Viviane Reding: "Bei Apps haben Handy-Nutzer keine Wahl"
„Das Vertrauen der Bürger darin, wie private Unternehmen mit Daten umgehen, ist gering“, sagte Viviane Reding, Vizepräsidentin der Europäischen Kommision, bei ihrer Rede anlässlich des Europäischen Datenschutztags am Dienstag. 92 Prozent der Europäer würden sich Sorgen darüber machen, dass mobile Apps ohne ihrer Zustimmung Daten sammeln. 89 Prozent der Bürger wollen zudem wissen, wenn ihre Smartphone-Daten mit Dritten geteilt werden. „Diese Zahlen sind so extrem, weil die europäischen Bürger wissen, dass Unternehmen ihre persönlichen Daten so verwenden, dass sie selbst keine Kontrolle mehr darüber haben“, meinte Reding.
Wütende Vögel als Beispiel
Als Beispiel nannte die EU-Kommissarin Spiele fürs Smartphone oder Tablet, bei denen ortsbezogene Informationen gesammelt werden, ohne dass diese Informationen wirklich benötigt werden. „Ich weiß jetzt, warum die wütenden Vögel so wütend aussehen“, scherzte Reding anlässlich der jüngsten Enthüllungen rund um den NSA-Skandal. Bei den Apps habe man oft keine Wahl, entweder man würde darauf gänzlich verzichten, oder man müsse das Spionieren in Kauf nehmen, sagte die EU-Kommissarin. Man müsse daher den Bürgern die Kontrolle durch entsprechende Gesetze zurückgeben.
Mit dieser Aussage spielt die EU-Kommissarin für Justiz und Grundrechte auf die EU-Datenschutzreform an, zu der seit zwei Jahren ein Vorschlag existiert. Doch die Datenschutzreform werde nach wie vor von bestimmten Ländern im EU-Ministerrat blockiert. Reding sagte dazu: „Es ist wahr, dass bestimmte Unternehmen und Regierungen die Datenschutzreform mehr als ein Hindernis denn als eine Lösung sehen. Es hat auch viel Scheinheiligkeit in der Debatte gegeben. Doch beim Datenschutz ist es Zeit, jetzt zu handeln.“
Reform noch bis Ende 2014
Das Europäische Parlament habe dies bereits verstanden. „Die Diskussionen sind weit vorangeschritten. Der Text ist fertig. Es ist jetzt alles eine Frage des politischen Willens“, so Reding. Gemeinsam mit den beiden Berichterstattern des Europäischen Parlaments und dem derzeitigen sowie künftigen italienischen Ratsvorsitz habe man sich nun auf einen Fahrplan geeinigt, der vorsieht, dass die EU-Datenschutzreform noch bis Ende 2014 verabschiedet werden soll, so die Kommissarin.
Als Beispiel, warum die EU-Datenschutzreform abseits der spionierenden Apps notwendig sei, nannte die EU-Kommissarin Google. Vor kurzem wurden in Frankreich und in Spanien wegen Googles angepassten Datenschutzrichtlinien Geldstrafen ausgesprochen. In Spanien betrug die Summe 900.000 Euro, in Frankreich 150.000 Euro. In beiden Fällen war dies die höchstmögliche Summe.
Googles Taschengeld-Strafen
„Nimmt man Googles Ergebnisse für 2012 als Grundlage, entspricht die Strafe in Frankreich 0,0003 Prozent des weltweiten Konzern-Umsatzes“, sagte Reding bei ihrer Rede. Das sei für Google keine Strafe, sondern Taschengeld. “Überrascht es da irgendjemanden, wenn zwei Jahre nach Beginn der Ermittlungen immer noch unklar ist, ob Google seine Datenschutzrichtlinien anpassen wird oder nicht?”, fragte Reding.
Zum Vergleich: In der EU-Datenschutzverordnung ist bei schwerwiegenden Datenschutzverstößen ein Strafmaß von zwei Prozent des globalen Umsatzes vorgesehen. Das wären im Fall von Google 731 Millionen Euro gewesen. Googles Datenschutzbeauftragter Peter Fleischer hatte die EU-Datenschutzreform nicht umsonst vor wenigen Wochen für tot erklärt. Google lobbyierte bereits in der Vergangenheit massiv gegen die anstehende Reform und ließ mehrfach wissen, dass die Vorschläge der EU dem Konzern zu weit gehen würden.
Vorratsdatenspeicherung reparieren
Reding ging in ihrer Rede außerdem auf eigene Baustellen ein, die es in Europa im Bezug auf Datenschutz gibt. Dabei nannte sie das Spionageprogramm Tempora in Großbritannien oder die fehlende Unabhängigkeit mancher Datenschutzbehörden, wie etwa in Deutschland sowie die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung. Die Richtlinie sei krank und würde eine Gesundheitsreform brauchen. Die Medizin dafür sei die Grundrechte-Charta. „Die EU kann mit ihren Bemühungen zur Wiederherstellung des Vertrauens nur dann glaubwürdig und Vorbild für andere Kontinente sein, wenn sie das eigene Haus in Ordnung bringt. (…)“.
Als geeignete Lösung, um etwa das Vertrauen in die transatlantischen Beziehungen wiederherzustellen, sei einen Datenschutzpakt für Europa. Darin vorgesehen ist etwa eine Botschaft an „unsere amerikanischen Freunde“, wie Reding es nennt: „Datenschutzvorschriften sollten unabhängig von der Staatsangehörigkeit der betreffenden Person angewandt werden. Unterschiedliche Standards für Inländer und Ausländer anzuwenden, ergibt angesichts der Offenheit des Internets keinen Sinn.“
Zudem solle das Argument der „nationalen Sicherheit“ künftig sparsamer gebraucht werden, Datenerfassung müssen zudem zielgerichtet sein und „auf ein Maß beschränkt, das im angemessenen Verhältnis zu den vorgegebenen Zielen steht.“ Eine flächendeckende Überwachung der elektronischen Kommunikation sei laut Reding nicht akzeptabel.