Paketzentrum Speyer
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Warum die Paketbranche so kaputt ist

Noch nie wurden in Österreich so viele Pakete zugestellt und versendet wie im Jahr 2019. Laut der ersten Hochrechnung des Rundfunk- und Postregulators RTR ist das Volumen nach enormen Steigerungen in den Vorjahren auf 244 Millionen Pakete gewachsen. Das ist ein Plus von 16 Millionen Paketen bzw. 7 Prozent. Aber auch die unzufriedenen Kunden häufen sich. Die Zahl der Schlichtungsverfahren ist im Vorjahr um fast 50 Prozent in die Höhe geschossen.

Fehlerhafte Zustellungen

Die Liste an Beschwerden ist lang. Neben beschädigten oder verlorenen Paketen werden Sendungen in weit entfernten Post-Filialen und Paketshops hinterlegt, obwohl der Empfänger beim vorgesehenen Zustelltermin zuhause war. Andere Lieferungen werden bei Nachbarn abgegeben, die Adressaten aber nicht oder mit kaum zu entschlüsselnden Benachrichtigungen verständigt. In vielen Fällen landet das Paket aber auch ungefragt vor der Haus- oder Wohnungstür, obwohl niemals eine Einwilligung dazu gegeben wurde.

Deutsche Pot

Den Mitarbeitern der zahlreichen Paketdienste die alleinige Schuld zuzuschieben, ist angesichts prekärer Arbeitsbedingungen allerdings zu kurz gegriffen. Denn während Online-Händler wie Amazon die Versandpreise drücken, geben die großen Logistikkonzerne diesen Druck nach unten an Subunternehmen, kleinere Frächter und Ein-Personen-Firmen weiter, die das enorme Pensum an Paketzustellungen kaum mehr bewältigen können.

„Die Situation ist dramatisch. Die einzelnen Zusteller müssen heute bis zu 250 Pakete am Tag liefern. Bei einem 8-Stunden-Tag ist das ein Paket alle zwei Minuten, aber ohne Verschnaufpause. Dass sich das mit Adresse suchen, Parken, Läuten, Nachfragen und Übergabe des Pakets in der Zeit nicht ausgehen kann, dürfte jedem einleuchten“, erklärt vida-Gewerkschafter Karl Delfs im Gespräch mit der futurezone.

Geflecht an "Subsubsub"-Firmen

Hinzu komme, dass die meisten Zusteller nicht nach Stunden, sondern nach ausgelieferten Paketen bezahlt werden. Zudem gebe es ein hohes Maß an Scheinselbstständigkeit unter Paketboten, die unter prekärsten Arbeitsbedingungen nach eng getakteten Dienstplänen für Lieferunternehmen unterwegs sind. „Der gesamte Online-Handel lebt von diesem Geflecht an Subsubsub-Firmen, in denen die Verantwortung meist an das schwächste Glied - den Fahrer - abgegeben wird“, kritisiert Delfs.

Paketzusteller

Arbeitnehmervertreter fordern deshalb in Österreich, dass Logistikunternehmen, die Aufträge an Sub-Firmen vergeben, als Generalunternehmer für arbeitsrechtliche Verfehlungen haften sollen. In Deutschland wurde ein entsprechendes Gesetz zum Schutz von Paketboten im November des Vorjahres abgesegnet. Neben der Generalunternehmerhaftung sollten die Kontrollen bei der Scheinselbstständigkeit verstärkt, aber auch eine Lenkaufzeichnung für Kleintransporte unter 3,5 Tonnen eingeführt werden, fordert etwa auch die Arbeiterkammer.

Miese Arbeitsbedingungen drücken Qualität

„Der Druck auf Arbeitnehmer ist enorm, gerade für selbstständige Ein-Personen-Unternehmen, die mit ihrem eigenen Fahrzeug zustellen. Wenn sie die enormen Zustellmengen nicht schaffen, gibt es Strafsanktionen. Aufgrund der minimalen Margen und da sie oft auf Pauschale fahren, schrammen sie ständig an der Insolvenz vorbei“, erklärt Susanne Bauer von der Arbeiterkammer Steiermark im futurezone-Interview. Dass sich diese Bedingungen in der Zustellqualität und letztlich auch in der Kundenzufriedenheit niederschlage, liege auf der Hand.

Susanne Bauer, AK Steiermark

Das zeigt auch eine umfangreiche Studie der AK Steiermark, welche die in Österreich verfügbaren Dienste Post, DHL, GLS, DPD, UPS, TNT, FedEx und Hermes bereits 2018 unter die Lupe nahm. Das Ergebnis: Nur etwa zehn Prozent der analysierten Zustellungen liefen reibungslos und korrekt ab.

Auch die Post lagert aus

Am besten Schnitt damals die Österreichische Post ab, die laut Arbeiterkammer die besten Löhne und Verträge vorweisen kann und darüber hinaus über innerbetriebliche Arbeitnehmervertreter verfügt, welche das Wohl der Beschäftigten im Auge haben.

Doch auch die Post arbeitet bei der Paketzustellung mit Subunternehmen. Etwa 25 Prozent der Pakete werden nun, nach der Übernahme des DHL-Geschäfts für Privatkunden im Vorjahr, über externe Zusteller abgewickelt. Andere Logistiker haben keinen einzigen Paketboten, der direkt in der Firma angestellt ist. Auch Amazon, das vor kurzem mit eigenen Zustellungen begonnen hat, setzt ausschließlich auf externe Lieferanten.

„Dass es so viele Beschäftigungsformen von unselbstständig Voll- oder Teilzeit bis hin zu fix beschäftigt, Leiharbeit und selbstständig gibt und darüber hinaus auch noch die unterschiedlichsten Kollektivverträge von Post über Güterbeförderung bis zu Kleintransportgewerbe und Leiharbeit zur Anwendung gelangen, erschwert die Einhaltung von brauchbaren Mindeststandards enorm“, erklärt Bauer. „Von der Bezahlung her ist jedenfalls noch viel Luft nach oben.“

Zweifelhafter Gratis-Versand

Höhere Löhne könnten unter Umständen dazu führen, dass Online-Händler die Mehrkosten an Kunden weitergeben und den vielerorts praktizierten kostenlosen Einzelversand sowie den Gratis-Rückversand wieder abschaffen. Letzteres ist bereits jetzt der Fall – allerdings, ohne dass die Paketboten bisher davon profitiert hätten. In Wahrheit könnten Kunden – außer weniger online einzukaufen – derzeit kaum zu einer maßgeblichen Verbesserung der Arbeitsbedingungen beitragen, zumal fair entlohnte Zustellungsalternativen fehlen, merkt Bauer an.

Auch Gewerkschafter Delfs sieht die Regierung gefragt, um entsprechende Schutzbestimmungen, aber etwa auch einen einheitlichen Kollektivvertrag und andere gesetzliche Vorgaben, umzusetzen. „Neben dem sozialen ist auch der ökologische Fußabdruck durch die ganzen Transportwege und Berge an Verpackungsmaterial enorm. Von einer Regierung mit grüner Beteiligung, die sich stärker an wissenschaftlichen Fakten orientieren will, erwarte ich mir hier konkrete Maßnahmen, welche die unhaltbare Situation verbessern“, sagt Delfs.

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Starke Zunahme bei Schlichtungsverfahren

Dass die Zahl der offiziellen Schlichtungsverfahren zwischen unzufriedenen Kunden und Zustellern mit 519 Fällen im Jahr 2019 trotz enormer Steigerung immer noch relativ moderat ausgefallen ist, mag überraschen. Dabei handelt es sich aber nur um die größten Härtefälle, bei denen die RTR zwischen entnervten Kunden und Zustellern vermitteln musste. Die wahre Dunkelziffer an alltäglichen Problemen und Beschwerden lässt sich angesichts der AK-Studie mit nur zehn Prozent korrekt zugestellten Sendungen bestenfalls erahnen.

Bei der Regulierungsbehörde will man die um 48 Prozent angestiegene Verfahrensanzahl im Vergleich zum Vorjahr zumindest derzeit nicht überbewerten. „Gemessen an den geschätzten 244 Millionen Paketen, die 2019 zugestellt und wurden, sowie den 574 Millionen Briefen allein im Inland, stellen die 519 Schlichtungsverfahren den Postdiensteanbietern in Österreich ein gutes Zeugnis aus“, sagt Post-Regulator Klaus M. Steinmaurer zur futurezone.

Was einem übrig bleibt, wenn Benachrichtigungen über Pakete ohne Kingeln im Briefkasten landen, lest ihr am Sonntag auf futurezone.at.

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Martin Jan Stepanek

martinjan

Technologieverliebt. Wissenschaftsverliebt. Alte-Musik-Sänger im Vienna Vocal Consort. Mag gute Serien. Und Wien.

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