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Wieso wurde die chinesische Rakete nicht einfach abgeschossen?

Ein paar Tage lang hat die erste Raketenstufe einer chinesischen Trägerrakete vom Typ Langer Marsch 5B die Welt in Atem gehalten. Sie würde unkontrolliert irgendwo auf der Welt zwischen dem 41. nördlichen und 41. südlichen Breitengrad abstürzen. Am Sonntag war es schließlich soweit. Die 21 Tonnen schwere Rakete trat über der Arabischen Halbinsel in die Erdatmosphäre ein.

Durch die Hitze beim Wiedereintritt verglühte der Großteil, der Rest schlug im Indischen Ozean auf. Für viele Beobachter*innen stellt sich nun die Frage, ob man es überhaupt soweit kommen lassen musste. Wieso hat man z.B. die Rakete nicht einfach abgeschossen und schon im Orbit zerstört, statt Menschen auf der Erde einer Gefahr auszusetzen?

Abschießen von Weltraumobjekten ist machbar

Prinzipiell kann man Objekte im Weltraum von der Erde aus gezielt abschießen. Das haben in der Vergangenheit mehrere Tests von so genannten Antisatellitenwaffen (ASAT) bewiesen. Oben im Bild seht ihr eine indische ASAT, die 2019 getestet wurde.

Dabei handelt es sich um militärische Raketen, die ihr Ziel meist einfach nur rammen. Sprengstoff entfaltet im Weltraum nur eine geringe Wirkung. Die Geschwindigkeit aufeinanderprallender Objekte reicht aus, um Rakete und Zielobjekt völlig zu zerstören. Übrig bleiben dann üblicherweise nur kleine Bruchteile. Davon entstehen allerdings sehr viele.

Im Februar 2009 hat ein ausrangierter sowjetischer Militärsatellit den Kommunikationssatelliten Iridium 33 getroffen. Der Zusammenstoß mit 42.000 km/h hat über 2.000 Bruchstücke, die größer als 10 Zentimeter waren, produziert. Genau wie beim Einsatz von ASAT stürzen solche Bruchstücke meist innerhalb weniger Jahre in die Erdatmosphäre und verglühen dort.

Noch mehr Weltraumschrott

Viele Teile können jedoch im Orbit bleiben, einige werden etwa durch die Aufprallenergie in größere Flughöhen befördert, von wo aus sie nur sehr langsam wieder Richtung Erde absinken. Damit wird die Problematik des Weltraumschrotts verstärkt.

Durch menschliche Aktivitäten im Weltraum fliegen ohnehin schon genug Teilchen um die Erde. Bis zu 10 Zentimeter Größe kann man sie von der Erde aus erfassen, aber auch kleinere Teile sind durch ihren Flug mit mehrfacher Schallgeschwindigkeit hochgefährlich für Satelliten, die Internationale Raumstation und Raumfahrer*innen.

Endresultat bleibt das gleiche

Abgesehen von der Gefahr, zusätzlichen Weltraumschrott zu produzieren, hätte ein Abschuss die Gefahr für die Menschen durch abstürzende Teile kaum verringert, meint Willibald Stumptner, Obmann des Österreichischen Weltraumforums: "Beim Wiedereintritt bricht so eine Rakete auseinander, etwas anderes würde durch einen Abschuss auch nicht passieren. Hätte man die chinesische Rakete abgeschossen, hätte sich am Endresultat wenig geändert."

Risiko für Menschen ist gering

Das Risiko, von abstürzenden Teilen eines Objekts aus dem Weltraum getroffen zu werden, wird generell als sehr niedrig eingestuft. Rund drei Viertel der Erdoberfläche nehmen die Ozeane ein. Auch ein Großteil der Landfläche ist nicht oder nur dünn besiedelt. Bisher verlor noch kein einziger Mensch sein Leben, weil er von Weltraumschrott erschlagen wurde.

Bei den größten bisherigen Abstürzen über Land - etwa beim Wiedereintritt des sowjetischen Militärsatelliten Kosmos 954 über Kanada 1978 oder beim Wiedereintritt der US-Raumstation Skylab 1979 über Australien - wurden zwar Trümmer über weite Gebiete verstreut und jahrelange Aufräumarbeiten waren notwendig, aber es gab keine Opfer.

Das "Deorbiting" der Langer Marsch 5B Rakete hat China nicht zum ersten Mal versemmelt

China riskiert bewusst unkontrollierte Abstürze

Laut Stumptner habe der Fall der chinesischen Trägerrakete eine starke politische Dimension. In der Vergangenheit sind Staaten immer wieder für unvorsichtigen Umgang mit Raumfahrtobjekten kritisiert worden. Als etwa Indien 2019 erstmals eine Antisatellitenwaffe im Weltraum testete, gab es einen internationalen Aufschrei. China gerät nun stärker ins Visier, weil es nicht das erste Mal war, dass eine Langer-Marsch-5B-Rakete unkontrolliert abgestürzt ist. Im Mai 2020 geschah dies schon einmal.

Was steckt dahinter: Fahrlässigkeit oder Fehlfunktion? Stumptner vermutet im aktuellen Fall ein Ausreizen der Möglichkeiten: "Die Langer-Marsch-5B-Raketen werden momentan verwendet, um eine chinesische Raumstation aufzubauen. Da versucht man, möglichst viel Fracht in den Orbit zu bringen. Vielleicht war einfach nicht mehr genug Treibstoff übrig, um einen kontrollierten Wiedereintritt zu ermöglichen."

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David Kotrba

Ich beschäftige mich großteils mit den Themen Energie, Mobilität und Klimaschutz. Hie und da geht es aber auch in eine ganz andere Richtung.

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