrechtsorganisationen, Edri, hat vergangene Woche eine Informationsoffensive zu dem Thema gestartet.
In Polen wurde bereits das Anonymous-Kollektiv aktiv, und legte am Samstagabend kurzerhand die Websites des polnischen Parlaments und des polnischen Präsidenten lahm, nachdem bekannt wurde, dass Polen das Abkommen Ende Jänner unterzeichnen werde. Für diese Woche sind Demonstrationen in zahlreichen polnischen Städten geplant.
"Die weltweiten Proteste gegen SOPA und PIPA haben gezeigt, welche Mobilisierung mittlerweile möglich ist", sagt ISPA-Generalsekretär Wildberger. Er sieht darin auch ein Signal an Parteien in Österreich, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen: "So etwas kann es auch bei uns geben."
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