Österreich soll komplexer werden
Im Rahmen einer zweitägigen Konferenz, die Montag und Dienstag in Wien stattgefunden hat, haben einige der weltweit führenden Köpfe auf dem Gebiet der "Complexity Science" Einblick in ihre Arbeit gegeben. Die Erforschung komplexer Systeme ist ein interdisziplinäres Unterfangen, unter den Vortragenden in Wien befanden sich dementsprechend Forscher mit diversen wissenschaftlichen Hintergründen, von Physik bis Anthropologie. Veranstaltet wurde die Konferenz vom "Complexity Science Hub Vienna", einem Zusammenschluss österreichischer Forschungseinrichtungen und Universitäten, die dabei sind, eine Plattform für Komplexitätsforschung aufzubauen. "Beteiligt sind die technischen Universitäten Graz und Wien, die medizinische Universität Wien, das International Institute for Applied Systems Analysis in Wien und das Austrian Institute of Technology (AIT)", erklärt Wolfgang Knoll, wissenschaftlicher Geschäftsführer des AIT.
Die Plattform, die vermutlich in Form eines Vereins gegründet werden soll, will national ein Ort des Austausches für Wissenschaftler sein, die sich diesem Gebiet widmen. International soll sie ein Knotenpunkt in einem länderübergreifenden Netz aus Forschungsinstitutionen werden, Santa Fe in den USA und Singapur etwa sind weitere bekannte Zentren. Längerfristig sollen Wissenschaftler aus dem In- und Ausland vom Hub nach Wien geholt werden, für kurze Forschungsaufenthalte oder als längerfristig Beschäftigte. "Der Austausch von PhD-Studenten und Postdocs wird ein wichtiger Teil der Arbeit", sagt Helga Nowotny, Vorsitzende der Österreich-Sektion des European Research Council im Rahmen einer Pressekonferenz des Complexity Hubs. Die Einrichtung einer Professur in Zusammenarbeit mit einer Universität steht ebenfalls im Raum.
Wien als Zentrum
Bei einem Treffen mit ranghohen Beamten der Stadt Wien im Rahmen des Kongresses hat Bürgermeister Michael Häupl seine Unterstützung für das Projekt zugesagt. Die Stadt will dem Hub vorerst helfen Räumlichkeiten für die Einrichtung einer Zentrale zu finden. Über die Finanzierung wird derzeit noch verhandelt, die beteiligten Partner hätten aber schon Zusagen gemacht, wie Vertreter bei der Pressekonferenz versichern. Wissenschaftlich soll die Arbeit laut Knoll den "theoretischen Überbau" bilden, um die großen Probleme der Welt anzugehen.
Die Komplexitätsforschung gibt es mittlerweile seit rund 30 Jahren. Durch die Möglichkeiten der modernen Informationstechnologie, riesige Datenmengen zu erfassen und zu analysieren, soll sich das Feld in Zukunft aber radikal verändern, wie Stefan Thurner, Professor für komplexe Systeme an der medizinischen Universität Wien sagt: "Wir könne heute Datensätze mit fast allen Informationen über ein System in Echtzeit verarbeiten. In einer Stadt etwa wissen wir in Millisekundenauflösung, wie der Verkehr fließt oder wie viel Energie und Wasser verbraucht werden."
Stadtentwicklung auf Datenbasis
Die Möglichkeiten, die sich daraus ergeben, haben Einfluss auf verschiedenste Bereiche. "In Wien haben wir vor kurzem den Smart City Plan für die Stadt erstellt. Hier müssen Behörden und Verwaltung das Wissen aus der Komplexitätsforschung berücksichtigen. In einem komplizierten System wie einer Stadt können sich schon kleinste Einflüsse aufsummieren und dafür sorgen, dass die Entwicklung nicht-lineare Wendungen nimmt", sagt Michael Stampfer vom Wiener Forschungs- und Technologiefonds.
In Singapur ist man auf diesem Gebiet schon einen Schritt weiter, hier wird dieses Wissen bereits in der Praxis angewendet. "Die Komplexitätsforschung erlaubt es, eine ungewisse Zukunft besser zu verstehen und sich darauf vorzubereiten. Die Unsicherheit entsteht aus der Komplexität. Wenn wir sie reduzieren, können wir Frequenz und Stärke von Schocks in der Zukunft verhindern", erklärt Peter Ho von der Nanyang Technology University. Möglich wird das durch die Entwicklung von Werkzeugen, die ein Spektrum an Zukunftsprognosen entwickeln können und die Analyse großer Mengen an Daten. Ein praktisches Beispiel ist laut Ho die Planung des Verkehrsnetzes auf Basis von Daten.
Beliebte Disziplin
Studiengänge, die sich mit komplexen Systemen beschäftigen, erfreuen sich in anderen Ländern derzeit großer Beliebtheit. Albert Lazlo Barabasi von der Northeastern University hat sowohl in Budapest als auch in Boston PhD-Programme auf diesem Gebiet gegründet, die sich schon nach kurzer Zeit großer Beliebtheit erfreuten. "Das wäre in Wien sicher nicht anders", so der Professor. Angesprochen werden dabei nicht nur Mathematiker, Physiker und andere Naturwissenschaftler, wie Anthropologe Steve Lansing von der Nanyang Technology University beweist:
"Schon als dieses Gebiet entstanden ist, waren Wirtschaftswissenschaftler, Physiker und Archäologen beteiligt. Es geht um emergente Muster, die sich in verschiedensten Systemen zeigen. Ich kam zur Komplexitätsforschung, als ich in Bali die Verwaltung von Wasser beim Reisanbau erforscht habe. Das dort verwendete System erwies sich als äußerst effizient. Ein Physiker brachte mich darauf, dass es nicht geplant, sondern selbstorganisierend war. Da begann ich mich mit der Thematik zu beschäftigen."
Vorbild Singapur
In Österreich soll ein Programm nach Vorbild Singapurs entstehen. "Wir haben dort vor drei Jahren begonnen, indem wir auf hohem Niveau Konferenzen organisiert haben, mit Weltklasse-Forschern. Am ersten April 2014 wurde dann das Institut eröffnet", erzählt Jan Vasbinder von der Nanyang Technological University. Den ersten Schritt hat der Complexity Science Hub Vienna mit der Konferenz also bereits getan. Als nächstes sind in den kommenden Monaten drei weitere Workshops geplant, zu den Themen Healthcare mit Fokus auf BigData, Urban Development und Wirtschaftssysteme.