"Zuckerberg zerstört Freundschafts-Begriff"
Mit Ihrer Arbeit setzen Sie sich vor allem für die Anonymität und Privatsphäre im Internet ein. Sehen Sie sich als das Gegenteil von Mark Zuckerberg, dessen Absicht es ist, die Welt offener zu gestalten und miteinander zu verbinden?
Um eine offene und verbundene Welt zu haben, müssen wir die Freiheit dazu haben, selbstständig zu handeln. Ich möchte, dass die Menschen die freie Wahl haben, über was und mit wem sie offen kommunizieren. Mark Zuckerberg und ich sind nicht das Gegenteil voneinander, aber ich habe ein Interesse daran, dass Kommunikation so sicher wie möglich passiert. Und zwar selbst dann, wenn man Netzwerke wie Facebook nutzt. Mark Zuckerberg ist allerdings der König der Post-Privacy-Bewegung, der neben der Bedeutung von Privatsphäre auch den Begriff "Freund" für immer und ewig zerstört hat.
Wie wichtig ist Privatsphäre im Internet-Zeitalter?
Privatsphäre ist enorm wichtig und es gibt verschiedene Ebenen davon. Menschen, die von Post-Privacy sprechen, sind meistens weiß und reich. Aber Post-Privacy ist derzeit nur etwas für Privilegierte. Ich will nicht, dass jeder jederzeit weiß, wo ich bin und ich kenne viele Menschen, denen es ähnlich geht. Ich arbeite beispielsweise mit Schwulenrechtsaktivisten in Afrika zusammen. In Uganda wird man umgebracht, wenn rauskommt, dass man schwul ist. Wenn man an solchen Orten im Sinn von Post-Privacy bekannt gibt, wo man ist, gleicht das einem Todesurteil.
Wenn wir über Privatsphäre sprechen, müssen wir auch über Würde sprechen, diese ist ebenfalls ein Menschenrecht. Ich möchte selbst entscheiden, wann ich meine Hosen ausziehe und wann nicht. Es wäre außerdem wichtig, dass wir Geschäftsmodelle entwickeln, die auf den Schutz der Privatsphäre ausgerichtet sind und nicht nur Technologien. Wir müssen auch die Wirtschaft vom Nutzen derartiger Modelle überzeugen, um unsere Demokratie zu schützen.
Ein Geschäftsmodell, das sich rund um den Schutz der Privatsphäre dreht, zu entwickeln, das klingt schwierig.
Es bedarf auf jeden Fall einer Menge Grübelei, aber so schwierig ist es nicht. Wir brauchen freie und Open Source Software, ein einfaches Design und eine Community. Wenn man sich das Tor-Projekt näher anschaut, wird man draufkommen, dass es auf Non-Profit-Basis bereits funktioniert. Das Tor-Projekt existiert jetzt seit zehn Jahren. Menschen spenden dafür, um die Software besser werden zu lassen und damit wir sie weiter entwickeln können, weil sie die Software auch tatsächlich verwenden. Es funktioniert auch bei anderen NGOs. Wenn genug Menschen mitmachen und interessiert sind, und das auch möglich ist, ohne seine Identität preisgeben zu müssen, kann das zu wirklich innovativen Projekten führen.
Sie wissen genau, wie es ist, überwacht zu werden, weil Sie durch Ihr Engagement bei WikiLeaks bereits mehrfach ins Visier von Gesetzeshütern geraten sind. Wie schützen Sie Ihre eigene Privatsphäre?
Ich verwende kein Mobiltelefon mehr. Das ist allerdings ein großes Problem, denn viele Menschen verstehen das nicht. Ich wiederum verstehe nicht, wieso Menschen Geräte mit sich herumtragen, die permanent ihren Aufenthaltsort verraten. Ich verwende außerdem nur Computer, auf denen ich den Anonymisierungsdienst Tor verwenden kann, so dass ich meinen Aufenthaltsort auch auf diesem Weg nicht preisgebe. Mobiltelefone anrufen kann ich auch über VoIP-Dienste mit einem Computer.
Sie werden bei fast jeder Einreise in Ihr Heimatland USA von den Behörden genauestens "durchgecheckt" und oft stundenlang aufgehalten. Nehmen Sie da überhaupt noch Computer mit?
Manchmal ja, manchmal nein. Wenn ich einen mitnehme, dann ohne Festplatte und der von einer CD bootet, die über das freie Software-Projekt Tor zur Verfügung steht. Ich konnte tatsächlich schon die taktischen und strategischen Überwachungsmethoden von der NSA persönlich kennenlernen. Geräte, die von Behörden konfisziert wurden, habe ich danach nie wieder benutzt. Allerdings kann ich nicht im Detail über die Probleme, die ich bereits mit meinen Telefonen, Computern und anderen Elektronikgeräten hatte, sprechen.
Warum nicht?
Ich bin niemals verhaftet worden oder wegen eines Verbrechens angeklagt worden, aber dennoch darf ich nicht frei über meine Erlebnisse sprechen. Ich darf nicht einmal sagen, warum nicht. Das ist deprimierend, weil es eine Art Gefängnismauer um mich herum aufbaut, nur ist es nicht ganz so schlimm wie das, was Julian Assange durchmachen muss. Assange ist definitiv nicht mehr frei. Als ich ihn im Oktober in der Londoner Botschaft besucht habe, musste ich feststellen, dass wir uns ähnlich fühlen. Ich kann mir vorstellen, dass es Bradley Manning noch schlimmer geht, aber mit ihm habe ich noch nie persönlich gesprochen.
Sie verwenden zwar kein Mobiltelefon mehr, aber Sie benutzen Twitter. Dort haben Sie auch bekannt gegeben, dass Sie nach Wien reisen. Nach welchen Kriterien wählen Sie die Informationen, die Sie der Welt mitteilen, aus?
Ich bin dabei sehr sorgfältig. Ich fühle mich sicherer in meinem Leben, wenn ich meine Arbeit ganz normal fortsetze und dazu öffentlich kommuniziere. Wenn ich das nicht mehr täte, wäre ich durch die Überwachungsmaßnahmen bereits zerstört worden. Aber die Grenzlinie, die ich ziehen muss, ist dünn. Ich kommuniziere über das Internet zum Beispiel kaum privat. Meine Arbeit an Projekten wie Tor, mit denen man seine Privatsphäre schützen kann, werde ich fortsetzen.
Sie sind beim Tor-Projekt als Programmierer tätig und verbreiten auch die dahinterliegende Philosophie in Vorträgen auf der ganzen Welt. Tor hilft Menschen, sich im Web anonym zu bewegen. Warum ist Tor auch für den Durchschnitts-Internet-Nutzer wichtig?
Wenn wir durch das Web surfen, chatten oder ein File sharen wollen wir vor allem, dass uns niemand davon abhalten kann. Das lokale Netzwerk erkennt nur verschlüsselten Datenverkehr zu Tor, aber man kann nicht feststellen, wofür man Tor verwendet. Das ist sehr wichtig, weil es dabei hilft, nicht nur seinen eigenen Datenverkehr anonym zu halten, sondern jeder wird dadurch ein wenig anonymer. Man weiß nie, warum jemand Tor verwendet und dafür gibt es unterschiedliche Gründe.
Wenn man beispielsweise Facebook verwendet, aber nicht will, dass Facebook weiß, wo man sich gerade aufhält, dann verwendet man Tor. Natürlich gibt es auch einen Haufen Gründe für Geeks, um Tor zu benutzen: Es ist freie Software, Peer-2-Peer, dezentralisiert. Auch das zählt für eine viele Menschen. Aus der User-Perspektive zählt vor allem, dass die Software kostenlos ist und man sich nicht anmelden muss, bevor man sie runterladen kann. Jeder kann auch etwas zu Tor beitragen, wenn er möchte. Solidarität ist für eine freie Gesellschaft fundamental.
Das Tor-Projekt hat dieses Jahr seinen zehnten Geburtstag gefeiert. Wie geht es weiter?
Wir veröffentlichen demnächst eine neue Version von Tor. Natürlich sind wir auch immer auf das Feedback von Usern angewiesen, um die Software zu verbessern. Außerdem arbeiten wir mit OONI (Open Observatory of Network Interference) an einem neuen Tool, mit dem man Internet-Zensur auf der ganzen Welt darstellen kann. Das Open Source-Tool soll Nutzern die Möglichkeit geben, ihre Internet-Verbindung auf Zensur zu prüfen, ob die Bandbreite eingeschränkt wird oder ob die Verbindung überwacht wird. Diese Daten können dann frei mit anderen Nutzern geteilt werden. So soll eine globale Karte entstehen, die man dann auch für Datenvisualisierungen hernehmen kann. Wir wollen das Tool so einfach wie möglich gestalten, damit es wirklich jeder benutzen kann.
Gibt es bei der Entwicklung von Software nicht immer eine schwierige Gradwanderung zwischen Sicherheit und Komfort? Wenn etwas möglichst sicher ist, ist es meistens kompliziert in der Nutzung.
Man muss nur ein paar Interface Designer finden, die interessiert daran sind, an freien Software-Projekten mitzuarbeiten, dann werden auch die sicheren Projekte einfacher und benutzbarer. Ich glaube, dass sich freie Software bereits stark in diese Richtung entwickelt.
Das Internet war ja von Anfang an dezentralistisch aufgebaut. Jetzt gibt es aber immer mehr Zentralismus im Netz - man braucht sich nur die Macht von Google, Amazon oder Facebook anschauen. Wie gefährlich ist diese Art von Zentralisierung Ihrer Meinung nach für die Gesellschaft?
Ich halte sie für sehr gefährlich, weil es Menschen zu diesen zentralisierten Punkten hinzieht und wir noch nicht wissen, wie das ausgehen wird. Man braucht nur an das organisierte Verbrechen denken. Wenn es einen Platz im Netz gibt, wo viele Daten gelagert sind, bedeutet das, dass man die Daten dort bekommen, nutzen oder ändern kann. Menschen, die diese Daten verwalten, haben beispielsweise alle Familie - und mit genug Druck werden diese gewissen Drohungen immer nachgeben. Gerade im Bereich des organisierten Verbrechens sind wir sicherlich noch nicht am Limit angelangt, das wird schlimmer. Die Zentralisierung von Netzwerken und Daten wird gefährliche Mitstreiter nicht stoppen.
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Zur Person:
Der Programmierer und WikiLeaks-Aktivist Jacob Appelbaum ist durch sein Engagement für den Anonymisierungsdienst Tor und seine Zusammenarbeit und Freundschaft mit dem WikiLeaks-Mitbegründer Julian Assange bekannt geworden. Appelbaum twittert unter @ioerror.
Er besuchte Österreich im Oktober, um im Rahmen des Elevate Festivals einen Workshop abzuhalten. Zudem diskutierte er in Wien am Podium mit Marco Schreuder von den Grünen über das Ende der Privatsphäre im digitalen Zeitalter. Beim österreichischen Big Brother Award gewann er den "Defensor Libertatis", den einzigen Positiv-Preis, für sein Engagement im Bereich Datenschutz und Privatsphäre.