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Besuch

Der Microsoft-Campus: Im Herzen des Riesen

Denkt man an die Westküste der USA, fallen einem Städte wie Los Angeles und San Fransisco ein. Seattle, im Bundesstaat Washington, liegt zwar auch an der Westküste, passt aber so gar nicht in das Schema. Überall sind Bäume, die Luft ist verhältnismäßig sauber und statistisch gesehen regnet es jeden dritten Tag. Auch die Prominentendichte hält sich in Grenzen. Abgesehen von der Band Nirvana und einer Liebesschnulze mit Tom Hanks, verbindet man mit Seattle eher die Geburtsstätte von Unternehmen, die zu weltweiten Playern geworden sind. 1916 wurde hier Boeing gegründet, das seinen Sitz aber 2001 an die Ostküste verlegt hat. Die Kaffeehauskette Starbucks hat seine erste Filiale in Seattle eröffnet (sie gehört zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Stadt) und von hier aus die ganze USA, und mittlerweile auch den Rest der Welt, mit Caramel Frappuccino, Iced Vanilla Latte und anderen Kaffee-ähnlichen Getränken überschwemmt.

Neben Flugzeugen und Franchise-Kaffee ist Seattle aber auch ein wichtiger IT-Standort. Zwar sind viele Start-ups und Branchengrößen Apple, Intel und Google im sonnigen Silicon Valley, Kalifornien, zuhause aber auch das regnerische Seattle kann mit zwei IT-Superlativen aufwarten: Amazon, der größte Online-Versandhändler, und Microsoft. Die futurezone hat die Zentrale des größten Softwareherstellers der Welt in Redmond, etwa 20 Kilometer von der Innenstadt Seattles entfernt, besucht und zwei Tage lang erkundet.

Eintritt erlaubt
Kein Zaun, keine überdimensionierten Firmenlogos, kein grimmig dreinblickender Torwächter: Wenn man nicht genau hinschaut und die vielen kleinen, blauen Wegweiser zu "Studio B" oder Building "32" entdeckt, wird einem nicht bewusst, dass man sich bereits auf dem 750.000m² großen Gelände des Microsoft Campus befindet. Für die USA untypisch sind die Straßen nicht wie mit dem Lineal gezogen, sondern schlingen sich in Kurven zwischen den 30 Gebäuden der Microsoft-Zentrale hindurch. Es gibt nur einen „Microsoft Way", die restlichen Straßen gehören zum öffentlichen Straßennetz. Statt einem „Steve-Ballmer-Platz" oder der „Bill-Gates-Avenue" sind die Straßen nach der US-Norm benannt, wie 36th Street und 163rd Avenue.

Wie auch in den meisten Teilen von Seattle und Umgebung, gibt es im rund 20 Kilometer entfernten Redmond viel Natur. Rund um den Campus sind Bäume und kleine Wälder, die natürlich gewachsen und nicht künstlich herangezogen wurden. Zwischen den Gebäuden des Campus sind zahlreiche, gepflegte Grünflächen, die an sonnigen Tagen von Microsoft-Mitarbeitern genutzt werden. Mit dem Notebook sitzen sie dann auf Parkbänken oder in der Wiese. Das viele Grün, die fehlende Umzäunung und die  asymmetrisch positionierten Gebäude, lassen den Campus organisch gewachsen wirken und nicht wie einen Fremdkörper, der einfach in ein Stück Land gesetzt wurde.

Bus statt Fahrrad
Am Campus sind bis zu 40.000 der weltweit 90.000 Mitarbeiter von Microsoft tätig. Damit diese zu ihrer Arbeitsstätte kommen, oder zu den zusätzlichen Büros in Seattle, gibt es einen kostenlosen Shuttle-Service. Die Minibusse, genannt Shuttle Connect, haben WLAN an Bord. Die weißen Fahrzeuge sind mit geschwungenen, grünen Linien im Xbox360-Look verziert. Auf dem Campus selbst gibt es Fahrzeuge in drei verschiedenen Größen (ohne WLAN), die die Mitarbeiter zwischen den verschiedenen Gebäuden hin und hertransportieren. Limousinen für die Chefetage gibt es nicht, dafür aber eine kleine Ausnahme: „Wenn Top-Manager, wie Steve Ballmer, die Minibusse nutzen, werden sie direkt zu ihrem Zielgebäude gefahren – die Busse lassen dann die üblichen Zwischenstopps auf ihrer Route aus", sagt Steve Clayton, Unternehmenssprecher und Storyteller von Microsoft.

Überall am Campus befinden sich Fahrradständer – allerdings ohne Fahrräder darin. Campus-Bikes, wie sie etwa Google hat, gibt es bei Microsoft nicht. Die Antwort auf die Frage, warum auch kaum private Fahrräder zu sehen sind: „Es regnet einfach zu oft, da will niemand mit dem Fahrrad fahren."

Sport am Campus
Neben den Grünflächen findet man auf dem Campus auch immer wieder Sportplätze. So gibt es etwa mehrere Basketballplätze und einen Fußballplatz. Wenn dort nicht gerade gekickt wird, nutzen die Microsoft-Mitarbeiter die Fläche gerne zum Frisbee-spielen. Die Sportplätze sind frei zugängig, auch für Nicht-Microsoft-Angestellte. Am Wochenende werden häufig Turniere veranstaltet, auch Cricket wird dabei gespielt. Bei Microsoft-Mitarbeitern ist aber auch das Wandern in den Bergen rund um Seattle beliebt.

Bei Schlechtwetter gibt es in den einzelnen Gebäuden Betätigungsmöglichkeiten, wie Tischtennis und Tischfußball. Auch "richtige" Fußbälle kullern in den Lobbys herum. Jeder Microsoft-Angestellte bekommt außerdem kostenlos eine Mitgliedschaft bei „Pro Club". Eine der größten Filialen der Fitnesstudiokette ist etwa eine halbe Meile (ca. 800 Meter) vom Campus entfernt und bietet unter anderem vier Indoor-Pools, Indoor-Tennisplätze, Squash, Racquet-Plätze, einen Indoor-Fußballplatz und einen Floristen. Und damit man auf den Weg zum Fitness-Center nicht schon ins Schwitzen kommt, gibt es natürlich einen Shuttle-Bus dorthin.

Wie wichtig der Sport den Mitarbeitern ist, hat Microsoft bereits einmal unterschätzt. 2004 wurden die kostenlosen Handtücher aus den Umkleidekabinen entfernt. Nach massiven anhaltenden Protesten der Angestellten wurde schließlich 2006 der Handtuch-Service wieder eingeführt.

Zutritt verweigert
Während die Sportstätten und das Campus-Gelände generell von jedem betreten werden können, ist der Zugang zu den einzelnen Gebäuden nur mit Chipkarte möglich. Die meisten Gebäude sind aber für alle Angestellten zugänglich.

Am stärksten beschränkt ist der Zugang zu den Server-Räumen, gefolgt von den Abteilungen, in denen gerade an konkreten, neuen Produkten gearbeitet wird. Nicht einmal Steve Clayton hat uneingeschränkten Zugang, obwohl es sein Job ist, über die neuesten Microsoft-Entwicklungen zu berichten: „Zur neuen Xbox kommt derzeit fast niemand rein und auch die Office-Abteilung ist tabu für mich."

Überwacht fühlt man sich am Campus nicht. Sollte es Überwachungskameras geben, sind diese gut versteckt. Auch Sicherheitspersonal ist kaum sichtbar. In den zwei Tagen waren nur zwei Sicherheitsmänner zu sehen. Gerald Haslhofer, einer von 20 Österreichern am Campus, bestätigt das: „Es gibt keine Unternehmenspitzel die einen verfolgen, Microsoft bringt uns Vertrauen entgegen." Haslhofer arbeitet mit seinem Team derzeit an Windows 8.

The Commons Mixer
Der zentrale Treffpunkt der 40.000 Mitarbeiter ist der Commons Mixer. Auf zwei Stöcken sind neun Geschäfte und 14 Lokale. Zur kurzweiligen Unterhaltung gibt es noch Flipper-Automaten und Billard-Tische. Hin und wieder sieht man Microsoft-Angestellte jammen, andere treffen sich einfach nur auf einen Kaffee zum Plaudern. Wie sich die Mitarbeiter ihre Zeit und Pausen einteilen, ist ihnen überlassen. Für Forscher und Entwickler gibt es meist keine fixen Arbeitszeiten, sie müssen nur ihre Deadlines und Ziele einhalten.

Zu den Shops gehören ein Musik-Geschäft, ein Fahrrad- und Outdoor-Shop, ein Optiker, Friseur, eine Post, Bank, Autoverleih und Vertretungen der US-Mobilfunk-Provider Sprint, T-Mobile, AT&T und Verizon. Diese dürfen, wenig überraschend, nur Windows Phone-Smartphones anbieten. Am Campus selbst herrscht allerdings kein iPhone-, iPad- oder Android-Verbot. Immer wieder sieht man Mitarbeiter mit solchen Geräten. Nur MacBooks werden nicht gern gesehen. Dafür bietet Microsoft eine kostenlose Notebook-Reparatur für Windows-Geräte an. Die Preise in den Geschäften entsprechen dem US-Standard, für Microsoft-Angestellte gibt es, je nach Shop, zwischen fünf und zehn Prozent Rabatt.

Bei den Lokalen wird so ziemlich jede Geschmacksrichtung bedient: Traditionelles Buffet, Salatbar, Suppen, Fisch, mexikanische Gerichte, Burger, Gegrilltes, Gedämpftes, Sushi, chinesische Speisen, Pizza, Pasta und Sandwiches. Die Essensausgabe bei den einzelnen Lokalen erfolgt an der Theke wie in einer Kantine, danach sucht man sich einen der reichlich vorhandenen Sitzplätze.

Teures Essen, gratis Getränke
Eine Hauptmahlzeit im Commons Mixer kostet zwischen acht und zwölf US-Dollar. In den großen Campus-Gebäuden gibt es auch noch eigene Kantinen, die von Microsoft gestützt sind. Eine Hauptmahlzeit kommt dort auf etwa vier bis sechs US-Dollar. „Das Essen in den Kantinen kostet zwar nur die Hälfte, im Commons Mixer schmeckt es aber vier mal besser", sagt Rebecca Duffy, PR-Angestellte bei Microsoft. Das Testessen im Commons Mixer war zwar ok, aber für gut elf US-Dollar zu teuer. In Wien gibt es Mittagsmenüs in normalen Restaurants günstiger und meist geschmacklich besser. Für die in einer Schnellumfrage befragten Microsoft-Mitarbeiter sind die Preise im Commons Mixer „normal" und der Qualität angepasst.

Limonaden, wie Cola (inklusive Cola Light und Cherry Coke), Fresca, Sprite, Mountain Dew, Dr. Pepper und Pepsi sind kostenlos und waren es auf Nachfrage laut Microsoft auch schon, bevor bekannt wurde, dass am Google Campus Limonade kostenlos ist. Insgesamt gibt es 875 Limonaden-Kühlschränke auf dem Microsoft-Campus und 618 Kaffeeautomaten – letztere natürlich von Starbucks. Wer seinen Kaffee von Menschen (die eine Kaffeemaschine bedienen) oder mit Extra Shots, Sojamilch oder Sirups individueller haben will, sucht eines der 37 Cafes auf. Dort muss man aber für die koffeinhaltigen Heißgetränke und diverse Süßspeisen bezahlen. Energy Drinks, wie Red Bull und Monster, gibt es ebenfalls, sie sind aber auch kostenpflichtig.

Nach dem Essen wird der Abfall entsorgt. Kein Mitarbeiter lässt sein Tablett einfach am Tisch stehen. Der Müll wird brav getrennt in Recycle (Dosen, Papier), Trash (Restmüll) und Compost. Zu Compost gehören nicht nur Essensreste, sondern auch die Teller, Becher und das Besteck, das man bei den Essensausgaben bekommt. Diese bestehen aus biologisch abbaubarem Material.

Die Gebäude
Raus aus dem Commons und wieder rein in die Arbeit. Im Freien wirkt der Campus sehr harmonisch, drinnen gleicht kaum eines der 30 Hauptgebäude dem anderen. Das Executive Briefing Center ist so, wie man sich ein Microsoft-Büro eigentlich vorstellt: herzlos und ganz auf Business getrimmt. Zwar sollen tiefe Sitzmöbel und helle Hölzer den dennoch kalt wirkenden Gängen einen Hauch Gemütlichkeit verleihen, man wird aber das Gefühl nicht los fehl am Platz zu sein, wenn man keinen Maßanzug trägt und für ein Millionen-US-Dollar-Unternehmen arbeitet. Fotografieren in den Gängen ist verboten, denn man könnte mögliche, zukünftige Geschäftpartner vor die Linse kriegen und so geheime Verhandlungen publik machen. Auch die fensterlosen Besprechungsräume sind business as usual: Funktional, helle Hölzer, Teppichboden, nur Kunstlicht.

Das Visitor Center in einem anderen Gebäude ist das andere Extrem. Hier wird versucht nicht wie ein herzloser Konzern, sondern wie ein hippes Unternehmen zu wirken. In wechselnden Licht-Farben, von Grün über Blau bis Violett, sind in einem Demo-Raum aktuelle Microsoft-Produkte ausgestellt - wie etwa Windows Phones, die Suchmaschine Bing (!), die Xbox360 und der Touchscreen-Tisch Surface. Davor ist noch eine Kugel aufgehängt mit 360-Grad-Projektion, daneben sind alte Technikstücke ausgestellt und ein Bild des Microsoft-Gründerteams.

Gleich gegenüber des Demo-Raums ist der Microsoft Company Store. Hier können sich Gäste und Microsoft-Mitarbeiter mit Krimskrams eindecken, von Microsoft-Schlüsselanhängern über Flummis bis zu Trinkflaschen und Kochbüchern. Als Microsoft-Angestellter kann man hier auch Software, Hardware und Xbox360-Spiele zu vergünstigten Preisen bekommen. Ein wirkliches Schnäppchen kann man aber nur bei der Software, wie Windows 7 und Office, schlagen, hier gibt es zwischen 50 und 70 Prozent Rabatt zum Listenpreis. Kleidung und ähnliches ist ebenfalls günstiger, wenn auch nicht so stark. Ein Timbuk2-Rucksack mit Microsoft-Logo kostet 80 US-Dollar, Listenpreis des Herstellers ist 99 US-Dollar. T-Shirts sind normal teuer und kosten zwischen 20 und 30 US-Dollar.

Arbeitendes Volk
Lebendiger und auch natürlicher wirken die Gebäude, in denen die Microsoft-Angestellten arbeiten. Auch hier gleicht kaum ein Gebäude dem anderen. Jedes ist architektonisch anders angelegt, mal sind es nur zwei Stöcke, dann wieder vier mit einer LED-Wand, die vor dem offenen Stiegenhaus hängt.

Der Großteil der Arbeitsplätze, speziell in den Forschungseinrichtungen, ist für einzelne Personen. Links und rechts der Gänge sind die etwa sechs Quadratmeter große Büros mit Glasfront. Die Fenster können beschriftet werden, was auch von vielen Mitarbeitern genutzt wird. Drinnen stapeln sich oft Bücher, Notizen sind auf Flipboards verteilt, Whiteboards mit mathematischen Formeln beschriftet und jeder Arbeitsplatz hat zwei Bildschirme. Es ist kreatives Chaos – als IT-Begeisterter fühlt man sich hier zuhause. Man hat den Eindruck, das hier wirklich etwas passiert, neue Produkte oder einfach nur verrückte Konzepte entstehen. Es gibt natürlich auch die klassischen Großraumbüros aber selbst hier scheint jeder Mitarbeiter ausreichend Platz zu haben und mindestens zwei Bildschirme für seinen Desktop-Rechner.

Das man auch in einem Großkonzern wie Microsoft ein bisschen Spaß bei der Arbeit haben kann, beweisen kleine Hinweise, die quer über dem ganzen Campus verstreut sind. So hat auf einer digitalen Pinnwand in einem Prototypenlabor ein Mitarbeiter die Notizen „No Soup for you!" und „I can has frozen Cheezburger?" hinterlassen. In einem der Besprechungsräume hängt ein Grundriss von Bruce Waynes Villa und in der Werkstatt eines Labors ein 99 Cent Puzzle von Mr. T. Der letzte Schrei unter den Microsoft-Angestellten ist ein Sticker, den Steve Clayton anfertigen ließ und der auch sein Notebook ziert: „Do epic shit."

Zahlen bitte: Fakten zum Campus

Am Campus gibt es:
37 Cafes
374 Getränke-Automaten
875 Kühlschränke mit Gratis-Limonde
618 Kaffeemaschinen mit Gratis-Kaffee
14 Lokale
9 Shops
Zusätzliche Services wie Post, Frisör, Trockenreinigung

Pro Tag werden am Campus von durchschnittlich jedem Mitarbeiter:
2,5 Kostenlose Getränke konsumiert
4,60 US-Dollar ausgegeben

Zahlen bitte: Daten zum Campus inklusive den Büros in Seattle und Umgebung

Microsoft besitzt 78 Gebäude und hat 45 geleast. Die Gesamtgöße beträgt
1,3 Millionen Quadratmeter

Wöchentlich werden
90.000 Mülleimer entleert

Monatlich werden:
76.000 Besucher im Konferenz-Zentrum empfangen
130.000 Shuttle-Fahrten unternommen

Jährlich werden:
Über eine Million Konferenzen in über 2500 Konferenzräumen abgehalten
Über 20.000 Events in 182 Veranstaltungsräumen abgehalten
38.000 Liter Altfett in Biodiesel umgewandelt
142 Tonnen Abfall kompostiert

 

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Gregor Gruber

Testet am liebsten Videospiele und Hardware, vom Kopfhörer über Smartphones und Kameras bis zum 8K-TV.

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