Tote Astronauten am Mars: Gefriertrocknen oder aufessen
Vor rund 53 Jahren bestand bereits die Befürchtung, dass die Apollo-11-Besatzung von der Mondoberfläche nicht zurückkehren würde. In der Notfallrede des damaligen US-Präsidenten Richard Nixon hieß es: „Das Schicksal hat bestimmt, dass die Männer, die zum Mond gegangen sind, um in Frieden zu forschen, auf ihm bleiben werden, um in Frieden zu ruhen.“
Seit sich Menschen in Raketen setzen, sind 18 Personen bei bemannten Raumfahrtmissionen gestorben. Dabei ist immer die gesamte Besatzung umgekommen - niemand konnte gerettet werden. Jedoch kommen wir einer bemannten Mars-Mission immer näher, wo es auch zu einzelnen Todesfällen kommen kann. SpaceX-CEO Elon Musk hat bei der Werbung für seine eigenen Pläne für eine künftige Weltraumsiedlung ganz offen gewarnt: „Wenn Sie zum Mars wollen, bereiten Sie sich auf den Tod vor.“
Auch laut Gernot Grömer, Direktor des Österreichischen Weltraumforums, muss man mit Todesfällen rechnen. „Wenn wir mehr und mit größeren Gruppen fliegen werden, oder einen permanent bemannten Außenposten aufbauen, dann wird das irgendwann mal passieren.“
Dem Philosophen Carl Friedrich Gethmann nach könnte man das Mortalitätsrisiko ethisch diskutieren, jedoch sei die Anzahl der Todesfälle bei der Raumfahrt nicht bedeutend höher als bei Risikosportarten oder Autorennen. Die bemannte Raumfahrt zur Erkundung der menschlichen Umwelt sieht er als kulturell wünschenswert.
Niemand wird zurückgelassen
Zum Umgang mit Leichen bei einer solchen Erkundungsmission gibt es alle möglichen Vorschläge – vom Verglühen lassen im Weltall bis zum Begräbnis auf anderen Planeten. Laut Gethmann gibt es aus ethischer Sicht dazu nicht viel zu sagen. „Bestattung ist kein ethisches Problem, aber ein technisches, wo ich keine Empfehlung abgeben kann.“
Grömer erklärt: „Beim Mars, also in möglicherweise astrobiologisch interessanten Gegenden, wo es Wasser gibt, möchte man keine biologische Kontamination verursachen und da kann man jetzt nicht ein Seemanns-Begräbnis durchführen.“ Selbst die Rover, die den Mars erforschen, sind nach internationalen Abkommen verpflichtet, keine Mikroben von der Erde auf den Roten Planeten zu bringen. Raumfahrzeuge werden vor dem Start wiederholt gereinigt und desinfiziert, um zu verhindern, dass potenziell bewohnbare Orte von irdischen Mikroben überrannt werden.
Die wahrscheinlichere Variante, wäre laut Grömer jemanden im Bodybag tiefgefroren bei -70 Grad Celsius zurück zur Erde mitzunehmen: „Im Prinzip wie eine Eis-Mumie.“ Das Risiko von Bakterien und fehlender Hygiene gäbe es aufgrund der niedrigen Temperaturen nicht. Diese wären bei allen Missionen, „wo wir mit Menschen in absehbarer Zeit hinkönnen“, also auf dem Mond, Mars, Asteroiden und im freiem Weltraum vorhanden. Somit käme es, soweit der Körper nicht im beheizten Bereich des Habitats aufbewahrt wird, zu keinem wesentlichen Verwesungsprozess. Genug Platz gäbe es dafür auch: „Das wird man sich aus Pietätsgründen leisten müssen.“ Problematisch werde es, wenn es mehr als einen Todesfall gibt.
Die Pläne der NASA gehen möglicherweise in dieselbe Richtung. 2005 gab sie eine Studie beim schwedischen Öko-Bestattungsunternehmen Promessa in Auftrag. Das Ergebnis ist eine Methode namens „The Body Back“ und muss noch getestet werden. Demnach wird die Leiche im Wesentlichen gefriergetrocknet, indem sie ein Roboterarm in einem Beutel außerhalb des Raumschiffs hält. Innerhalb einer Stunde soll er brüchig werden und nach Vibration des Roboterarms in ascheähnliche Überreste zerbrechen.
Die NASA hat offiziell bisher keine Vorgehensweise bestimmt. Gegenüber Popular Science heißt es, dass man „keine Notfallpläne für alle entfernten Risiken“ erstelle. Die Reaktion auf jede ungeplante Situation im Orbit werde aber in einem Echtzeit-Kooperationsprozess zwischen dem Flight Operations Direktorat, dem Performance Direktorat, der Human Health-Abteilung und internationalen Partnern festgelegt. Eine Mars-Mission steht in den nächsten Jahrzehnten schon auf dem Plan. Laut der NASA-Studie „Journey to Mars“ schätzt man eine Reisedauer von etwa 3 Jahren, in der einiges schief gehen könnte.
Ungewöhnliche Nahrungsquellen
Das Szenario, wo die Besatzung aufgrund von beispielsweise technischen Problemen abgeschottet ist, gehöre laut Grömer zur klassischen Risikoanalyse. „Die Crew muss bei solch einer Mission in der Lage sein, über längere Zeit - Tage, Wochen und Monate - für sich selbst zu sorgen.“ Mittlerweile gäbe es auch für Nahrungsquellen besondere Projekte, wo man sich eigene Ressourcen pflanzt. Grömer ist hier zum Teil skeptisch: „Gerade bei den ersten Expeditionen, wo man noch keine Infrastruktur aufgebaut hat, wird man auf konservative Ernährungsstrategien setzen müssen.“ Das sei beispielsweise gefriergetrocknete Nahrung und Pflanzen, die sehr leicht anzubauen sind, wie Kresse.
Doch was, wenn es in der Not keine Nahrungsvorräte mehr gibt? Spätestens seit dem Buch „The Martian“ (Der Marsianer) von Andy Weir, ist Anthropophagie bzw. menschlicher Kannibalismus ein Thema im Zusammenhang mit der Mars-Besiedelung. Ein Besatzungsmitglied nutzt im Roman aufgrund von fehlenden Vorräten die anderen verstorbenen Mitglieder als notbedingte Nahrungsquelle. Wäre dieses Szenario real, wäre es nicht das erste Mal.
„Wir kennen es aus der Geschichte. Von der frühen europäischen Besiedlung des amerikanischen Kontinents bis zu einem Flugzeugabsturz in Südamerika, wo die Überlebenden frischverstorbene Menschen gegessen haben“, sagt Grömer. „Also bevor man verhungert, würde man alles, was man irgendwie in die Finger bekommen kann, essen.“
Es sei „denkbar“, aber man würde ja auch davor alles andere versuchen. Angesichts der vielen anderen Dinge, die schiefgehen könnten, ist die Wahrscheinlichkeit, dass „genau dieser eine hochselektive Nischenfall eintritt, sehr sehr sehr gering.“ Möglicherweise ist das der Grund, weshalb bisher keine Raumfahrtbehörde eine offizielle Richtlinie zum Kannibalismus auf dem Mars festgelegt hat.
Eine solche Vorgehensweise werde moralisch „rauf und runter diskutiert“, stellt Gethmann fest. „Aus säkularer ethischer Perspektive sehe ich da gar kein Problem. Was ganz anderes wäre es, wenn jemand eine Person umbringt, die nicht umgebracht werden möchte, um sie zu essen.“
Bioethiker Paul Wolpe meint gegenüber Popular Science, dass „wir dem Körper zwar enormen Respekt schulden, aber das Leben an erster Stelle steht. Wenn die einzige Möglichkeit zu überleben darin besteht, einen Körper zu essen, dann ist das zwar akzeptabel, aber nicht wünschenswert.“
Gefürchtete Konsequenzen von Kannibalismus
Sucht man nach medizinischen Folgen von Kannibalismus, stößt man schnell auf Prionen-Erkrankungen wie der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJK), welche eigentlich äußerst selten (jährlich ein bis 2 Personen pro eine Million Einwohner*innen), aber in allen Ländern vorkommen. „Bei 90 Prozent der Fälle tritt eine Erkrankung spontan, also ohne Übertragung, wie bei Alzheimer oder Parkinson, auf. Daher kann man nicht sagen, wann sie auftritt“, sagt Ellen Gelpi von der Abteilung für Neuropathologie und Neurochemie der MedUni Wien und dem Österreichischen Referenzzentrum für menschliche Prionenerkrankungen. Sie entstehen, wie der Name schon sagt, nicht aufgrund von Viren, sondern durch Prionen bzw. abnorm gefalteten Eiweißen im Hirn, die aus noch unbekannten Gründen nicht abgebaut werden.
Meistens treten sie bei älteren Menschen ab 60 Jahren auf. „Prionen sind zwar potenziell übertragbar, aber nicht auf einem natürlichen Weg. Infektiös ist dabei nur das Gehirngewebe, das Rückenmark und die Hirnflüssigkeit,“ erklärt Gelpi. Dass der Verzehr davon zu einer Erkrankung führen kann, habe man in den 50er-Jahren in Papua-Neuguinea herausgefunden. Dort war es in einer Sprachgruppe ein kulturelles, spirituelles Ritual, die Körper der Verstorbenen zu verzehren. „Da war plötzlich eine Kuru-Epidemie ausgebrochen. In wenigen Jahren ist es zu hunderten Fällen in einer kleinen Community gekommen.“ Man geht davon aus, dass der Ursprung eine sporadische Creutzfeldt-Jakob-Krankheit war, die durch die orale Aufnahme weitergegeben wurde. Mittlerweile ist es auf der Insel im südwestlichen Pazifik verboten, Menschenfleisch zu verzehren.
Bei externer Aufnahme, also durch Endokannibalismus, kann der Ausbruch Jahre dauern. Gelpi nach wird aber nicht jeder krank und nicht gleich schnell. Ein Faktor, der die Möglichkeit einer Erkrankung beeinflusst, ist die Menge. „Wahrscheinlich reicht hier nicht eine kleine Dosis, sondern eher mehrere Dosen.“ Außerdem sei auch die genetische Information entscheidend. Je nachdem ist man vulnerabel oder eher resistent.
Prionen-Erkrankungen führen zu einer schweren Dysfunktion von Nervenzellen und bedeuten mit Sicherheit den Tod. Klassische Symptome sind anfangs Orientierungs- und Sehstörungen, Verlust der räumlichen Wahrnehmung und Sprachstörungen sowie folgend Gangunsicherheit, Geschicklichkeits- und Bewegungsstörungen. In wenigen Monaten sind die betroffenen Patient*innen bettlägrig, können nicht kommunizieren und sterben innerhalb von zirka 4 bis 6 Monaten.
„Das ist ein dramatischer Krankheitsverlauf für Angehörige, Ärzte und die betroffene Person – man bekommt mit, wie der Zustand sich Tag für Tag verschlechtert.“ Unter einem Mikroskop sehe man beim Gehirn, dass zwischen den Nervenzellen kleine Hohlraumbildungen entstehen, „wie bei einem Schwamm“. Bei der Kuru-Krankheit, die sich durch den Erkrankungsweg, Symptomatik und biologische Merkmale von CJK unterscheidet, sind zusätzlich Eiweißablagerungen in Form von sogenannten Plaques in vielen Gehirnarealen zu sehen.
So schrecklich diese Prionen-Erkrankungen klingen, hängt eine Infektion am Mars eben von vielen Faktoren ab. Laut Gelpi sollten Viren und andere Krankheitserreger angesichts ihrer leichteren Übertragung bzw. einem größeren Risiko auch in Betracht gezogen werden.
Abschied nehmen
So neuartig die bemannte Erkundung des Roten Planeten ist, so sind es auch die Überlegungen zum Umgang mit verstorbenen Menschen, die daran teilnehmen. „Man sollte durchaus gewillt sein, sich einem gesellschaftlich breiteren Diskurs auch mit Ethiker*innen zu stellen,“ sagt Grömer. Er möchte in diesem Aspekt auf deren Erfahrung und Expertise setzen.
Wie man sich von einer toten Person verabschiedet, welche Informationen an die Angehörigen weitergegeben werden, sei laut Gethmann ein „typischer Fall der Trauerarbeit und unterscheidet sich nicht von Todesfällen auf der Erde“. Wenn jemand auf der Autobahn zu Tode komme, müsse auch irgendwer die Angehörigen informieren.
„Das wird kulturabhängig unterschiedlich ablaufen. Die verschiedenen Nationalitäten gehen auf ihre Weise mit Angst, Trauer, Schmerz und Krankheit um,“ merkt Grömer an. Gethmann nach sollte das auch so weit wie möglich respektiert werden. „Man wird da eine gewisse Pluralität haben und hier gelte das Toleranzgebot, was aber Grenzen hat.“ Würde nämlich eine andere Person dadurch zu Schaden kommen, dann geht es zu weit.
Der Teufel liegt im Detail
„Es gibt ungefähr eine Million Arten und Weisen, wie man auf dem Mars sterben kann,“ meint Grömer. Durch große dramatische Sandstürme, eine elektromagnetische Entladung oder den Einschlag eines Mikrometeoriten zu sterben, sei aber nicht groß. Die Wahrscheinlichkeit solcher Probleme könne nämlich bis zu einem gewissen Grad eingeschätzt bzw. prognostiziert werden, sagt Grömer. „Wovor ich am meisten Respekt habe, sind die kleinen unauffälligen Problemchen, die zu Katastrophen heranwachsen können.“ Beispielsweise der CO2-Absauger, wo ein unscheinbarer Bauteil defekt wird: „Man kann es nicht reparieren, aber man weiß: In 2 Monaten werden wir ersticken.“
Auf dem Mars ist man bis zu 380 Millionen Kilometer von der Erde entfernt. „Das Ersatzteillager ist erst nach mindestens einem Jahr Flugzeit erreichbar. Daher wird man sehr robuste Teile brauchen und einen 3D-Drucker.“ Ohne ihn wäre es Grömers Ansicht nach „fahrlässig“ zu fliegen.
Konsequenzen eines Ausfalls
Dass eine Person ausfällt, auch wenn sie nur krank wäre, hat bedeutende Auswirkungen, erklärt Grömer. „Die Person und alle ihre mitgebrachten Qualifikationen fehlen in der Crew. In der Ausbildung muss es daher Redundanzen geben, damit der Ausfall von mindestens einer Person abgedeckt werden kann.“ Die Mars-Simulationen des ÖWF beispielsweise in Israel oder der Nordsahara haben gezeigt, dass das operativ „einen massiven Impakt“ hat. „Einerseits fällt die Person aus, andererseits müssen sie andere Personen im Fall einer Krankheit oder Verletzung mitbetreuen. Man muss für solche Fälle Notfallpläne durchdeklinieren. Sonst kann das auch missionskritisch werden.“
Die am besten durchdachten Missionen auf dem Mars dauern, laut Grömer, zwischen 900 und 1.000 Tagen. Kommt es früh zu einem Ausfall, werde man die Mission massiv umplanen müssen: „Man kann nicht umdrehen, wie bei einer Schiffsfahrt.“ Daher muss vorausgeplant werden. „Man muss auf jedes Element der Mission, ob Transistor, Roboter oder Crewmitglied, draufzeigen und sagen können, was passiert, wenn das, die oder der ausfällt.“
In diesem Sinne betont Grömer die Bedeutung von Feldsimulationen solcher Erkundungsexpeditionen, wie sie bei den Mars-Analogmissionen des ÖWF durchgeführt werden. „Man kann die Probleme im Labormaßstab schwer durchdeklinieren und in der Theorie schon gar nicht“. Bei technischen oder psychologischen Fragen brauche man diese „Hands-on-Erfahrung“ – und da sind österreichische Forscher*innen international ganz vorne mit dabei.