Was bringt die Vorratsdatenspeicherung?
Wer ab Sonntag mit dem Festnetz- oder Mobiltelefon oder über Internet-Telefoniedienste telefoniert, SMS oder E-Mails versendet oder im Internet surft, muss damit rechnen, dass österreichische Ermittlungsbehörden sechs Monate lang auf die Verbindungsdaten zugreifen können. Denn ab 1. April müssen heimische Internet- und Telefonieanbieter sämtliche Verbindungsdaten von Telefon, Handy, Internet und E-Mail für ein halbes Jahr lang speichern. Polizei und Justiz können dann anhand der gespeicherten Daten feststellen, wer wann mit wem wo telefoniert hat, wer sich wann mit dem Internet verbunden hat und wer wann wem eine E-Mail oder eine SMS geschickt hat. Kommunikationsinhalte dürfen nicht gespeichert werden.
Datenschützer und Bürgerrechtler sprechen von einem schwerwiegenden Grundrechtseingriff und vom Ende der Unschuldsvermutung. Polizei und Justiz bezeichnen die im Rahmen der Vorratsdatenspeicherung gespeicherten Daten als "essenziell" für ihre Ermittlungen.
EU-Richtlinie
Vorgeschrieben wird die verdachtsunabhängige Datenspeicherung durch eine 2006 unter dem Eindruck der Terroranschläge von London und Madrid verabschiedete EU-Richtlinie. In Österreich wurde die Richtlinie im vergangenen April vom Nationalrat mit den Stimmen von SPÖ und ÖVP beschlossen, nachdem bereits Strafzahlungen der EU wegen Säumigkeit drohten.
Terrorismus und andere Delikte
Ursprünglich sollte die umstrittene Datenspeicherung bei der Bekämpfung von Terrorismus und schwerer Kriminalität zum Einsatz kommen. In zahlreichen EU-Staaten, darunter auch Österreich, können die Ermittlungsbehörden aber auch schon bei weit geringeren Vergehen auf die Daten zugreifen.
Grundsätzlich gilt, dass auf die Daten "zur Ermittlung, Feststellung und Verfolgung" von Straftaten, die "mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe" bedroht sind zugegriffen werden darf. Darunter fallen, wie etwa die ARGE Daten anmerkt, neben Mord und Totschlag auch vergleichsweise geringe Vergehen wie Bigamie.
Richterliche Bewilligung, aber zahlreiche Ausnahmen
Voraussetzung für den Zugriff auf die Daten ist eine gerichtlich bewilligte Anordnung der Staatsanwaltschaft. Allerdings gibt es zahlreiche Ausnahmen. Für den Zugriff der Ermittler auf IP-Adressen (jene Nummer mit der sich ein Computer ins Internet einklinkt) und E-Mail-Daten gibt es etwa keine Strafschwelle. Auch eine richterliche Bewilligung ist nicht vorgesehen, eine Anordnung der Staatsanwaltschaft genügt. Bei der im Sicherheitspolizeigesetz (SPG) geregelten Gefahrenabwehr muss für den Zugriff auf Standortdaten im Mobilfunk und IP-Adressen ebenfalls kein Richter eingeschalten werden. Der Rechtsschutzbeauftragte im Innenministerium muss die Anfragen jedoch informiert werden. Ein Beispiel dafür wäre etwa die Ausforschung suizidgefährdeter Personen. Neu ist auch, dass Standortdaten von Begleitpersonen abgefragt werden dürfen.
Datendrehscheibe
Die Ermittlungsbehörden können in der Regel Anfragen an eine beim Bundesrechenzentrum eingerichtete Durchlaufstelle richten, die sie an die Betreiber weiterleitet und die Abfragen protokolliert, sie aber selbst nicht einsehen kann. Die Übermittlung der Daten erfolgt verschlüsselt im CSV-Format (Coma Seperated Value). So soll ausgeschlossen werden, dass mit den Daten Data-Mining betrieben werden kann. Für Abfragen nach dem Sicherheitspolizeigesetz kann die Polizei die Provider direkt direkt kontaktieren.
Aus Daten werden Vorratsdaten
Ein Großteil der Daten wurden von den Betreibern, die sie etwa für Verrechnungszwecke brauchten, auch schon bisher gespeichert. Allerdings mussten sie gelöscht werden, wenn sie zu Betriebszwecken nicht mehr benötigt wurden. Nun müssen sie dann getrennt als Vorratsdaten gespeichert werden. Telefoniedaten werden in der Regel nach drei Monaten zu Vorratsdaten. Bei Internet-Verbindungsdaten ist dies je nach Betreiber unterschiedlich. E-Mail-Daten wurden bislang überhaupt nicht gespeichert, da sie für die Geschäftsmodelle der Betreiber irrelevant sind.
Informationspflicht
Grundsätzlich müssen Betroffene so bald wie möglich über den Zugriff auf ihre Daten informiert werden. Die Information könne aber erst erfolgen, wenn das Ermittlungsergebnis nicht gefährdet wird, heißt es aus dem Innenministerium. Auch der Aufwand müsste vertretbar sein. Die Informationspflicht liegt bei den Strafverfolgungsbehörden.
Ausnahmen gibt es aber auch hier. Bei Datenzugriffen im Rahmen des Sicherheitspolizeigesetzes, etwa wenn Leben, Gesundheit oder Freiheit eines Menschen bedroht sind, liegt eine Informationspflicht der Betroffenen nur dann vor, wenn tatsächlich auf Vorratsdaten zugegriffen wird und die Daten nicht mehr zu betriebsbedingten Zwecken vorliegen. Da zu solchen Zwecken meist aktuelle Daten herangezogen werden,
Kritik von Internet-Anbietern
Österreichische Internet-Anbieter sind mit der Vorratsdatenspeicherung nicht glücklich. Der Verband der österreichischen Internet-Wirtschaft (ISPA) spricht sich seit Jahren gegen die verdachtsunabhängige Speicherung aus. An der Umsetzung in Österreich wird bemängelt, dass nicht für alle Zugriffe auf die Daten die Bewilligung eines Richters erforderlich ist und auch bei niederschwelligen Delikten auf die Daten zugegriffen werden darf. Die Provider fordern auch eine umfassende Information der Betroffenen und einen Kostenersatz
15 bis 20 Millione Euro Kosten
Die Kosten für den Aufbau der Infrastruktur für die Vorratsdatenspeicherung werden auf 15 bis 20 Millionen geschätzt. Internet-Anbieter müssen ihre Systeme anpassen und da die Daten bei ihnen gespeichert werden auch ihre Speicherkapazitäten erweitern. 80 Prozent der Kosten werden vom Bund getragen. 20 Prozent bleiben bei den Anbietern hängen. Zahlen werden also letztlich die Bürger als Steuerzahler und Kunden.
Insgesamt sind zwischen 140 und 160 österreichische Unternehmen zur Datenspeicherung verpflichtet. Lediglich Anbieter, deren Jahresumsatz zu gering ausfällt, um Beiträge an die österreichische Rundfunk- und Telekomregulierungsbehörde (RTR) entrichten zu müssen, sind von der Speicherpflicht ausgenommen. Für 2012 gilt für die Beitragspflicht ein Planumsatz von 277.000 Euro. Eine Liste der Provider, die nicht speicherpflichtig sind, wird von der RTR nicht veröffentlicht.
EU prüft
In der EU wird die Vorratsdatenspeicherung gerade geprüft. Ein im vergangenen April veröffentlichter Evaluationsbericht spricht von gravierenden Mängeln bei der Umsetzung. In einigen Mitgliedsstaaten, darunter auch Deutschland, wurde die Datenspeicherung vom Verfassungsgericht gestoppt. Auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) prüft auf Antrag Irlands, ob die Richtlinie mit der europäischen Grundrechtscharta vereinbar ist.
Die Notwendigkeit der verdachtsunabhängigen Datenspeicherung konnte bislang von der Kommission nicht schlüssig nachgewiesen werden. Mit einer Abschaffung der umstrittenen Datenspeicherung rechnen Beobachter jedoch nicht. Im Juli will EU-Innenkommissarin Cecilia Malmstörm einen überarbeiteten Entwurf der Richtlinie vorstellen.
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Die rechtlichen Grundlagen für die Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung in Österreich finden sich in den Novellen zum Telekommunikationsgesetz (TKG), der Strafprozessordnung (StPO) und des Sicherheitspolizeigesetzes (SPG), die im vergangenen April vom Nationalrat beschlossen wurden.