Forensik klärt Verbrechen in Vergangenheit und Gegenwart
Nördlich von Wien wurde im niederösterreichischen Asparn an der Zaya ein kleines Dorf von unbekannten Angreifern zur Gänze ausgelöscht. Mindestens 33 Personen wurden bei dem brutalen Überfall getötet. Bei allen Toten wurden schwere Schädelverletzungen festgestellt. "Die Wirbelsäule wurde in einem Fall in den Schädel eingestaucht", beschreibt die zuständige Forensikerin das grausame Massaker von Asparn.
Passiert ist der Überfall vor rund 7000 Jahren und bei der zuständigen "Gerichtsmedizinerin" handelt es sich um Maria Teschler-Nicola vom Naturhistorischen Museum Wien. Bei einem Vortrag im Rahmen der Veranstaltungsreihe Am Puls erklärt die Expertin, wie es möglich ist die Vorfälle von Asparn nach so langer Zeit zu rekonstruieren.
Knochen und Zähne
"Prähistorische Anthropologie und Paläopathologie beschäftigen sich mit körperlichen Relikten des modernen Menschen, von vor 10.000 Jahren bis in die Neuzeit. Der Übergang zur Rechtsmedizin ist dabei fließend und orientiert sich üblicherweise an den Verjährungsfristen", sagt Teschler-Nicola. Experten ziehen durch die Analyse von alten Überresten sogar Rückschlüsse auf ganze Populationen. Dazu muss interdisziplinär gearbeitet werden. Zu Beginn wird Geschlecht und Alter gefundener Knochen bestimmt. Weitere Untersuchungen mithilfe von Chemikern, Genetikern und Archäologen geben Aufschluss über Krankheiten, Verletzungen, Verwandtschaftsverhältnisse, vorhandene Krankheitserreger, eventuelle Wanderbewegungen und die Ernährung.
"Die Bedingungen sind oft eher ein limitierender Faktor als das Alter der Überreste. Durch Wasser, Temperatur oder pH-Wert kann ein 7000 Jahre altes Skelett besser konserviert sein als Knochen aus der Römerzeit", erklärt Teschler-Nicola. Wie alt ein Mensch zum Zeitpunkt seines Todes war kann üblicherweise nur mit einer gewissen Ungenauigkeit festgestellt werden. Die einzige Methode, die in den meisten Fällen eine exakte Angabe erlaubt, ist die aufwändige Analyse des Zahnzements. "Dieser lagert sich am Zahn an. Und zwar eine Schicht pro Jahr. Das ist wie bei den Jahresringen der Bäume", erläutert Teschler-Nicola.
Mordwaffe Steinkeule
In Asparn sind verschiedenste Methoden zum Einsatz gekommen. "Am Ende arbeiten wir wie Detektive. Wenn wir etwas herausfinden, ergeben sich daraus oft weitere Fragen", sagt Teschler-Nicola. Das Geschlecht der Verstorbenen kann oft anhand des Beckens bestimmt werden. Ist dieses nicht vorhanden, wird auf Eigenheiten an Schädel, Stirn und Kiefer geachtet. Muskelansätze lassen ebenfalls Rückschlüsse zu. Selbst manche Krankheiten lassen sich aus den Knochen lesen. "Tuberkulose, Lepra oder Syphilis können Spuren an den Knochen hinterlassen, genau wie einige Stoffwechselkrankheiten", sagt die Expertin. In Asparn waren es aber vor allem die Knochenbrüche, die anfangs Aufschlüsse über die Geschehnisse lieferten.
"Hier wurden mehrere menschliche Skelettreste in atypischer Konfiguration gefunden. Das hat uns schon zu Beginn stutzig gemacht", sagt Teschler-Nicola. In der Siedlung im nördlichen Niederösterreich fanden sich verschiedene menschliche Überreste aus der Zeit um 5000 vor Christus. Das Seltsame war, dass es keine Gräber gab. Die Knochen lagen mehr oder weniger wild verstreut auf dem Areal. "Normal für diese Zeit sind konservative Bestattungsriten", sagt Teschler-Nicola. Zudem fehlten bei einigen Skeletten Hände oder Füße und es gab ein deutliches Übergewicht an Männern bei den jungen Erwachsenen unter den Opfern. Dann stellten die Forscher fest, dass alle Skelette schwere Schädelverletzungen aufwiesen und einige bis zu acht verschiedene Frakturen aufwiesen. Analysen ergaben, dass die meisten Wunden mit Steinkeulen verursacht wurden.
Frauenraub
Dass die Überreste Bissspuren von Hunden und Wölfen aufwiesen, beweist für die Forscher, dass niemand das Massaker überlebt hat: Es war anscheinend niemand mehr da, um die Knochen zu begraben. Die fehlenden jungen Frauen lassen laut Teschler-Nicola erahnen, dass die Mörder nicht alle Bewohner des Dorfes umgebracht haben. Einige weibliche Individuen wurden demnach entführt. All das lesen die Forscher aus den gefundenen Knochen. Da es in Süddeutschland mit Talheim und Herxheim aus der gleichen Zeit noch zwei weitere Fundorte gibt, die ähnliche Geschichten erzählen, vermuten die Forscher, dass es um 5000 vor Christus eine Krise gegeben hat, die verstärkt zu Konflikten geführt haben könnte. Ausgetrocknete Brunnen weisen auf einen möglichen Ressourcenmangel hin, der auch die dieser Zeit gehäuft vorkommenden Befestigungsanlagen erklären könnte.
Schillers Gebeine
Ganz so grausam ist die Arbeit der Forensiker aber nicht immer, wie eine weitere Geschichte mit Österreichbezug beweist. Walther Parson von der Medizinischen Universität Innsbruck hat vor einigen Jahren dabei geholfen, das Rätsel um Schillers Gebeine zu lösen. Friedrich Schillers Sarg steht neben jenem von Johann Wolfgang von Goethe in der Fürstengruft in Weimar. Mittlerweile ist er allerdings leer. Mitschuld daran ist Parson, der als Teil einer Expertengruppe geholfen hat, die Echtheit jener Gebeine zu klären, die Jahre nach Schillers Tod in der Gruft gelandet waren.
Schiller starb 1805, seine Leiche wurde mit 63 anderen in eine Massengruft gelegt. Diese wurde 1826 geräumt, aufgrund der Unordnung konnten Schillers Überreste aber nicht mehr identifiziert werden. Daraufhin wurde auf Goethes Wunsch hin versucht anhand der Knochen festzustellen, welches Schillers Skelett war. Das Schwab-Skelett (nach dem damaligen Bürgermeister), auf das sich die Beteiligten schlussendlich einigten, wurde dann in die Fürstengruft gelegt, wo es lange neben Goethe lag, der 1832 starb.
Zweites Skelett
Jahre später, im Jahr 1883 äußerte ein deutscher Anatom Zweifel an der Echtheit des Schiller-Skeletts. Die Totenmaske des Schriftstellers passe nicht zu den Knochen, so sein Argument. Das veranlasste einen weiteren Anatomen, August von Froriep, 1911 auf dem Gelände des ursprünglichen Massengrabs nach dem "echten" Schiller zu suchen.
Auch das Froriep-Skelett landete daraufhin in der Fürstengruft, in einem kleineren, unbeschrifteten Sarg neben den Schwabe-Skelett. Daraufhin wurde Jahrzehntelang darüber gestritten, welches das echte Skelett sei, das von Schwab oder das von Froriep. Im Juli 2006 wurde dann jene Expertengruppe nach Weimar geladen, der auch Parson angehörte, um endgültig Klarheit zu schaffen. Parson hatte zuvor schon geholfen, König Richard den Dritten zu identifizieren, indem die nur mütterlicherseits vererbte mitochondriale DNA mit der heute lebender Nachfahren abgeglichen wurde. Obwohl zwischen Richard und seinen Abkömmlingen 19 beziehungsweise 21 Generationen lagen, konnte der Test die Verwandtschaft eindeutig bestätigen.
Tote Söhne
Im Falle von Schiller gibt es keine heute lebenden Verwandten aus einer direkten Linie. Schwestern Schillers konnten hingegen ausfindig gemacht werden. Eine Analyse ergab, dass das Schwab-Skelett nicht mit den weiblichen Schillers kompatibel war. Auch die Gräber der Söhne Schillers wurden ausfindig gemacht und Proben entnommen. Ihre mitochondriale DNA war identisch mit der von Schillers Schwestern, was bestätigte, dass es sich um Neffen und Tanten handelte. Die Y-chromosomale DNA, die nur väterlicherseits vererbt wird, war allerdings nicht mit der des Schwabe-Skeletts kompatibel. Das Skelett war also weder der Bruder von Schillers Schwestern noch der Vater seiner Söhne.
Damit war eindeutig erwiesen, dass es sich beim Schwabe-Skelett nicht um Schiller handelte. Auch das Froriep-Skelett stellte sich nach Analysen als Fälschung heraus, weshalb heute gar kein Schiller-Skelett mehr in der Weimarer Fürstengruft liegt.
Zukunft
Über die reine Identifizierung von Personen ist die DNA-Forensik heute bereits weit hinaus, wie Parson erzählt. Mit einer Technik namens "Massively Parallel Sequencing" kann heute aus einer DNA-Spur schon auf gewisse Eigenschaften eines möglichen Täters geschlossen werden. "Es kann schon beinahe ein Phantombild des Spurenverursachers gezeichnet werden", sagt Parson. Die Farbe von Augen, Haaren und Haut kann bereits aus DNA-Spuren gelesen werden. In Österreich, der Schweiz und Deutschland ist das noch nicht erlaubt, in den Niederlanden, Spanien und Großbritannien wird es hingegen schon gemacht.
"Beim Bombenattentat in Madrid konnte die Herkunftsregion eines Täters über DNA-Spuren eingegrenzt werden", sagt Parson. Mit derselben Technik können bald auch eineiige Zwillinge unterschieden werden. "Der Unterschied liegt bei nur drei Basenpaaren in 3,3 Milliarden. In Österreich haben wir etwa 100 Verbrecher mit eineiigen Zwillingen, die wir heute nicht unterscheiden können", sagt Parson.
Wettervorhersage: Groß
Allerdings wird die DNA in den wenigsten Fällen exakte Aussagen über äußerliche Merkmale erlauben. "Wie groß ein Mensch ist hängt zum Beispiel stark von der Ernährung und anderen Faktoren ab, nicht nur von den Genen", sagt Parson. Ziel solcher Methoden sei es deshalb eher, Ermittlern Anhaltspunkte zu geben. "Das ist eher wie ein Wetterbericht und gibt nur Hinweise. Vor Gericht werden solche prädiktiven Verfahren sicher nie zugelassen. Sie sollen helfen, wenn Ermittler sonst keine Anhaltspunkte haben. Dann könnten DNA-Spuren Augenzeugen ersetzen und ungefähre Angaben über Größe, Alter oder Herkunft machen. Ermittler könnten so vielleicht andere Beweise finden", sagt Parson.