Erste Campus: Bankzentrale ohne fixe Arbeitsplätze
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Das Areal um den neuen Wiener Hauptbahnhof ist seit Ende vergangenen Jahres um einen riesigen Gebäudekomplex reicher. Wenn die Erste Group mit Juni 2016 ihr neues Hauptquartier, den Erste Campus fertig bezogen hat, werden mehr als 4500 Mitarbeiter dort zur Arbeit gehen. Der Konzern bündelt in der neuen Zentrale oberhalb des Belvederes 20 Firmen-Standorte, die bislang über die ganze Stadt verstreut waren. Die futurezone hat einen Blick hinter die Kulissen geworfen.
Zwei Gebäude, sechs Kerne
Der Komplex besteht aus zwei Gebäudeteilen mit insgesamt sechs Gebäudekernen, die unter- und überirdisch miteinander verbunden sind. Mit dem vom Architektenbüro Henke Schreieck geplanten Gebäude, das auf geschwungene Formen sowie eine Holz-Glas-Fassade setzt, will sich die Bankengruppe offener und transparenter präsentieren, als man es von hermetisch abgeriegelten Konzernzentralen sonst gewohnt ist.
Das riesige Atrium im inneren des größeren Gebäudeteils ist ebenso frei für Besucher zugänglich wie ein dort angesiedeltes Café. Ein Campus Bräu, sowie Ausstellungsräume mit Kunstwerken der Erste Sammlung runden das frei zugänglich Angebot ab. Daneben bietet die neue Zentrale mit dem Financial Life Park (FLiP) auch Platz für ein Finanzbildungszentrum, in dem Wirtschafts- und Finanzwissen vermittelt werden soll. Dieses wird im Herbst 2016 eröffnet.
Betondecke statt Klimaanlage
Das Gebäude selbst weist einige bauplanerische und technologische Kniffe auf, die helfen sollen, die Betriebs- und Energiekosten im Rahmen zu halten und das Arbeitsklima für Mitarbeiter zu verbessern. So werden geothermische Effekte genutzt, um die Raumtemperatur zu regeln. So erfolgt die hauptsächliche Kühlung im Sommer nicht über Klimaanlagen, sondern über die verwendeten Betondecken mit eingebauten Kühlleitungen. Diese reagieren zwar relativ träge, sorgen aber im Gegensatz zu eiskalter Luft, die normalerweise an einzelnen Stellen in den Raum geblasen wird, für ein ausgewogeneres Raumklima ohne störende Zuglufterscheinungen.
Aber auch bei der Fassade gibt es einige versteckte Details. So dient das Außenglas nur als Wetter- und Windschutz für die eigentliche Holz-Glas-Fassade, die sich in regelmäßigen Abständen manuell öffnen lässt. Neben den über 100 Lüftungsanlagen, die ein Luftvolumen von einer Million m3 pro Stunde transportieren, können Mitarbeiter über die aufmachbaren Fassadenelemente Luft schnappen oder auch kurz lüften. „Man fühlt sich in einem Gebäude einfach besser, wenn man nicht das Gefühl hat, dass es hermetisch abgeriegelt ist. Dass man zwischendurch normale Außenluft riechen kann oder auch Hintergrundgeräusche der Stadt wahrnimmt“, erklärt Campus-Projektleiter Christian Maeder im futurezone-Gespräch.
Wettersensoren am Dach der Gebäude sowie ein Software-Algorithmus, der einem eingespielten Schattenmodell der Umgebung folgt, regeln die automatische Verschattung der Glasflächen. Regenwasser wird in Zisternen gesammelt und zur Klospülung eingesetzt, die Beleuchtung wird mit stromsparenden LEDs bewältigt. Die radikalste Entscheidung traf die Konzernführung wohl bei der Gestaltung der Büroräume. Ähnlich wie bei Microsoft Österreich wurden die fixen Arbeitsplätze de facto abgeschafft.
Offene Großraumbüros
In den offenen Räumen, die nach Abteilungen organisiert sind, gibt es unterschiedliche Tische, die teilweise auch zu Stehpulten für kurze Besprechungen umfunktioniert werden können. Klassische Bürosessel wechseln sich mit legereren Sitzgelegenheiten, Pflanzen und Aufenthaltszonen ab. Alle Mitarbeiter verfügen über ihren eigenen Laptop, der an die auf den Tischen platzierten Displays angeschlossen werden können. „Wir haben über Untersuchungen der bestehenden Standorte herausgefunden, dass über den Tag verteilt oft 30 bis 40 Prozent der Arbeitsplätze in Büros nicht besetzt sind. Es war daher eine bewusste Entscheidung, weniger Plätze, dafür mit hochwertigeren Möbeln, die technisch alle Stücke spielen, auszustatten“, sagt Maeder.
Ausnahmen von dieser neuen Arbeitsplatz-Regelung gibt es praktisch keine, auch die Vorstandsetage und sämtliche Führungskräfte verfügen nicht über ihr eigenes, abgeschlossenes Büro, sondern müssen sich im Großraum arrangieren. Für Besprechungen und Meetings sind neben großen Konferenzräumen auch kleinere geschützte Think-Tanks vorgesehen. Um die Wünsche und Bedenken von Mitarbeitern zu berücksichtigen, wurde eine Pilotbürofläche an einem Erste-Standort im 11. Wiener Bezirk entwickelt, wo die Arbeitssituation simuliert und auch die akustischen Anforderungen genau getestet wurden.
„Gerade bei der Raumakustik reicht es meist nicht, die in Österreich geltende Norm einzuhalten. Damit die Sprachverständlichkeit optimal ist, die Lärmbelästigungen für Kollegen aber so gering wie möglich ausfällt, ist entsprechendes Fine-Tuning – etwa durch schalldämmende Teppiche und schallschluckende Wandelemente notwendig“, erklärt Projektleiter Maeder. Büro- und Standortwechsel sind für Mitarbeiter ein einschneidendes und nicht immer ganz reibungsloses Unterfangen. Um diese positiv zu stimmen, hat Maeder einen altbewährten Trick im Ärmel: „Die Gastronomie und vor allem der Kaffee muss gut sein. Dann hat man schon fast gewonnen!“
Unter Kostenvoranschlag
Besonders stolz ist man bei der Erste Group, dass die Baukosten mit knapp 300 Millionen Euro sogar unter den veranschlagten Kosten blieben. Auch der Zeitplan konnte – anders als bei vergleichbaren Großprojekten – eingehalten werden. Durch die Zusammenlegung aller Standorte sollen bis zu 20 Prozent der derzeit anfallenden Betriebskosten eingespart werden können. Sollte die Erste Group zukünftig einmal weniger Bürofläche benötigen, können Teile des Gebäudes auch an andere Betriebe vermietet werden. Rund 200 Firmen waren am Bau des Campus beteiligt und bis zu 1000 Bauarbeiter gleichzeitig auf der Baustelle.
Dieser Artikel entstand im Rahmen einer Kooperation mit Erste Bank und Sparkassen. Die redaktionelle Hoheit obliegt allein der futurezone-Redaktion.
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