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Grundsatzdiskussion

Datenschutz: "Situation so kritisch wie nie"

"Kann man in einer Gesellschaft, die erstmals freiwillig ihre intimsten Daten im Internet offenlegt, noch über Datenschutz sprechen?" Mit dieser Frage umriss Datenschutzexperte Spiros Simitis von der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt die aktuelle Grundproblematik zum Thema. Bevor man über gesetzliche Regelungen und technische Möglichkeiten zur Unterbindung von Datenverknüpfungen und -auswertungen diskutiere, müsse sich die Gesellschaft im Klaren sein, ob ihr das Recht auf Privatsphäre und informationelle Selbstbestimmung noch etwas bedeute.

Durch den sorglosen Umgang mit sozialen Netzwerken wie Facebook sei die Datenschutz-Situation derzeit so kritisch wie nie, so Simitis. Auf politischer Ebene wiederum hätten sich Staaten wie Deutschland für eine Reihe von elektronischen Ausweisen, wie den Personal-, Gesundheits- und Beschäftigungsausweis ausgesprochen, ohne die datenschutzrelevanten Punkte zu Ende zu diskutieren.

Jede Regelung nur vorläufige Lösung

Im Mittelpunkt jeder Datenschutzdiskussion müsse in der heutigen Zeit aber das Internet bzw. die Entwicklungen moderner Informationstechnologien stehen. "Politische Verantwortungträger müssen verstehen lernen, dass jede nun beschlossene Regelung nur eine vorläufige Reaktion auf aktuelle technologische Entwicklungen sein kann. Wie lange eine Regelung bestimmten Aufgaben nachkommen kann, bestimmt allein der technologische Wandel und die dadurch neu entstehenden Möglichkeiten", meinte Simitis.

Als zentrales Problem ortet der Datenschutzexperte nicht die Größe von Datenbanken, sondern deren Vernetzung. "Es gibt heute keine Daten mehr, die nicht gespeichert sind", sieht Simitis sämtliche technische Grenzen beseitigt. "Problematisch wird es allerdings, wenn Daten weiterverarbeitet werden, die ursprünglich zu einem völlig anderen Zweck gesammelt wurden." An Selbstregulierung glaubt Simitis in diesem Fall aber nicht. Vielmehr müsste die Gesetzgebung den rechtlichen Rahmen schaffen, damit Daten vor Missbrauch geschützt werden können.

Grundsatzdebatte gefordert

Auch Johann Maier, SPÖ-Nationalratsabgeordneter und Vorsitzender des Datenschutzrates, forderte in seiner Rede eine Grundsatzdebatte zum Datenschutz im Internet ein. "Viele US-Unternehmen haben in der Vergangenheit geltende europäische Datenschutzbestimmungen ignoriert und sich dadurch große Vorteile verschafft", meinte Maier. Bedauerlicherweise habe die Europäische Union bisher aber keine Möglichkeiten gefunden, in diesem Bereich Rechtsstandards zu garantieren und durchzusetzen.

An Nutzer von sozialen Netzwerken wie Facebook appellierte Maier, sich weniger als passive Akteuere denn vielmehr als Verbraucher mit Rechten zu verstehen. "Die Nutzungsbedingungen solcher Services werden immer noch unterschätzt und ignoriert. In Wahrheit sollte jedes Mitglied eines sozialen Netzwerks über ein Löschungsrecht für seine selbst erzeugte Daten verfügen", kritisiert Maier. Hier sei neben gesetzlichen Bestimmungen noch viel Aufklärung in der Gesellschaft notwendig.

Harmonisierung auf EU-Ebene notwendig

Eva Souhrada-Kirchmayer von der Datenschutzkommission wies in einer Wortmeldung auf die fehlende Harmonisierung auf EU-Ebene hin. Die Rechtslage sei bei Datenschutzverletzungen bzw. Löschanfragen sehr kompliziert, zumal die betroffenen Unternehmen meist in Drittstaaten angesiedelt seien. Abhilfe könnten EU-weite Regelungen schaffen, die auch neueste Technologien wie RFID berücksichtigen. "Datenschutz muss definitiv auch auf EU-Ebene einen höheren politischen Stellenwert bekommen, wenn man sich auf die Grundrechte besinnt", zeigt sich Souhrada-Kirchmayer überzeugt.

Auch Medienstaatssekretär Josef Ostermayer hob in seinem Eingangsstatement die europäische Dimension der Datenschutzfrage hervor. Eine Antwort, wie vom Gesetzgeber auf die neuen Anforderungen reagiert werden kann, blieb er aber schuldig. Es könne nicht alles gesetzlich geregelt werden - etwa welche Daten man auf Facebook bereitstelle. Vielmehr müssten die Menschen im Umgang mit dem Internet stärker sensibilisiert werden, so Ostermayer.

Kritik an Vorratsdatenspeicherung

Kritisch zeigten sich die Vortragenden beim Thema der Vorratsdatenspeicherung. "Dass die EU-Kommission das Prinzip der Datensparsamkeit betont, sich dies aber in Teilbereichen wie etwa der Vorratsspeicherung anders verhält, haben wir oft kritisch kommentiert", meinte etwa Staatsekretär Ostermayer. Und auch Datenschutzexperte Simitis wies darauf hin, dass die Zweckbindung eine zentrale Frage sei: "Wenn Daten erhoben werden, um etwa präventiv Straftaten zu verhindern, stößt man schnell an Grenzen, bei denen der Datenschutz zur Illusion wird."

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(Martin Stepanek)

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Martin Jan Stepanek

martinjan

Technologieverliebt. Wissenschaftsverliebt. Alte-Musik-Sänger im Vienna Vocal Consort. Mag gute Serien. Und Wien.

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