"Investoren suchen Einhörner, setzen aber oft auf Esel"
Statt einem Job bei einem internationalen Kosmetikunternehmen entschied sich Sophie Ryba für die Selbstständigkeit. 2010 gründete sie die Beauty-Webseite The Lipstick und schuf sich darüber hinaus weitere berufliche Standbeine. Die futurezone hat die Jungunternehmerin in ihrem Büro in Wien für ein Interview getroffen.
Wie bist du dazu gekommen, ein Beauty-Portal zu machen?
Sophie Ryba: Ich habe nach dem BWL-Studium beschlossen, ich möchte gerne in die Beauty-Welt, weil das eine sehr marketinglastige Branche ist und ich stark zu Marketing tendiere. Ich hatte einen Job bei Estee Lauder als PR-Managerin, habe aber ziemlich schnell festgestellt, dass ich kein Konzernmensch bin. Ich mache lieber sehr viel selber und erfinde gerne, gestalte gerne. 2010 habe ich mein Beauty-Onlinemagazin The Lipstick gegründet.
Gab es so etwas zu dem Zeitpunkt schon?
Das war damals ein ziemlicher Vorreiter, es gab so gut wie keine Blogs zu dem Thema in Österreich. Dadurch hatte ich auch die Möglichkeit, in kurzer Zeit eine große Community aufzubauen. Es waren relativ schnell über 30.000 Newsletter-Abonnenten. Was die Vorreiterrolle auch mit sich brachte war, dass Firmen noch nicht bereit waren, große Anzeigenkampagnen in Onlinemedien zu schalten. Das war nicht üblich. Das hat mich relativ schnell dazu gezwungen, mir ein zweites Standbein aufzubauen, um meine Rechnungen zahlen zu können.
Was war das nächste Standbein?
Durch die Kontakte, die ich dank The Lipstick aufgebaut hatte, bin ich schnell in die Schiene Social-Media-Beratung für Unternehmen gerutscht. Da waren große Marken dabei: Hochriegl,
Innocent Smoothies, Waldquelle, BIPA. Dann bin ich Co-Organisatorin vom FashionCamp Vienna geworden. Das ist eine der größten Blogger-Veranstaltungen in Österreich. Das mache ich auch bis heute nebenbei und es hat mir die Möglichkeit gegeben, in der Blogger-Szene Fuß zu fassen.
Dein jüngstes Projekt ist Cosmeterie.
Cosmeterie habe ich 2014 gegründet. Das ist mein derzeitiges Herzprojekt. Es handelt sich dabei um eine Plattform, auf der wir kleinen, unabhängigen Shops und Marken die Möglichkeit geben, online aufzutreten. Ich habe bemerkt, dass gerade in Österreich viele Marken und Shops im Beauty-Bereich keine Ahnung von Internet haben. Die geraten trotz guter Produkte mit kleinen Online-Shops sehr ins Hintertreffen. Man braucht einfach eine gewisse Reichweite und die bieten wir mit unserer Plattform an.
Hattest du am Anfang deiner Selbstständigkeit ein Vorbild für The Lipstick?
Überhaupt nicht. Im Nachhinein gesehen, bin ich sehr blauäugig in die Sache reingegangen. Aber ich glaube, wenn man sich selbstständig macht, braucht man das ein bisschen, diese Stärke, dieses Sich-nichts-sagen-lassen. Mir haben Leute gesagt, dass ich mutig bin und ich habe das nicht verstanden, weil das für mich logisch war.
Wann kam für dich das Bedürfnis, dein eigenes Unternehmen zu gründen?
Im Kopf bin ich eigentlich schon selbstständig seit ich 15 war. Mein Vater war immer selbstständig und hatte mehrere Firmen bevor er seine Pharma-Firma aufgebaut hat. Er hat mich immer stark in seine Geschäfte eingebunden, in seinen Aufbau der Firma. Das war eine totale Erfolgsgeschichte, aber ich habe auch die Schattenseiten gesehen: Wie sehr man kämpfen muss, welche negativen Seiten es gibt. Aber mein Vater hat mir alles spielerisch beigebracht, er vermittelte den Spaß daran, vor unlösbare Probleme gestellt zu werden. Mir war dann klar, dass ich auch selbstständig sein möchte.
Wie hast du den Aufbau deines ersten Unternehmens begonnen?
Im Gegensatz zu vielen Mitstudierenden habe ich BWL aus Leidenschaft studiert. Ich mochte Marketing und habe das Potenzial des Internet gesehen. Die Beauty-Branche ist im Internet in den Kinderschuhen gesteckt. Es ist eine sehr weibliche Branche, aber es gibt leider nicht viele Gründerinnen. Männer schenken dem ganzen nicht so viel Beachtung, weil es für sie nicht so wichtig ist. Das klingt jetzt vielleicht doof, aber ich habe das auch bei der Investorensuche gemerkt. Es ist schwierig, einen Mann von der Emotionalität und Wichtigkeit, die Frauen für Beauty entwickeln, zu überzeugen.
Wie hast du deine Webseite gestaltet? Hast du selber programmiert?
Ich konnte ein wenig programmieren, aber ich wollte die Sache gleich ganz groß aufziehen. Ich habe einen Kredit aufgenommen, eine GmbH gegründet und eine Webseite programmieren lassen, samt eigenständigem CMS. Letzteres war im Nachhinein gesehen ein Fehler, aber naja, man lernt nie aus (lacht). Wegen dem Kredit hatte ich sofort Druck, Geld zu verdienen. Vielleicht hätte sich das Ganze anders entwickelt, wenn ich mit Wordpress oder Ähnlichem gestartet hätte.
Wie hast du dein Publikum gefunden? Wie wurde The Lipstick bekannt?
Naja, eigentlich bin ich nur online gegangen und das hat schon gereicht (lacht). Ich habe ganz klassisch damit angefangen, Einträge in Foren zu posten, ich hatte einen kleinen Online-Shop, wo man eine Lipstick-Box kaufen konnte, ich habe einfach überall online reingepostet. Man muss leider sagen, dass 2010 und 2016 im Online-Bereich zwei verschiedene Welten sind. Es wäre jetzt nicht mehr möglich, mit dem damaligen Aufwand so viel Reichweite zu erhalten.
Wer ist deine Zielgruppe?
Sowohl bei The Lipstick als auch bei Cosmeterie ist die Zielgruppe klarerweise stark weiblich und Beauty-affin. Bei beiden ist das Publikum großteils zwischen 16 und 45 Jahren alt. Es kommen aber auch immer mehr Personen über 45 Jahren dazu.
Hast du Mitarbeiter?
Ich habe für jedes meiner Standbeine jemanden. Meine erste Vollzeit-Angestellte habe ich für Cosmeterie geholt. Außerdem habe ich eine Mitarbeiterin bei The Lipstick. Die Fashion-Camp-Organisation machen wir zu dritt.
Wodurch kommt das Geld rein?
Bei The Lipstick ist es Anzeigenverkauf, Content Marketing. Die Einnahmen sind relativ konstant, das Portal ist in der Beauty-Fachwelt bekannt. Bei Cosmeterie machen wir den Verkauf und das Online-Marketing für den Kunden. Für den Job zahlen sie Miete und wir erhalten zehn Prozent der Einnahmen, die sie im Shop generieren. Außerdem haben wir eigene Produkte, die wir verkaufen.
Gibt es Konkurrenten, die dir The Lipstick nachmachen?
Ich habe keine Angst, dass mir jemand die Arbeit wegnimmt. Konkurrenz belebt das Geschäft. Das Gute ist: Mit der Verbreitung von Beauty-Blogs ist die Bereitschaft bei Firmen gestiegen, Geld für Content auszugeben. Das Schlechte ist, dass viele Beauty-Blogs nur existieren, um Gratis-Lippenstift abzusahnen (lacht). Aber nachgemacht kann man nicht sagen. Jedes Online-Magazin hat seine Daseinsberechtigung, wenn es sich inhaltlich vom Rest abhebt.
Hast du einen typischen Arbeitsalltag?
Nein, eher nicht. Das hat seine Vor- und Nachteile. Ich arbeite einerseits wesentlich mehr. Bei einer 40-Stunden-Woche kann ich nur lachen. Aber dafür ist meine Arbeit sehr erfreulich, ich mache sie mit viel Leidenschaft.Das letzte, was ich vor dem Einschlafen mache, ist meine Social-Media-Kanäle anzuschauen. In der Früh schaue ich E-Mails an, bevor ich aus dem Bett aufstehe. Und dann überlege ich mir beim Zähneputzen, wie der Arbeitstag ausschauen wird (lacht). Aber das Büro bringt eine ziemlich gute Regelmäßigkeit rein. Ich habe sehr lang aus Kostengründen zu Hause gearbeitet, das ist emotional nicht sehr zu empfehlen.
Kommst du viel herum in deinen Tätigkeiten?
Sehr viel, manchmal zu viel (lacht). Ich sage mittlerweile auch sehr viel ab, wäge sehr genau ab, ob es mir was bringt, wenn ich dorthin gehe. Durch The Lipstick werde ich viel eingeladen. Für Außenstehende ist das eine tolle Sache, jeden Tag Champagner zu trinken, Geschenke und Gratis-Massagen zu erhalten und ein Jet-Set-Leben auf Instagram zu führen. Aber der Tag hat nur 24 Stunden und ich habe drei andere Jobs, die ich gerne mache.
Wie oft und wie interagierst du mit deinen Nutzerinnen?
Wir interagieren auf allen Social-Media-Kanälen: Instagram, Twitter, Facebook, Pinterest. Ich bin dabei aber nie in diese Ich-Schiene gerutscht. Man weiß, wer dahinter steckt und ich bin oft mit meinem Gesicht zu sehen, aber ich habe nie meine privaten Geschichten eingebunden. Das hätte mir vielleicht mehr Leser gebracht, aber dann wird das eigene Privatleben diskutiert. Das wollte ich nicht.
Hast du manchmal Existenzsorgen gehabt?
Irre viele. Davon erzählt normalerweise keiner, von den Schattenseiten der Selbstständigkeit. Ich habe schon durch meinen Vater mitbekommen, wie schlimm das sein kann, wenn man dasitzt und nicht mehr weiß, wie man das alles zahlen soll. Die Rechnungen kommen laufend rein, das Geld kommt nur tröpfchenweise rein. Viele Firmen zahlen ja auch gerne erst drei Monate, nachdem sie eine Rechnung erhalten haben.
Es gab gerade am Anfang Momente, wo ich am Boden gesessen bin und mir überlegt habe, ob ich aufhören soll, ob das ganze eine falsche Entscheidung war. Die Momente haben glücklicherweise immer nur kurz gedauert, weil ich eine kämpferische Natur bin (lacht). Aber es ist definitiv kein Zuckerschlecken, diesen Weg zu gehen. Sich da vorzustellen, ich hab eine Idee, ich mache ein Start-up und - Bamm! - alle wollen das, das kann man einfach vergessen.
Was hältst du vom derzeitigen Start-up-Boom? Glaubst du, dass das ein Hype ist?
Absolut. Auf der Suche nach Privatinvestoren war ich bei vielen Internet-Start-up-Geldgebern, die mit meinem Geschäftsmodell - so komisch das klingt - nichts anfangen konnten, weil ich solide Umsätze hatte. Mein Geschäftsmodell ist stabil und wird stabil weiter wachsen, aber was ich nicht bin, ist so eine Internet-Geschichte, die dir vorgaukelt, dass sie in drei Jahren das 8000-fache wert ist. Und das suchen viele. Ich glaube, dass das eine Blase ist. Die suchen alle ihr Unicorn und setzen auf zu viele Eseln (lacht).
Wie sieht die Zukunft aus? Wirst du mit deinen Standbeinen weitermachen oder hast du bereits neue Pläne?
Mein Ziel ist es, meine Projekte richtig groß aufzubauen und sie auf die nächste Ebene zu heben. Im November habe ich an meinem ersten Pitch teilgenommen, bei 7ventures, und gegen 70 Unternehmen gewonnen. Für Cosmeterie haben wir 25.000 Euro Werbebudget erhalten. Wir sind jetzt irrsinnig gespannt, wie unser TV-Spot wird.