Huawei Mate 20 Pro im Test: Voll mit Features
Huawei will nicht nur bei den verkauften Stückzahlen die Nummer eins werden, sondern auch das beste Smartphone abliefern. Das beweist das neue Mate 20 Pro (999 Euro), mit dem das Samsung Galaxy Note 9 vom Android-Thron gestoßen werden soll. Der Regizid wäre auch fast gelungen.
Gut abgeschaut
Auf den ersten Blick könnte man das Mate 20 Pro auch für ein Samsung Galaxy S9+ halten. Das liegt an der eleganten Form, dem Always-On-Display und den Bildschirm-Kanten, die auf der linken und rechten Seite nach unten gebogen sind. Die Unterscheidungsmerkmale sind die markant rote Standby-Taste und der Notch, der in Größe und Form fast ident mit dem des iPhone Xs Max ist.
Die Verarbeitung ist sehr gut, ohne sichtbare Spalten zwischen Metallrahmen und der Glasvorder und -rückseite. Die Übergänge zwischen den Komponenten sind sogar fließender als beim Samsung Galaxy Note 9, jedoch nicht komplett bündig. Ein bisschen spürt man mit dem Finger noch, dass das Metallgehäuse minimal über das Glas hinaussteht.
Obwohl das Mate 20 Pro mit seinen 189 Gramm nur unwesentlich leichter als das Note 9 ist (201 Gramm), fühlt es sich merkbar leichter an. Es liegt allgemein besser in der Hand als das Samsung-Smartphone, was vermutlich auch an den besser abgerundeten Kanten liegt.
Fingerabdruckscanner im Display
Als erstes Smartphone-Spitzenmodell am europäischen Markt hat das Mate 20 Pro den Fingerabdruckscanner im Display integriert. Das heißt aber nicht, dass der gesamte Bildschirm ein riesiger Sensor ist. Der Scanner hat in etwa den Durchmesser eines Scanners, wie man ihn an der Rückseite anderer Smartphones findet. Man muss ihn ziemlich genau treffen, damit der Scan funktioniert.
Die entsprechende Stelle befindet sich am Beginn des unteren Display-Drittels, mittig. Es ist gut, dass Huawei den Scanner hier und nicht tiefer positioniert hat. So ist er nämlich bequem zu erreichen. Beim Bewegen des Smartphones zeigt ein Icon am Lockscreen die Position des Scanners an. Nach zwei Tagen Alltagsnutzung landet der Daumen aber auch schon instinktiv auf der richtigen Stelle.
Dort muss er allerdings einen Moment verweilen. Der Scan dauert länger als beim Note 9 oder anderen, aktuellen Smartphones, mit Fingerabdruckscannern an der Rückseite. Der Komfortgewinn macht dies aber wett.
Entsperren per Gesicht
Der Grund, warum der Notch so groß ausgefallen ist wie beim iPhone Xs Max, liegt daran, dass ein Feature vom iPhone Xs Max mitübernommen wurde: Die erweiterte Gesichtserkennung per Infrarot-Sensor. Huawei verspricht, dass so das Gesicht bei Sonnenlicht, totaler Finsternis, mit Brillen, Hüten, Kapuzen, sowie neuer Kopf- und Gesichtsbehaarung erkennt.
Im Test konnte ich fast alles davon bestätigen. Fast, weil ich mir für den Test nicht meinen Bart abrasieren wollte. Optische Brillen und Sonnenbrillen sind kein Hindernis. Bei großen Sonnenbrillen muss man nur manchmal das Smartphone etwas tiefer halten – also nicht frontal vor das Gesicht.
Im Gegensatz zum iPhone Xs Max kann auch eingestellt werden, dass das Smartphone sofort beim Erkennen des Gesichts entsperrt werden soll, ohne, dass ein zusätzliches Wischen nötig ist. Ist das zusammen mit der Bewegungserkennung aktiviert, kann das Mate 20 Pro einfach aus der Hosentasche gezogen oder vom Schreibtisch hochgenommen und angeschaut werden, damit es entsperrt wird – ganz ohne Tastendrücken oder Wischen.
Display
Das Mate 20 Pro nutzt ein 6,39 Zoll großes AMOLED-Display. Dies bietet starke Kontraste und leuchtende Farben. Wer will, kann Farbe, Sättigung und Kontrast auch im Einstellungsmenü anpassen. Gänzlich zufrieden bin ich mit dem Ergebnis aber nicht. Das Note 9 hat zwar auch einen leichten Farbstich, beim Mate 20 Pro wirken die Farben aber eine Spur unechter.
Der Modus „natürliche Farbtöne“, bei denen die Darstellung dem Umgebungslicht angepasst wird, ist zu aggressiv. Beim Note 9 ist die Anpassung subtiler, beim Mate 20 Pro ist der Effekt zu stark. Selbst in hellen Innenräumen bekommt das Display eine Art Braunstich, der nicht besonders ansehnlich ist. Bei der automatischen Helligkeit tut sich das Mate 20 Pro auch schwerer als das Note 9 und ist häufig zu dunkel.
Der Notch und die Benachrichtigungen
Der Platz neben dem Notch wird genutzt, um Icons anzuzeigen. Im Gegensatz zum iPhone Xs Max, kann der Akkustand auch in Prozent rechts neben dem Notch angezeigt werden. Auf der linken Seite ist aber der Platz knapp. Hier haben nur fünf Icons Platz. Empfang, WLAN und Lautlos-Modus nehmen bereits drei davon ein. Ist Bluetooth und NFC aktiviert, ist der Platz voll. Benachrichtigungs-Icons für mehrere Apps werden dann womöglich nicht mehr angezeigt. Wer will, kann den Notch auch durch einen schwarzen Balken „verschwinden“ lassen, allerdings löst das das Icon-Platzproblem nicht.
Immerhin gibt es, entgegen dem iPhone Xs Max, eine Benachrichtigungs-LED. Diese ist aber sehr klein ausgefallen, sodass man sie schon mal übersehen kann. Aber auch dafür gibt es eine Lösung: ein Always-On-Display – oder auch nicht. Das Always-On-Display zeigt nämlich nur Benachrichtigungs-Icons für SMS und Anrufe an, nicht aber für diverse Messenger und soziale Netzwerke. Bei Samsungs Note 9 werden alle Icons am Always-On-Display angezeigt.
Die letzte Benachrichtigungs-Option ist, dass das Display kurz aufleuchtet mit dem Namen der App, für die es eine Benachrichtigung gibt. Das ist zwar nicht besonders elegant, aber besser, als eingetroffene Nachrichten zu übersehen.
Wischen statt drücken
Bei der Bedienung versucht Huawei dem User so viele Optionen wie möglich zu bieten. Wer es traditionell möchte, kann eine Leiste mit drei oder vier Android-Tasten einblenden. Als Alternative gibt es die Gestensteuerung, wie man sie vom iPhone Xs Max kennt.
Wischen nach oben geht zum Homescreen, am linken oder rechten Rand Wischen geht zurück und halb nach oben Wischen öffnet die zuletzt genutzten Apps. Im Testzeitraum habe ich die meiste Zeit das Mate 20 Pro mit dieser Bedienung genutzt, da man so am meisten vom Display hat. Als dritte Steuerungsoption gibt es den NaviDot. Dieser ist eine One-Button-Lösung, mit der durch Wischen und Drücken navigiert wird. Der virtuelle Button kann frei am Display platziert werden.
Auch beim App-Drawer lässt es Huawei dem User frei, ob dieser per Symbol am Display erreicht wird oder wie beim iPhone alle Apps am Homescreen dargestellt werden. Dann gibt es noch diverse Kleinigkeiten, wie etwa Knöchelsymbole. Zeichnet man mit dem Knöchel eine horizontale Linie am Display, wird der geteilte Bildschirm aktiviert. Lässt man mit dem Knöchel das Display gedrückt, wird ein Screenshot gemacht.
Problemkind Software
Bei der Software zeigt sich, dass Huawei noch nicht so lange im Android-Premiumsegment Erfahrung sammeln konnte, wie Samsung. Zwar hat der chinesische Hersteller versprochen, dass das Einstellungsmenü des Mate 20 Pro optimiert wurde, das Ergebnis ist aber ernüchternd.
Das Einstellungsmenü ist verwinkelt. Die Position von einigen Dingen ergibt anfangs keinen Sinn. Die Option, ob man das Mate 20 Pro mit Wischen oder per Leiste steuern will, findet man weder bei „Anzeige“, noch „Startbildschirm“, oder „Intelligente Unterstützung“ (ein Hand-Symbol mit den Unterpunkten „Bedienungshilfen“ und „Bewegungssteuerung“), sondern in „System“. Dieses Menü ruft man üblicherweise auf, wenn man das Smartphone zurücksetzen oder Softwareversions-Infos erfahren will. Auch der „Einfache Modus“ ist hier versteckt, der eigentlich bei den Bedienungshilfen sein sollte.
Dann gibt es mehrere kleinere Probleme. Nervig ist ein Klick-Geräusch aus dem Lautsprecher, das zu hören ist, wenn ein Autoplay-Video startet und das Mate 20 Pro auf stumm gestellt ist. Das ist zwar kein Drama, allerdings sollte man meinen, dass so etwas irgendjemanden bei Huawei auffällt. Für einige Google-Apps scheint auch die automatische Synchronisation zwischenzeitlich deaktiviert zu sein, obwohl diese aktiv ist und keine Energiespar-Option gewählt wurde.
Es gibt aber auch Lichtblicke. Als Basis für Huaweis Oberfläche dient das aktuelle Android 9. Das Mate 20 Pro kann per Miracast kabellos eine Windows-ähnliche Ansicht auf kompatible TVs und Monitore streamen. Es gibt einen Dark Mode und mit „App Twin“ kann man von ausgewählten Apps (Facebook, WhatsApp) Klone erstellen, um nicht ständig den User wechseln zu müssen.
Leistung
Der 4200-mAh-Akku lieferte im Test genug Energie, dass ich die meisten Tage mit 30 bis 40 Prozent Restladung beendet habe. Wer weniger eifrig das Smartphone nutzt, könnte mit dem Mate 20 Pro zwei Tage Laufzeit herausholen. Das Mate 20 Pro lädt sehr schnell mit dem mitgelieferten 40-Watt-Lader: von 0 auf 70 Prozent in 30 Minuten. Dafür ist der Ladestecker aber entsprechend groß ausgefallen.
Als Bonus kann das Mate 20 pro kabellos andere Smartphones aufladen, wenn man sie Rückseite an Rückseite legt. Mit einigen Handys, wie dem iPhone Xs Max und Google Pixel 3, klappt das auf Anhieb. Bei anderen, wie dem Note 9, muss man etwas herumprobieren, bis man die richtige Stelle findet. Das Aufladen des anderen Smartphones mit dieser Methode ist allerdings langsam.
Das Mate 20 Pro verzichtet auf einen 3,5mm-Klinkenstecker. Ein weiteres Ärgernis für einige User könnte sein, dass statt MicroSD-Karten Huaweis eigener Standard NM-Card genutzt wird, um den Speicher zu erweitern. Bei Amazon gibt es derzeit nur eine NM-Card zu kaufen (128 GB, 45 Euro).
Der hauseigene Kirin-980-Prozessor mit den 6 GB RAM bietet ausreichend Leistung, um den Smartphone-Alltag ruckelfrei zu bestreiten. Egal ob Games oder Multitasking, im Test blieb die Bedienung mit dem Mate 20 Pro flüssig.
Dreifach-Kamera
Eines der Highlights des Mate 20 Pro ist das Dreifach-Kamera-Setup. Jede der drei Linsen hat eine unterschiedliche Brennweite und Auflösung. Die Standard-Kamera hat 40 Megapixel, ist standardmäßig aber auf 10 Megapixel eingestellt. Das Superweitwinkel-Objektiv hat 20 Megapixel. Nummer drei hat eine Brennweite, die einem 5-fach optischen Zoom entspricht und 8 Megapixel. Auf den Monochrom-Sensor, den Huawei bei seinen früheren Modellen genutzt hat, wird jetzt verzichtet.
Aufgrund der unterschiedlichen Hardware sehen die Fotos immer anders aus, auch wenn dasselbe Motiv fotografiert wird. Das ist etwa störend, wenn man eine bestimmte Lichtstimmung einfangen will, die Brennweite wechselt und dann die Farben plötzlich ganz anders aussehen.
Die besten Ergebnisse erzielt man mit der Hauptkamera mit 10 Megapixeln. Die „künstliche Intelligenz“, wie es Huawei nennt, wählt dabei aus einer Unzahl an Szenen-Modi und passt die Bildparameter entsprechend an. Meistens wird die entsprechende Farbe betont, etwa Blau, wenn der Himmel fotografiert wird.
Durch die nur 10 Megapixel und die oft überschärften JPGs sind einige Teile des Bildes matschig und andere zu scharf. Die Aufmerksamkeit des Betrachters wandert dadurch von dem Objekt weg, das man eigentlich fotografieren wollte. Das passiert aber hauptsächlich, wenn man die Fotos auf größeren Displays betrachtet. Auf Smartphone-Bildschirmen fällt das nicht störend auf.
Nachtaufnahmen gelingen ebenfalls gut. Wer diese noch ein bisschen spektakulärer aussehen lassen will, kann den eigenen Nachtmodus verwenden. Dieser pumpt Sättigung und Farben auf, was zwar nicht realistisch, aber hübsch anzusehen ist.
Spaß im Superweitwinkel
Am meisten Spaß hatte ich beim Test mit der Superweitwinkel-Kamera. Diese erlaubt viele kreative Optionen. Aufgrund der Bauart kann man damit auch noch näher ans Motiv und interessante Makroaufnahmen machen. Nervig ist, dass die Superweitwinkel-Aufnahmen allesamt leicht unscharf und rotstichig sind. Zudem weisen sie bei wenig Licht ein deutliches Bildrauschen auf.
Der 5-fach optische Zoom tendiert hingegen eher zu neutralen Farben. Bei nicht optimalen Lichtbedingungen gibt es merkbares Bildrauschen. Zudem sind die Details verwaschen und wenn Personen fotografiert werden, gibt es oft seltsame Bildfehler, die wie Schuppen auf der Haut aussehen. Dieser Fehler tritt auch bei anderen hellen Flächen auf, allerdings nicht ganz so häufig.
Es gibt noch weitere Modi, mit denen man etwa AR-Emojis als Video oder GIF speichern kann, einen für künstliche Hintergrundunschärfe oder einen Porträtmodus, bei dem der Hintergrund geändert werden kann. Wie beim iPhone Xs Max gibt es etwa Bühnenlicht als Effekt, aber auch andere, wie Buntglas. Diese Fotos sind witzig, wenn auch qualitativ nicht besonders beeindruckend.
Insgesamt sind die mit der Hauptkamera gemachten Fotos in den meisten Fällen sehr gut. Heraussagend sind sie bei gutem Licht und Nachtaufnahmen. Bei allem dazwischen liefert das Note 9 häufig etwas bessere Resultate.
Weniger Spaß in der App
Die Kamera-App selbst ist nicht besonders toll. Sie ist nicht ansprechend gestaltet, erfüllt aber ihren Zweck. Das Wechseln zwischen Superweitwinkel- und normaler Kamera hat eine Verzögerung, die beim Vorseriengerät im Hands-on noch nicht vorhanden war. Die „KI“ ist manchmal übereifrig beim bestimmen des Fokus und versucht auf Objekte im Bild scharfzustellen, die nicht von Interesse sind.
Lästig ist, dass es keine automatische HDR-Funktion gibt. Man sollte glauben, dass dies bei einem derart leistungsstarken Gerät mit „KI“-Support kein Problem sei. Wer in HDR fotografieren will, muss dazu extra den Modus anwählen, der im Menüpunkt „Mehr“ versteckt ist.
Fazit
Das Huawei Mate 20 Pro (999 Euro) hat zwar die Hardware, um zum besten Android-Smartphones des Jahres aufzusteigen, ist aber bei der Software hinten nach. Hier hat Samsung einen Vorsprung. Auch wenn es Kleinigkeiten sind, die beim Mate 20 Pro stören, stören sie dennoch hartnäckig im Alltagsgebrauch. Wenn das Mate 20 Pro deutlich günstiger als das Note 9 wäre, könnte man damit argumentieren, aber da der UVP derselbe ist, bleibt das Samsung Galaxy Note 9 am Android-Thron.
Das heißt noch lange nicht, dass das Mate 20 Pro schlecht ist oder deshalb alle User mit genügend Geld ein Note 9 kaufen sollten. Das Mate 20 Pro liefert eine ähnlich gute Performance, liegt aber besser in der Hand und hat mit der Superweitwinkel-Kamera eine kreative Spielerei, die Foto-Fans begeistern kann. Der Fingerprintscanner im Display ist ein netter Bonus, wobei die Gesichtserkennung aber besser und schneller funktioniert.
Wer ein aktuelles Android-Spitzenmodell sucht, aber nicht das wuchtigere Note 9 will, bekommt mit dem Mate 20 Pro die beste Alternative – es sei denn, man legt viel Wert auf den 3,5mm-Klinkenstecker oder einen richtigen MicroSD-Slot.