"Eigentlich kommen Seilbahnen ja aus Städten"
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr!
Im Technischen Museum Wien können Besucher der Ausstellung "Die Zukunft der Stadt" seit kurzem eine Seilbahngondel besteigen und darin virtuell über La Paz schweben. Die Bewohner der bolivianischen Großstadt nutzen seit 2014 das bis heute größte urbane Seilbahnnetz der Welt. Errichtet wurde es vom österreichischen Unternehmen Doppelmayr, das international immer öfter Aufträge für Seilbahnprojekte in Städten erhält. Die futurezone sprach mit Ekkehard Assmann von Doppelmayr über diesen Trend.
futurezone: Seilbahnen können relativ schnell errichtet werden, sind relativ günstig und können eine hohe Transportkapazität aufweisen. Warum gibt es nicht längst mehr davon in Städten?
Ekkehard Assmann: Eigentlich kommen Seilbahnen ja aus Städten. Mitte des 19. Jahrhunderts sind die ersten Seilbahnen in Städten aufgetaucht, hauptsächlich Standseilbahnen. Die ersten Seilbahnen für den Wintersport wurden viel später eingeführt. So richtig verbreiteten sie sich mit dem aufkeimenden Wintertourismus in den 1950er-Jahren. In den vergangenen 30 bis 40 Jahren haben wir schon immer wieder mal Seilbahnen in Städten gebaut, aber es stimmt: So richtig zum Trend geworden ist das erst in den letzten zehn bis 15 Jahren. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass Seilbahnen eher als touristische Infrastruktur wahrgenommen wurden. Sie wurden aber nicht als hart arbeitendes öffentliches Verkehrsmittel betrachtet. Ein weiterer Grund könnte sein, dass die Seilbahn im Stadtbild etwas ungewöhnlich ist.
Seilbahnen kommen heute sowohl in Städten mit eher schlecht ausgebauter Infrastruktur vor, als auch in modernen Großstädten wie London. Kritiker sehen darin Verschwendung und plädieren für leistungsfähigere Verkehrsmittel.
In London ist die Seilbahn Teil der Stadtentwicklung in einem bestimmten Gebiet. Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Wir sehen uns in keiner Weise als Konkurrent zu bereits bestehenden Verkehrsmitteln, etwa U-Bahnen. Die Kapazität einer U-Bahn erricht eine Seilbahn nicht, dafür kann sie andere Dinge. Sie kann U-Bahnen verbinden, die Feinverteilung an Endstellen von U-Bahnen übernehmen oder Hindernisse überbrücken. Seilbahnen sind keine Konkurrenz, sondern eine sinnvolle Ergänzung. Jede Seilbahn, die wir bis jetzt in Städten errichtet haben, hat außerdem eine gewisse Attraktivität für den Tourismus. Für uns als Österreicher ist eine Seilbahn nichts Besonderes, aber anderswo ist eine Seilbahn an sich schon eine Attraktion.
Seilbahnen werden auch in Städten mit großen Höhenunterschieden eingesetzt. In La Paz hat Doppelmayr das bisher weltgrößte urbane Seilbahnnetz errichtet. Wie läuft das Projekt bisher?
Das Überwinden von Höhenunterschieden ist ein zusätzlicher Vorteil von Seilbahnen, neben allen anderen bereits genannten. Das Projekt in La Paz läuft hervorragend. Wir haben mit den drei bestehenden Linien seit 2014 bereits über 50 Millionen Passagiere transportiert. Der Fahrtpreis beträgt rund 35 Eurocent, das ist nur wenig mehr als der Tarif für einen Minibus in der Stadt. Die Bevölkerung schätzt die Seilbahn, weil sie viel Zeitersparnis bringt. Wir reden hier von zwei Stunden oder mehr pro Tag. Die Straße zwischen La Paz und El Alto ist permanent verstopft. Am 13. Juni alleine haben wir 180.000 Menschen transportiert. Der Ausbau läuft ebenfalls nach Plan. Bis 2018 oder 2019 sollen sechs weitere Linien in Betrieb sein.
Der Fahrtpreis scheint also selbst für die eher arme bolivianische Bevölkerung leistbar zu sein?
Ja, der Fahrtpreis ist leistbar. Der Fahrtpreis hängt außerdem immer von der Politik ab. Es ist eine politische Entscheidung, welchen Anteil an den Infrastrukturkosten für die öffentliche Hand übernimmt. In der Schweiz tragen Fahrgäste etwa nur ein Drittel aller Kosten. In Bolivien sollen sich die Seilbahnen innerhalb von 30 Jahren selbst finanzieren.
Wieviel Energie verbrauchen Seilbahnen eigentlich?
Wir haben uns das bei der Seilbahn in Koblenz ausgerechnet. Für einen Fahrgast wird in etwa der Strom aufgewendet, den dieser verbraucht, wenn er sich in der Früh zwei bis drei Minuten die Haare fönt.
Ein Gondelseilbahnnetz über einer Stadt ist ja ziemlich exponiert und dem Wetter ausgesetzt. Kann es sein, dass bei Schlechtwetter alles zum Stillstand kommt?
Grundsätzlich ist das natürlich möglich, genauso wie bei allen anderen Verkehrsmitteln. Bei einem Sturm mit 130 km/h bleibt alles stehen. Bei der Projektierung und bei der Auslegung der Linien wird aber auf Wetterphänomene besonders viel Rücksicht genommen. Mit Windgeschwindigkeiten bis zu 70 km/h haben klassische Gondelbahnen kein Problem. Systeme mit mehreren Seilen, wie jenes in Koblenz, können bei Windgeschwindigkeiten bis zu 100 km/h fahren. Die Seilbahn hat, gerade wenn es um klimatische Bedingungen geht, eine sehr große Bandbreite. Die reicht von minus 40 bis plus 45 Grad Celsius.
Die Exponiertheit von Seilbahnen führt auch zu einem anderen Risiko: Sind Seilbahnen ein relativ leichtes Ziel für Terroristen?
Das werde ich weder mit ja noch mit nein beantworten. Wenn jemand terroristische Akte setzen möchte, dann wird er es immer und überall schaffen - auch bei Seilbahnen.
In der Vergangenheit ist es ja auch alleine durch Unvorsicht zu schweren Seilbahnunglücken gekommen, etwa als ein US-Kampfjet das Seil einer Gondelbahn in Italien durchtrennt hat. Birgt alleine die Beförderung in der Luft nicht schon ein gewisses Risiko für Passagiere?
Wenn man eine Seilbahn besteigt, gibt es oft gewisse Ängste, aber die Fakten sprechen dagegen. Die Seilbahn ist das sicherste Verkehrsmittel der Welt, wenn man die Anzahl der Unfälle mit der Anzahl beförderter Personen vergleicht. Die ÖBB transportieren rund 200 Millionen Passagiere pro Jahr. Alle österreichischen Seilbahnen zusammen transportieren pro Jahr 600 Millionen Passagiere. Das ist eine Zahl, die kaum jemandem bewusst ist. Also statistisch sind Seilbahnen das sicherste Verkehrsmittel der Welt.
Doppelmayr hat in Südamerika mehrere Seilbahnen errichtet. Neben La Paz gibt es etwa Anlagen in Caracas und in Rio de Janeiro. Wo werden die nächsten Seilbahnen gebaut?
Wir verzeichnen weltweit großes Interesse. Es kommen sehr viele Anfragen, aus allen Kontinenten. Aber der Hotspot für Seilbahnen im urbanen Bereich ist derzeit tatsächlich Südamerika.
Die futurezone ist Medienpartner der Ausstellung "Die Zukunft der Stadt" im Technischen Museum Wien.
Kommentare