Überwachungsprojekt: Wie gefährlich ist INDECT?
Am Samstagnachmittag wird es in Wien rund um den Westbahnhof, in Graz rund um den Jakominiplatz oder in der Salzburger Altstadt von Personen mit Anonymous-Masken wimmeln. Sie beteiligen sich an der "Operation INDECT" und verteilen Info-Flyer über das EU-Sicherheitsforschungsprojekt INDECT. Darauf ist zu lesen: "Eine Umsetzung von INDECT würde die TOTALE ÜBERWACHUNG aller EU-Bürger bedeuten. Man darf Menschen nicht verdächtigen, nur weil ein Computer denkt, dass sie sich "nicht normal" verhalten" Dies ist ein klarer Verstoß gegen die Menschenrechte!"
Tatsächlich handelt es sich bei INDECT um ein Forschungsprojekt der Europäischen Union im Rahmen des siebten Rahmenprogramms (FP7) das mit rund elf Millionen Euro gefördert wird, 2009 gestartet wurde und Ende 2013 ausläuft. INDECT steht dabei für „intelligent information system supporting observation, searching and detection for security of citizens in urban environment", also übersetzt: „intelligentes Informationssystem zur Unterstützung von Überwachung, Suche und Erfassung für die Sicherheit von Bürgern in städtischer Umgebung".
Überwachung und Verknüpfung von Daten
Ziel des Projektes ist es, strafrechtlich relevante Bedrohungen und Taten zu erkennen. Dazu sollen die Bilder aus der Videoüberwachung des öffentlichen Raums sowie aus der Luftraumüberwachung mit Drohnen ausgewertet und mit Informationen aus dem Internet (auch Social Networks) und einer Vielzahl weiterer Datenquellen wie Polizei, Telefonfirmen oder Banken automatisch verknüpft werden.
Diese Forschung wird von verschiedenen europäischen Einrichtungen und Universitäten betrieben. In Österreich beteiligt sich etwa die Fachhochschule Technikum Wien an INDECT. Laut einer parlamentarischen Anfrage des Nationalratsabgeordneten Johann Maier, der auch Vorsitzender des Österreichischen Datenschutzrats ist, wurde der FH Technikum Wien hierfür im Jahr 2009 eine Zusatzfinanzierung zu den EU-Geldern von 43.989 Euro gewährt. Dort widmet man sich in der Forschung in insgesamt zwei Arbeitspaketen der Erkennung und Verfolgung von Objekten in Bildern von Überwachungskameras. Das bedeutet, es wird untersucht, ob das Objekt "Person" oder "Auto" liegt, läuft, sitzt oder fährt.
Was ist eigentlich "abnormales Verhalten"?
Genau hier beginnt ein äußerst heikler Bereich. Bei INDECT geht es nämlich nicht nur rein um die "Erkennung von Objekten", sondern auch darum festzustellen, ob ein "Objekt" gefährlich ist oder ob sich eine Person "abnormal" verhält. Doch was ist eigentlich "abnormales" Verhalten? Auf Anfrage des Europäischen Parlaments drang an die Öffentlichkeit, was sich Polizisten unter "abnormal" vorstellen: Jemand, der rennt, schreit oder laut flucht, im öffentlichen Nahverkehr wie Zügen auf dem Fußboden sitzt oder am Bahnhof sein Gepäck vergisst. Auch "gegen den Strom laufen" sowie Herumlungern gelten als verdächtig.
Hier stellt sich beispielsweise die Frage, welcher Student nicht schon mal aufgrund von Überfüllung sitzend am Fußboden eines ÖBB-Zuges gereist ist? Und welcher Parkplatzsuchender hat nicht schon einmal laut geflucht, als ihm der Vordermann den Platz weggeschnappt hat? Und wer hat nicht schon einmal in einem Geschäft oder Lokal seinen Regenschirm vergessen, dreht plötzlich um und läuft im Eiltempo zurück? Und wer hat nicht schon mal seinen Schlüssel so tief in der Tasche vergraben, dass er vor der Haustüre fünf Minuten danach sucht? Wenn Maschinen von Menschen nach derart einfachen Strickmustern programmiert werden, gilt bald automatisch jeder als verdächtig und "abnormal". Der Computer registriert das Gesicht und grast dann automatisch das Bilderpool der Polizei sowie soziale Netzwerke oder das World Wide Web ab, um weitere Informationen zu einem zu sammeln. Genau das macht INDECT tatsächlich gefährlich, denn es kann praktisch jeder in alltäglichen Situationen ins Visier genommen werden.
Geheimhaltung und Informationskontrolle
Es gibt allerdings auch einige potentielle Einsatzbereiche, für die die INDECT-Forschung und die computergestützte Erkennung von "Objekten" tatsächlich sinnvoll sein könnte: Waldbrände oder anderen Natur- und Umweltkatastrophen könnten mit der Technik schneller erkannt werden, oder aber wenn jemand im See oder im Bad kurz vor dem Ertrinken ist. Diese Einsatzbereich scheinen allerdings nicht das Ziel des Projekts zu sein. Ab September 2010 galten zudem verschärfte Geheimhaltungsvorschriften, ab dann durfte nur noch ein "Ethikrat" über die Veröffentlichung von Informationen entscheiden. Im März 2011 wurde INDECT einer ethischen Überprüfung unterzogen mit Experten aus Österreich, Frankreich, Holland und England. Laut einer Stellungnahme der EU-Kommission wurden dabei keine Verletzungen ethischer Grundsätze festgestellt. Die "Ethik-Kommission" setzte sich dabei allerdings zu großen Teilen aus Vertretern der Polizei und Industrie zusammen.
Die Kritiker in Österreich
Neben Anonymous Austria stellt INDECT auch für die FPÖ seit dem Jahr 2010 einen "massiven Eingriff in die Freiheits- und Bürgerrechte der europäischen Bürger" dar. "Dieses EU-Forschungsprojekt stellt alle Überwachungsmethoden, auch autoritärster Staaten in den Schatten", kritisierten der freiheitliche Verfassungssprecher Harald Stefan und das freiheitliche Mitglied des Datenschutzrates Werner Herbert im August 2010 erstmals in einer von mehr als 20 folgenden Aussendungen.
"Das Projekt laufe offiziell unter dem Motto „für die Sicherheit der Bürger. In Wirklichkeit geht es aber um eine weitere Beschneidung der demokratischen Rechte der Bürger unter dem Deckmäntelchen der Terroristenbekämpfung", sagte Stefan beispielsweise im Vorjahr. Worte, die jetzt nach den erfolgreichen Protesten gegen ACTA (das EU-Parlament hat das Abkommen
Nachfolger-Projekt "Horizont 2020"
Genau das will die EU künftig besser machen: Die Europäische Kommission kündigte vor wenigen Tagen an, dass die Forschungsergebnisse des Nachfolge-Projekts von FP7, zu dem auch INDECT gehört, zugänglich gemacht werden müssen. Der FP7-Nachfolger heißt "Horizont 2020" und das Forschungsprojekt ist für den Zeitraum 2014 bis 2020 fixiert worden. Auch hier wird es wieder "Sicherheitsforschung" geben und zwar unter dem Titel "integrative, innovative und sichere Gesellschaften", die von der EU finanziert wird. Doch künftig müssen hierzu alle Artikel, die im Rahmen der Forschungsinititiatve zustande kommen, unmittelbar online zur Verfügung gestellt werden, bzw. spätestens sechs Monate nach der Veröffentlichung über ein frei zugängliches Archiv zur Verfügung gestellt werden. Bis 2016 sollen von den veröffentlichten Ergebnissen der in Europa öffentlich geförderten Forschung 60 Prozent frei zugänglich sein. Das ist auf jeden Fall ein Fortschritt.
Außerdem hat die EU-Kommission eine öffentliche Konsultation zur Sicherheitsforschung von "Horizont 2020" gestartet. Bis zum 16. September kann man seine Ideen und Vorstellungen übermitteln. So könnte man etwa vorschlagen, dass künftig sozialwissenschaftliche Analysen über die Auswirkungen von Überwachungstechnologien auf unsere Gesellschaft durchgeführt werden sollen.
Wie es mit INDECT nach Ende 2013 weiter geht, ist unklar. Als Ergebnis werden jedoch "Geräte zur mobilen Objektverfolgung" oder eine "Testinstallation von Überwachungsssystemen zur Gefahrenerkennung in großstädtischen Bereichen" erwartet. Aufgrund des "umfassenden Überwachungsgedankens" haben verschiedene Länder wie Polen oder Deutschland den Einsatz von INDECT bisher abgelehnt.
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