© Claudia Zettel

Reportage

Chinas mobile Medienrevolution hinter der virtuellen Mauer

“Das Internet hat auch Grenzen”, sagt Liu Huaxin, der stellvertretende Chefredakteur von People’s Daily, einer von Chinas größten Tageszeitungen und direktes Organ der Kommunistischen Partei. Dass internationale Plattformen wie Facebook, Twitter und Google in China gesperrt sind, sieht Huaxin durchaus als gerechtfertigt an. “Wir können auf nationaler Ebene besser mit der Bevölkerug kommunizieren.” Die Gegebenheiten in China seien nun einmal anders als anderswo in der (westlichen) Welt, so der hochrangige Medienvertreter auf die Nachfrage für den Grund der Internetsperren. Er verweist auf erfolgreiche chinesische Plattformen wie WeChat, das Wort Zensur nimmt Huaxin beim Redaktionsbesuch der österreichischen Journalistendelegation - der auch die futurzeone angehört - nicht in den Mund.

Hört man den Vertretern von People’s Daily zu, hat man fast den Eindruck, dass die dramatischen Umwälzungen in der Medienwelt, die mit Internet, Smartphones und Co einhergehen, den chinesischen Printzeitungen nichts anhaben können. Anders als in den USA und Europa habe man dank Internet die Auflage der Zeitung sogar noch stärken können, sagt Huaxin. Man sei von einer Zeitung zu einer Mediengruppe geworden, die alle Sparten inklusive TV, Online-Auftritt und App umfasse und bis zu 330 Millionen User zähle.

Tatsächlich mag die politische Situation, also vor allem die enge Bindung an und Abhängigkeit von der Regierung sowie das teilweise Aussperren internationaler Angebote, die wirtschaftlichen Entwicklungen in der chinesischen Medienwelt auf den ersten Blick etwas begünstigen. Doch so rosig und problemlos, wie man es bei People’s Daily darstellen will, sieht der Medienwandel auch in China nicht aus. Tatsächlich haben die Zeitungen dort mit ganz ähnlichen Problemen wie anderswo auf der Welt zu kämpfen, wie unter anderem auch Vertreter der Hunan Daily Press Group, der Nanfang Media Group oder des Institute of Social Sciences in Gesprächen einräumen.

Mehr Chance als Bedrohung

Die Printauflagen gehen auch in China zurück und das Geldverdienen im Internet stellt die chinesischen Medien genau wie jene hierzulande vor neue Herausforderungen. Doch obwohl sich in den Management-Etagen kaum junge Gesichter finden, scheint man die Dringlichkeit, sich an die neuen Gegebenheiten anzupassen, durchaus verstanden zu haben. Egal ob Zeitung, TV-Sender oder Nachrichtenagentur, der Tenor in China scheint klar: Man muss sich ohne Für und Wider auf die neue Zeit einstellen. “Die neuen Medien bieten ein riesiges Potenzial in China. Sie sind auch ein Motor für die Wirtschaft”, heißt es seitens der Wissenschaftler am Institute of Social Sciences in Peking. Viele Zeitungen hätten ihre Geschäftsmodelle bereits verändert, auf Bezahlschranken setzen dabei allerdings nur die wenigsten. Vielmehr wird versucht, in anderen Bereichen Geld zu verdienen, die nicht unbedingt etwas mit dem Kerngeschäft zu tun haben.

Alles Mobile

Das Schlagwort, das am häufigsten seitens chinesischer Medienvertreter zu hören ist, lautet: App. Sämtliche Medienhäuser warten mit mobilen Angeboten auf und haben offenbar verstanden, dass dort die Zukunft liegt. Kein Wunder, wenn man sich in China umsieht, fällt schnell auf, dass kaum jemand auch nur eine Minute ohne Mobiltelefon verbringt. Die Nutzung von Smartphones ist in dem Land noch um ein Vielfaches präsenter, als man dies hierzulande bereits beobachten kann. “Mobile boomt. Die mobile Internetnutzung ist dabei, die Desktop-Nutzung zu überholen”, erklären die Experten des Social Science-Institut.

Dabei beschränken sich die Apps, wie etwa jene von Hunan Daily, längst nicht nur auf journalistische Inhalte. Integriert sind zahlreiche Zusatzservices - von Dienstleistungsangeboten über Techsupport bis hin zu E-Commerce- und Social-Media-Funktionen. Entwickelt hat man die mobile News-Plattform im eigenen Haus, die Technologie dahinter wird auch anderen Medien angeboten. Kostenpflichtig sind die Apps für die User nicht, dafür wurde jede Menge mobile Werbung integriert. Ob man damit bereits Geld verdienen kann, darauf gibt es unterschiedliche, angedeutete Antworten. Jedenfalls wird bei Hunan Daily betont, dass es keine staatliche finanzielle Unterstützung gebe.

Auf Apps setzen nicht nur die Zeitungen, auch der große TV-Sender Hunan Broadcasting setzt stark auf das mobile Internet. Nachrichtensendungen wurden mit Blogging-Plattformen und Messaging-Diensten wie WeChat verknüpft, es gibt interaktives Fernsehen via App. Die generelle Strategie lautet: Der Fokus liegt künftig auf Online-TV und TV im mobilen Internet. “Wir wollen beim Internetfernsehen eine der größten werden”, sagt Lv Huanbin, Direktor von Hunan Broadcasting.

“Zentrale Küche”

Ein weiterer Begriff, der von sämtlichen Seiten der chinesischen Staatsmedien zu hören ist, heißt übersetzt so viel wie “Zentrale Küche”. Gemeint ist, dass alle Kanäle von einer zentral koordinierten Stelle aus mit Inhalten bespielt werden können. Dabei werden auch Datenbanken mit Content erstellt, auf die dann jeder Journalist zugreifen kann. Diese Strategie bedeutet unter anderem auch, dass Journalisten in China in Richtung “Alleskönner” getrieben werden - sie sollen nicht nur Texte schreiben, sondern gleichzeitig auch fähig sein, Fotos zu machen oder Videos zu erstellen. Dass Zeitungsjournalisten ihre Artikel sowohl in Print als auch online schreiben, steht in China inzwischen wohl außer Frage.

Zwischen Zensur und wirtschaftlicher Öffnung

Letztlich bleibt beim Blick in die chinesische Medienwelt ein großes Spannungsfeld zwischen stark innovationsgetriebener Online- und Mobile-Strategien, der wirtschaftlichen Öffnung ins Ausland, und der derzeit wieder zunehmenden Zensur zurück. Einerseits werden chinesischen Nutzern Facebook, Twitter und Co offiziell untersagt, gleichzeitig betreiben nahezu alle Medien internationale Seiten und infolge auch ihre eigenen Facebook-Pages, die dann auf ausländische User abzielen. Einen Widerspruch will darin niemand sehen, zumindest nicht offiziell.

Das Internet, auch wenn es eingeschränkt wird, habe den Bürgern mehr Meinungsfreiheit ermöglicht, beharren die Wissenschaftler des Institute of Social Sciences. Durch das Internet würde sich auch das autoritäre Regierungsmodell langsam modernisieren. Eine Lösung von heute auf morgen, sei eben nicht zu erwarten. Für die Forscher ist es, auch wenn sie es sehr vorsichtig formulieren, aber durchaus denkbar, dass das Aussperren internationaler Plattformen auf Dauer von staatlicher Seite nicht aufrechtzuerhalten sein wird. “Auch unserer Regierung denkt über eine Öffnung von Facebook und Twitter nach.”

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Claudia Zettel

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futurezone-Chefredakteurin, Feministin, Musik-Liebhaberin und Katzen-Verehrerin. Im Zweifel für den Zweifel.

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