© Gerhard Deutsch, Kurier

Interview

"Ein Twitter-Dasein ist kein leichtes"

Mit seinen trocken amüsanten Aphorismen sammelte der amerikanische Germanist und Literaturwissenschafter Eric Jarosinski als @NeinQuarterly mehr als 126.000 Follower auf Twitter. Im Sommer veröffentlichte er mit "Nein. Ein Manifest" seine bis zu 140 Zeichen langen Sinnsprüche in Buchform. Derzeit befindet sich Jarosinski auf Vortragsreise, die ihn auch nach Wien führte. Am Donnerstag war er an der Universität Wien zu Gast. Am Samstag spricht Jarosinski am Wiener Ball der Wissenschaften.

In Wien war der 44-jährige Twitter-Star beim Eisstockschießen, hat alte Ausgaben von Hermes Phettbergs "Nette Leit Show" gesehen und sich die österreichische Demokratie erklären lassen. "Vienna. Come for the Schnitzel. Stay for the Schmäh", notierte er auf Twitter. Mit der futurezone hat er über sein Verhältnis zu dem Kurznachrichtendienst, Hasspostings und gescheiterte Beziehungen gesprochen.

futurezone: Als Twitter im Jahr 2006 startete haben sich viele gefragt was das eigentlich ist und was man damit machen kann. Wie definieren Sie Twitter für sich?
Eric Jarosinski: Offiziell heißt es im Deutschen Kurznachrichtendienst. An der Kürze ist was dran. Twitter kann viele Funktionen haben. Es gibt keine Standardnutzung. Mir ging es ums Schreiben und um die Kürze. Bei Twitter denke ich an einen Paternoster für Gedanken oder Halbgedanken, die nicht zum richtigen Zeitpunkt aussteigen und manchmal auch unter die Räder kommen.

Sie sind seit rund drei Jahren auf Twitter. Wie hat sich ihr Verhältnis zu dem Dienst entwickelt?
Ich hatte schon davor von Twitter gehört, hatte aber eine Abneigung dagegen. Dann hab ichs mir genauer angesehen und mir gedacht, es ist ja gar nicht so schlecht. Ich war damals gerade dabei ein Buch zu schreiben und hatte eine Schreibblockade. Auf Twitter zu schreiben, hat mir aber Spaß gemacht, weil sich die kurzen Kästchen leicht füllen lassen. Man befindet sich auch schnell in einem Netzwerk mit anderen, die ähnliche Interessen haben. Beim akademischen Schreiben wird man immer einsamer und isolierter. Auf Twitter habe ich gefunden, was mir fehlte.

Wie wichtig ist Ihnen der Austausch mit Ihren Lesern?
Viele glauben, man kann auf Twitter Gespräche führen. Ich halte es für kein gutes Mittel dafür, denn Gespräche sind viel besser, wenn sie nicht öffentlich sind. Man kann sich aber durchaus austauschen und manchmal muss man das sogar. Etwa wenn es Missverständnisse gibt, die geklärt werden müssen.

Sind Sie auf die Anzahl ihrer Follower stolz?
Die Follower-Zahl ist mir inzwischen viel weniger wichtig geworden. Als ich nah an den 100.000 war, war es mir schon wichtig. Das wollte ich erreichen, es ist eine Art Legitimation. Follower kommen und gehen. Diejenigen, die lange bleiben, meinen es ernst und haben auch sehr viel Geduld. Ich bin erstaunt, dass viele so lange geblieben sind, ich fühle mich auch geehrt.

Wie viel Zeit verbringen Sie eigentlich auf Twitter?
In den Anfangsjahren waren es acht bis zwölf Stunden am Tag. Das war die ganz harte Phase. Inzwischen ist es aber viel weniger geworden. Twitter hat mir viel möglich gemacht, es hat aber auch seine Kosten. Mir ist deshalb auch eine Beziehung in Brüche gegangen. Ich kann das durchaus verstehen, denn es war bestimmt supernervig für meine Freundin. Ich habe dauernd aufs Smartphone geguckt und war nie präsent.

Auf Twitter präsentieren Sie sich mit einem Porträt des deutschen Philosophen Theodor W. Adorno, der auch ein Meister der Aphorismen war. Was hätte Adorno über Twitter gedacht?
Wahrscheinlich nichts Positives. Wenn er aber genügend Geduld damit hätte, würde er erkennen, dass man viel damit machen kann.

Sie bezeichnen sich selbst als gescheiterten Intellektuellen. Ist das Koketterie?
Nicht ganz. Es ist ehrlich, denn ich habe lange versucht, es an der Universität zu schaffen. Es ist mir aber nicht gelungen. Es meint aber auch, dass ich jemand bin, der einmal ernsthaft akademische Forschung betrieben hat und diese Welt kennt. Ich will aber nicht als verbitterter Alt-Intellektueller rüberkommen.

Sie haben ein Buch mit ausgewählten Tweets veröffentlicht, haben Kolumnen in deutschen und niederländischen Zeitungen und Sie gehen auf Vortragsreisen. Können SIe davon leben?
Man sollte sich keine Illusionen machen, dass man von Twitter leben kann. Ich habe das große Glück eine Freundin zu haben, die etwas Vernünftiges macht. Ohne sie könnte ich die Miete in New York nicht bezahlen. Von dem, was ich mache, kann ich aber die Kosten für den Alltag einigermaßen bestreiten.

Die US-Autorin Jennifer Egan hat auf Twitter den "Roman" Blackbox" veröffentlicht und damit großes Aufsehen erregt? Verfolgen Sie auch andere literarische Projekte auf Twitter?(Anm.: Jennifer Egans Twitter-Roman kann beim "New Yorker"nachgelesen werden.)
Ich habe vor kurzem davon gehört, bin aber noch nicht dazugekommen, das zu lesen. Ich bin aber skeptisch, was längere Texte auf Twitter betrifft. Man hat immer das Gefühl, dass man mittendrin einsteigt und dass man sich nicht orientieren kann. Es geht meinem Verständnis von Twitter gegen den Strich.

Twitter will das Zeichenlimit erhöhen, um auch komplette Artikel dort ausspielen zu können. Was halten Sie davon?
Es wäre ein Fehler das zu machen. Kurze Texte machen Twitter attraktiv. Auch weil man weiß, sie sind zu bewältigen.

In Online-Netzwerken findet sich auf viel Hass und Verachtung. Setzen Sie sich damit auseinander?
Als meine Follower-Zahl größer wurde, sind auch härtere Kommentare und Trolle gekommen. Das ist für mich schwierig, man darf das aber nicht persönlich nehmen. Es kann den Spaß aber schon ziemlich verderben. In der Regel mach ich dann für den Tag Schluss und fange am nächsten Tag wieder an. Ein Twitter-Dasein ist kein leichtes. Man hat es mit einer Welt voller Ambivalenzen zu tun. Mein Konto zieht manchmal auch sehr depressive Typen an. Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich viel glücklicher wäre, wenn ich weniger Zeit mit Twitter verbringen würde.

Haben Sie jemals überlegt, mit dem Twittern aufzuhören?
Ja, immer wieder. Jeder, der sich mit Twitter beschäftigt, hat sich das schon überlegt. Wenn man dumm und naiv ist, sagt man dass man ganz weg geht. Es ist aber viel vernünftiger, zu sagen, dass man einfach eine Pause macht. Dann hat man auch kein schlechtes Gewissen, wenn man zwei Tage später wieder anfängt.

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Patrick Dax

pdax

Kommt aus dem Team der “alten” ORF-Futurezone. Beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Innovationen, Start-ups, Urheberrecht, Netzpolitik und Medien. Kinder und Tiere behandelt er gut.

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