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Interview

"So verspielen wir die Zukunft dieses Landes"

Wie nahrhaft ist der Nährboden Österreich für Technologie, Innovation und Forschung?
Mehr als uns bewusst ist und weniger als wir könnten. Es ist erstaunlich, wie viele kleine und mittlere Betriebe, nicht nur ganz allgemein innovativ sind, sondern sogar in ihrer Nische eine Weltmarktstellung haben; ohne dass wir das wissen und die auch keinen Wert darauf legen, dass das bekannt ist.

Von welchem Unternehmen reden wir da?
Ich habe da zwei Beispiele. Wie jedes Jahr war ich bei einer Schicht im Altausseer Salzbergbau, da gibt es zwei neue Anlagen. Die eine schaffte Probebohrungen in einem leichten Winkel, die andere Anlage siebt das Salz und macht es konsumfertig. Die eine Anlage kommt von einer Firma aus Knittelfeld, die andere aus Niederösterreich. Bei den internationalen Besuchen trifft man immer wieder Firmen, von denen man nie was gehört hat. Die Wirtschaftsberichterstattung hat da ihre 20, 30 Unternehmen, über die berichtet wird. Und die drehen sie halt in regelmäßigen Abständen durch den Fleischwolf.

Wo liegen die Stärken des Forschungslandes Österreich?
Wo die Stärken der heimischen Wirtschaft liegen. Wir haben fleißige Menschen, wir haben innovative Menschen, daher sind wir gar nicht schlecht. Aber das Potenzial ist größer, das muss man ausschöpfen. Aber wie soll jemand reiten, wenn es keine Pferde gibt. Man kann nicht immer nur sagen, die Wirtschaft soll, und das bei einer der weltweit höchsten Steuerbelastungen von 43 Prozent.

Viele österreichische Unternehmen sind internationale Aushängeschilder, Infineon, AT&S, Rosenbauer, Swarovski etc.
Das sind die, die man kennt. Aber das reicht ja nicht aus. Ob Magna Steyr Fahrzeugtechnik, Voest, Vamed, Andritz, Doppelreiter, Baxter, Borealis, Fronius, KTM und viele andere. 

Die Forschungsquote liegt derzeit bei etwa 2,8 Prozent.
Nicht einmal, es sind 2,72. Von den 90er Jahren bis 2008 hatten wir eine hohe Dynamik bei der Forschung und Innovation, dann ist das ins Stocken geraten und wir können das nicht mehr aufholen. Wir bräuchten 3,73 oder 4 Prozent Forschungsquote, Vizekanzler Spindelegger spricht gar von 6 Prozent. Aber: Ohne Geld keine Musik.

Manche meinen, dass man Ideen auch ohne Geld haben könne.
Entdecken, erfinden, entwickeln, was immer, das geht nicht nur mit Geld. Das ist schon richtig. Aber ohne Geld geht`s halt auch nicht. Entdecken ist Zufall, aber Entwickeln und Erfinden hat sehr lange Vorlauf- und beträchtliche Ausreifungszeiten. Ich war 1969 in Pasadena beim Jet Propulsion Laboratory, damals hat man mir etwas gezeigt, was einmal eine Mars-Sonde werden sollte.

Vor zwei Wochen ist die

Mars-Sonde Curiosity
nach 43 Jahren gelandet.
Die heißt nicht von ungefähr Neugierde. Bis das Vehikel nämlich da rauf gekommen ist, sind hunderte neue Technologien und Innovationen entwickelt worden, die in den Alltag diffundiert sind. Die sind im täglichen Gebrauch, ohne dass wir es merken.

In den USA wird viel Forschung vom Staat finanziert.
Wenn die republikanischen Sparpläne aber wirksam werden, kommt es zu einem Defunding in den USA, das gefährlich wäre. Das Pentagon ist das größte Forschungsministerium der Welt. Weil es sich - Beispiel Mars-Erkundung - um solche Langfristigkeiten handelt, ist der Horizont für Privatunternehmen oder KMUs viel zu lange. Das bewältigen die KMUs nicht. Daher braucht es diese Vorreiterrolle der öffentlichen Hand, die sich dieses Funding, also diese Finanzierung als größte Risikogemeinschaft - nämlich uns allen - diese längerfristige Ausrichtung leisten kann.

Aber der Staat macht bei uns diesbezüglich zu wenig.
Genau, aber erst diese Vorreiterrolle erzeugt eine Sogwirkung für die private Wirtschaft. Der Ansatz, wir wollen die Forschungsquote erhöhen aber die Privaten sollen das finanzieren, ist eine sehr rührende Aussage, die aber an der Realität um Lichtjahre vorbeigeht.

Sie sprechen von Wissensdurst und Vorreiterrolle. Glauben Sie, dass heutige Politiker über diese Eigenschaften verfügen?
In der Schweiz gibt es sie, in Schweden auch, das deutsche Sparprogramm hat Bildung, Wissenschaft und Forschung nicht nur vom Sparprogramm ausgenommen, sondern bis 2015 sogar 80 Milliarden dazu gelegt. Das hieße für Österreich im Schlüssel 1:10 acht Milliarden. Und nicht nix oder kürzen.

Die Situation in Österreich sieht diesbezüglich aber trist aus.
Ob das die Doppler-Forschungsgesellschaft ist, die Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft FFG, der Wissenschaftsfond, von der Akademie der Wissenschaften rede ich gar nicht. Auch die Universitäten sind heillos unterfinanziert, denen fehlen pro Jahr eine Milliarde Euro, das kann man mit 150 Millionen Studiengebühren gar nicht ausgleichen.

Studiengebühren machen also wenig Sinn.
Wenn man Studiengebühren aus Zugangsmanagementgründen macht, muss man sich eine ganz eine andere Studienförderung und ein ungleich besseres Leistungsangebot einfallen lassen.
Die Montanuniversität und auch die beiden andere Technischen Universitäten schaffen eine hohe Drittmittelfinanzierung, aber die hat auch Grenzen. Wenn der Staat nicht die Grundausstattung sicherstellt, werden wir nicht mehr Drittmittel erhalten, sondern weniger. Die Unternehmen sagen dann, ich subventioniere ja nicht eure Grundausstattung.

Sie sind auch Aufsichtsratsvorsitzender des Austrian Institute of Technology (AIT), Österreichs größte außeruniversitäre Forschungseinrichtung, die gemeinsam mit dem ORF Ö1 die Technologiegespräche in Alpbach veranstalten. Wie werden Sie im AIT die Forschung forcieren?
Bei der AIT waren wir in einem Restrukturierungsprozess. Faktum ist, wir haben ein Budget von 120 Millionen, die Scherer-Gesellschaft in der Schweiz hat 180 Millionen. Das sind nach Adam Riese um 50 Prozent mehr. Nachdem wir jetzt den Restrukturierungsprozess weitgehend und - wie uns alle bescheinigen - erfolgreich abgeschlossen haben, wollen wir, wie es Frau Bundesministerin Doris Bures vorgegeben hat, jetzt auf Expansion gehen. Wir wollen nicht um 60 Prozent mehr, weil das die Schweizer haben - die können wir gar nicht auf Schiene setzen. Aber einen Pfad wie es ansteigen kann und wir uns daran orientieren können. Die

, die Pflöcke bis 2018 eingeschlagen, jetzt geht`s um einen Finanzierungspfad, wenn man sagt 60 Millionen Euro in 5 Jahren, eine Steigerung um 10 Millionen Euro pro Jahr. Das wär ein Anfang.

Es reicht ja nicht nur, die „Grundausstattung“ sicherzustellen, es muss ja auch das Bewusstsein für Innovation da sein. In diesem Zusammenhang muss man ja auch Ihre Bildungsinitiative im Vorjahr sehen. Wird in diesem Land nicht viel zu wenig gemacht, um Kinder für Technologie zu interessieren?
Der Präsident der größten Wissenschaftsorganisation in Deutschland, der Helmholtz-Gemeinschaft, Prof. Mlynek, hat uns besucht und gemeint, wir müssen aus den Kindergärten Forschungsstätten junger Menschen machen. Die sind neugierig, die sind begeisterungsfähig, die nehmen dich ja nicht einmal als Besucher wahr, weil sie so beschäftigt sind. Und diese Begeisterungsfähigkeit treiben wir ihnen in der Schule aus. Unser Schulsystem ist ja eine Begeisterungstötungsanstalt.

Da sehen die Verantwortlichen in der Regierung aber anders.
Die Schulen müssen viel mehr für Technologie machen, man muss den Schülern erklären, sie überzeugen, dass Technologie wichtig ist und warum sie wichtig ist und was es für den einzelnen bedeutet. Wenn es aber die politische Spitze nicht kapiert, warum Technologie wichtig ist -  die müssen das transportieren -  wer soll es ihnen denn erklären?

Werden in Österreich die Prioritäten falsch gesetzt?
Bei einer Sozialquote von 30,2 Prozent, was 100 Milliarden ausmacht, haben wir eine falsche Prioritätensetzung, das gilt auch für die Umschulungen. Die Umschulungen für 70.000 Leute kosten 2 Milliarden im Jahr und sind nur eine Augenauswischerei. Für 200.000 wirkliche Studenten hat man 2,6 Milliarden. So kann man die Zukunft nicht gewinnen, so verspielt man sie. Statt dass man in die höhere Spielklasse aufgestiegen sind, fallen wir weiter zurück. Ob das nun Pisa ist, diverse Universitäts-Rankings oder ob das Wettbewerbsfähigkeit ist - das ist in etwa so: Meine Blutbefunde gefallen mir nicht, also muss der Befund falsch sein.

Wie kann man den Gegentrend aufhalten?
Konsequent und beharrlich bleiben, ein Volksbegehren machen, und sich nicht von ein paar bornierten Reaktionären alles blockieren lassen.

Ich bin da eher pessimistischer, was die innovative Zukunft Österreichs anlangt.
Das ist eine Gefühlslage, aber keine Einstellung. Wir waren beim Bildungsvolksbegehren fassungslos, welche Übereinstimmungen es mit dem Parlament gegeben hat. Bleibt‘s dran, wir müssen Nägel mit Köpfen machen, meinten die Abgeordneten. Vor der letzten Sitzung bin ich zu jedem einzelnen Bildungssprecher gegangen. Der konstruktivste war der Abgeordnete Amon (VP, Anm.), der gleich einen Plan erstellt hat. Dann kommt er in den Ausschuss und es passiert nichts. weil man „auf die gegebenen Machtstrukturen Bedacht nehmen muss“. Nichts war. Eine Handvoll Leute halten die Zukunft dieses Landes in Geiselhaft. Das lassen wir uns nicht gefallen.

Das macht Sie nicht depressiv?
Nein, zornig.

Aber das ist auch eine Gefühlslage.
Aber nicht lähmend, sondern ermunternd. Viele meinten, eure Abstimmung wird abstürzen. Auch Bundeskanzler Faymann sprach im September von nur 200.000  (es wurden tatsächlich fast 400.000). Aber viele Gruppierungen, von der Katholischen Aktion bis zur Österreichischen Plattform für Alleinerziehende haben da mitgemacht - aber die Regierung hat das ignoriert. Wir haben ihnen gedroht, das Thema zum Wahlkampfthema zu machen: Hier Bildungsfreunde, hier Bildungsfeinde.

Was ist ihr Zeithorizont?
Ich habe gelernt, konsequent zu sein und Geduld zu haben. Wie bei einer Festung dran bleiben, bis sie sturmreif ist. Das Bildungsvolksbegehren war mein längster Wahlkampf und ich habe 30 mitgemacht. Jetzt aber beginnen die Blockaden zu bröckeln. Was stolpert, muss man stoßen, damit es fällt und endlich der Weg für Reformen frei wird.

Wie beurteilen Sie die österreichische StartUp-Landschaft?
Da geschieht nach wie vor zu wenig. Auch von privater Seite. Reiche Leute kaufen sich Immobilien, und die Banken verpulvern das Geld in Kasachstan, oder weiß der Teufel wo. Dass sie Geld hergeben und das Risiko eingehen, auf die Idee kommen sie nicht. Die größeren Banken sollen jede 100 Millionen in StartUps investieren, als Venture Capital. Die Hälfte der Investitionen gehen den Bach runter, die Hälfte geht auf und an sich steigt man mit Null oder Gewinn aus. Erfreulich ist die Initiative von Frau Bundesministerin Doris Bures "Marktstart", die sie in Alpbach präsentiert hat.

Es gibt ja in Österreich zu wenig Business-Angels.
Das gehört auch zu den Unterlassungen. Wir haben etwa die Firma Paysafe-Card hochgezogen. Da haben wir schon das Kreuz über das Geld gemacht. Jetzt aber fliegt die Sache. Wenn ich Milliardär bin, könnte ich hundert StartUps unterstützen. Die pharmazeutische Forschung macht hundert Projekte, aber mit zehn machen sie dann das Geld.

Viele heimische Unternehmen lassen in China produzieren. Ist der Standort Österreich unattraktiv? Muss man Angst vor China haben?
Man kann nur dort tanzen, wo die Musik spielt. Wenn der Weltmarkt zu 80/90 Prozent in Fernost ist, spielt dort die Musik und muss man dort tanzen, sonst kann man in Österreich auch nicht mehr tanzen. Das ist keine Auslagerung, sondern eigentlich eine Zulagerung durch die heimische Arbeitsplätze gesichert werden.

Apropos dort wo die Musik spielt. Ich bin ein Europäer durch und durch, Sie auch. Mir tut es als Europäer leid, dass es eigentlich kein europäisches Unternehmen mehr gibt, die die Musik machen. Tut ihnen das nicht auch weh?
Es gibt die fünfte Industrielle Revolution, wo man Dinge auch wieder zurückholt, trotz hohem Lohn und Kostenniveau. Da spricht man vom sechsten Kondratieffzyklus, (der nächsten langen Welle der Konjunktur, Anm.). Da muss man einfach smarter sein, dann schließt sich wieder der Kreis. Man muss mehr im Kindergarten, mehr für die Bildung, Universitäten, Forschung, Technologie, Innovation und zur Umsetzung von StartUps machen.

Hannes Androsch: Der ehemalige Finanzminister und Vizekanzler ist Vorsitzender des Universitätsrates der Montanuniversität Leoben, Aufsichtsratsvorsitzender des Austrian Institute of Technology (AIT/2007) und des Leiterplattenherstellers AT&S (1995) sowie seit 2010 Vorsitzender des Rates für Forschung und Technologieentwicklung (RFTE). Androsch ist an einigen österreichischen Betrieben beteiligt, etwa der Österreichische Salinen AG, Salinen Austria AG, FIMBAG oder HTI High Tech Industries AG.

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