"Wir sind alle freie Mitarbeiter bei Google"
Jan Philipp Albrecht hat sich mit seinem Engagement in Datenschutzfragen einen Namen gemacht, seit 2012 ist er auch Chef-Verhandler des Parlaments für die neue EU-Datenschutzverordnung. Anfang Mai erscheint sein neues Buch, „Finger weg von unseren Daten! Wie wir entmündigt und ausgenommen werden“. Darin warnt Albrecht vor den Gefahren von Big Data und legt seine Vorstellungen von zeitgemäßen Datenschutz-Gesetzen dar.
futurezone: Herr Albrecht, googeln Sie noch?
Jan Philipp Albrecht: Ja, mir bleibt nicht viel über. Wenn ich tatsächlich etwas finden will und mich nicht erheblich einschränken möchte, habe ich derzeit nicht wirklich eine Wahl. Aber jedes Mal ist etwas Unbehagen dabei.
Nutzen Sie ein Smartphone, bestellen Sie bei Amazon, verwenden Sie Online-Banking, Apps?
Von Amazon habe ich mich verabschiedet, weil ich es nicht in Ordnung finde, wie sie mit Anbietern literarischer Werke umgehen. Aber ich nutze viele der Dinge, die Sie genannt haben. In vielen Fällen ist es so, dass wir diese Dienste nutzen, weil sie im Alltag eine zentrale Rolle spielen in der Kommunikation miteinander und im wirtschaftlichen Leben. Es wäre absurd zu glauben, dass wir allein wegen der Tatsache, dass wir fürchten überfahren zu werden, nur noch in der Wohnung bleiben. Im Gegenteil: Es ist berechtigt, dass die Leute rausgehen, ihrem normalen Leben nachgehen und trotzdem die Erwartung haben, dass die Politik sie beschützt und angemessene Verkehrsregeln aufstellt.
In Ihrem Buch steht, dass hinter der Digitalisierung „ein durch US-Regierung und Militär gefördertes Kalkül der stillen Macht- und Marktübernahme stand“. Sie schreiben auch, der Kampf um den Datenschutz sei unsere „letzte Schlacht um die Freiheit“. Ist es so schlimm?
Ich bin überzeugt davon, dass das, was ich schreibe, im Grunde genommen sogar untertrieben ist. Die Markt- und Machtübernahme durch das Silicon Valley, die von der US-Regierung betrieben wurde, hat ohne Wahrnehmung und Aufmerksamkeit der Weltgesellschaft stattgefunden. Wir sind alle freie Mitarbeiter bei Google, weil wir das System mit Daten speisen, ohne es zu merken. Weil wir unser ganzes Leben offenlegen und einspeisen in dieses System. Es kann nicht dramatisch genug erklärt werden, damit Menschen verstehen, in was sie sich hineinmanövriert haben, ohne es zu merken und zu wollen.
Millionen Menschen sehen in Google Maps keine Gefahr, sondern eine Erleichterung im Alltag. Der durchschnittliche Amazon-Kunde findet es vermutlich auch praktisch, dass ihm auf Grund früherer Einkäufe neue Dinge vorgeschlagen werden.
Natürlich sind viele Dienste hilfreich und nützlich. Das Problem ist, dass wir nicht sehen, welchen Preis wir dafür bezahlen. Wir müssen den Menschen erklären, dass sie diese nützlichen Instrumente nicht umsonst bekommen, sondern dass sie dafür zahlen und zwar einen hohen Preis: Die Selbstbestimmung als Verbraucher und als Mensch in einer Gesellschaft, in der plötzlich sehr viel an Wissen über uns zur Verfügung steht. Dieses Wissen wird auch genutzt, um uns zu diskriminieren und unter Druck zu setzen, bestimmte Dinge zu kaufen oder zu tun. Dieser Preis wird uns irgendwann sehr sichtbar werden. Dann werden wir schnell zurück wollen in die Zeit, in der wir noch mit Geld bezahlt haben und nicht mit unseren Daten.
Was ist der Ausweg? Kein Smartphone, kein Internet, zurück zu analog?
Ich würde widersprechen, dass alle, die etwas ändern wollen, sich diesen Diensten entziehen müssen. Der richtige Weg ist, von Unternehmen und Politik einzufordern, dass wir effektive Kontrollrechte bekommen, um über die Weitergabe unserer Daten zu entscheiden. Wo gehen die hin, welche Konsequenzen hat das. Darum geht es – nicht darum, etwas zu verbieten oder als schlecht zu brandmarken.
Soll man sich als Nutzer aussuchen können, ob man mit seinen Daten, mit Geld oder halbe-halbe bezahlen will?
Das wäre ein richtiger Weg – parallel zu dem Weg, Regeln zu schaffen. Jeder muss ein Stück weit die Möglichkeit bekommen zu sagen, ich möchte nicht verfolgt werden, nicht Teil der Kontrolle sein, nur weil ich ein Produkt kaufe. Ich möchte auch teilnehmen können, wenn ich anonym bleiben möchte.
Regeln sind schön und gut. Die Erfahrung zeigt, dass alles, was technisch möglich ist ...
... natürlich gemacht wird, nicht nur von Unternehmen, sondern auch von Behörden. Wir erleben es derzeit mit den Geheimdiensten. Das wird sich auch nicht ändern. Was man ändern kann, ist die eigene Kontrolle, das eigene Verhalten. Dafür braucht es technische Möglichkeiten und Datenschutz-Gesetze, die uns ermöglichen, Kontrolle zu haben. Wenn alle mit Google Glass Brille durch die Straßen laufen und alles mitgeschnitten wird – ist das angemessen oder muss es da gesellschaftliche Grenzen geben? Diese Debatten müssen wir führen.
Die EU arbeitet an einem einheitlichen Datenschutz. Was bringt das, wenn ein Email von Wien nach München über Indien oder die USA geht?
Es ist klar nicht ausreichend, wenn man sich nur vornimmt, europäische Regeln zu finden. Wir werden uns internationale Standards erkämpfen müssen.
Erkämpfen?
Der Blick in die in internationale Gemeinschaft ist von vielen sehr verklärt. Nach den Snowden-Veröffentlichungen haben viele nach internationalen Regeln gerufen und dabei missachtet, dass es keine Mehrheit demokratischer Rechtsstaaten gibt. Geschweige denn einen Konsens unter den demokratischen Rechtsstaaten. Was wir haben ist ein Konsens in Europa, Datenschutz als Grundrecht zu regeln. Wenn wir es schaffen, diesen gemeinsamen Standard in Europa zu erreichen, kann dieser von keinem Unternehmen der Welt ignoriert werden. Wenn wir uns nicht zügig einigen, werden sich die Standards aus den USA, China oder Indien durchsetzen.
Wie wollen Sie den durchschnittlichen Nutzer, der heute zig Apps auf seinem Smartphone auf seinen Kalender, seinen Standort, seine Kontakte zugreifen lässt, davon überzeugen, dass Datenschutz wichtig ist?
Wir brauchen definitiv eine gesamtgesellschaftliche Fortbildung. Wir sind in einer Zeit, in der die gesellschaftlichen Umbrüche so radikal und rasant stattfinden, wie es nur mit der industriellen Revolution Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts vergleichbar ist. Die technische Fortbildung, also die Kenntnis über die Technik, die wir entwickeln, ist wichtig. Die Leute müssen verstehen, dass Google nicht nur eine weiße Seite ist mit kleinem Eingabefeld und lustigen Buchstaben darüber – sondern, dass sich dahinter ein Algorithmus und ein Datenzentrum verbirgt, das seinesgleichen in der Geschichte sucht. Wie funktioniert das, was passiert dort – das muss gelernt werden, auch wenn es unbequem ist und utopisch klingt.
Wir mussten auch einmal lernen, wie Maschinen und Autos funktionieren. Dass das nicht von Geisterhand funktioniert, sondern mit Dampfmaschine und Verbrennungsmotor. Das lernen wir in der Schule. Aber die Dinge, die sich in den letzten 15 bis 20 Jahren entwickelt haben, die hat niemand in der Schule gelernt.
Vor zwei Wochen hat der EuGH die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung gekippt. Ist die Sache damit erledigt – oder rechnen Sie mit einer neuen, adaptierten Richtlinie?
Vor dem Urteil hatte ich das Gefühl: Rechtlich ist es noch nicht gestorben – aber politisch dreht sich der Wind, was die anlasslose Speicherung betrifft. Nach dem überraschend klaren Urteil spielt diese politische Debatte gar keine Rolle mehr: Die anlasslose Speicherung von Daten aller Personen ist damit tot. Ich halte es für juristisch völlig ausgeschlossen, dass es eine neue Richtlinie gibt, die auf die anlasslose Speicherung setzt. Der EuGH sagt deutlich: Ohne Anlass, ohne konkretes Risiko ohne konkreten Verdacht gegen eine Person oder eine Gruppe ist die Speicherung schlicht nicht mit dem Recht auf Datenschutz vereinbar. Insofern bin ich da erfreut, erleichtert und absolut zuversichtlich, dass die Vorratsdatenspeicherung mit diesem Urteil in die Mottenkiste verbannt ist.