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Ausbruch

Games im Gefängnis: Ausbruch aus dem Alltag

Als 1972 in den USA der erste Spielautomat mit dem Titel „Pong" auf den Markt kam, war dies die Geburtsstunde des Videospiels. In den ersten Jahren erschienen jene archetypischen Spielkonzepte, die selbst 40 Jahre später Bestand haben. Darunter auch ein auf Geschicklichkeit ausgelegtes Spiel, dessen Erfolg viele Variationen nach sich zog: Bei BreakOut muss man mit einer Art Schläger einen Ball so lenken, um Ziegelsteine zu zerstören. Den Kontext zur schemenhaften Grafik lieferte die knallige Bemalung des Automaten: Ein Häftling in schwarz-weiß gestreifter Gefängnismontur schlägt sich mit einem Hammer durch eine Wand roter Ziegelsteine. Er bricht aus.

Auf der Flucht
Um Ausbrechen geht es auch jenen, für die dieses Videospielszenario kein virtuelles Abenteuer, sondern Realität ist. „Mit Computerspielen kann man dem Gefängnisalltag ein wenig entfliehen. Ich spiele, um mich abzulenken", sagt ein Insasse der oberösterreichischen Strafvollzugsanstalt Garsten zur futurezone. Durch das Computerspiel wird die Enge der Zelle aufgebrochen und in den virtuellen Raum ausgeweitet. „Jeder spielt, und sei es nur Solitär", so der Häftling. Man entkommt der Monotonie des Haftalltags und hat die Möglichkeit etwas zu erleben.

Das Spiel ist auch Mittel, um Depressionen zu vermeiden. „Im Spiel konzentriere ich mich auf die Aufgaben und verdränge so für kurze Zeit Gedanken an meine Familie", sagt der Gefangene. Seit vielen Jahren sitzt er im Hochsicherheitsgefängnis in der Nähe von Steyr und nützt einen Stand-PC in der Zelle. Laut Gesetz hat er Anrecht auf solch einen Computer, wenn es der Fortbildung und dem Lernen dient. In der Praxis wird er natürlich auch zur Unterhaltung verwendet.

PlayStation und PC erlaubt
Sonys PlayStation 2 darf ebenfalls in österreichischen Anstalten erworben und in der Zelle verwendet werden. In Wien Mittersteig, einer Justizanstalt für zurechnungsfähige, geistig abnorme Rechtsbrecher, besitzen elf der 89 Insassen eine Spielkonsole. Wobei es sich um eine Vergünstigung handelt, die gestrichen werden kann, sobald sich ein Häftling nicht korrekt verhält. Wie der Computer kann sie über den Gefängnis-Shop bezogen werden.

Neuere Konsolen wie etwa Nintendos Wii, Sonys PS3 oder eine Xbox360 sind hingegen nicht im Sortiment. Das Gesetz verbietet Geräte mit integrierter Netzwerk- und Internet-Funktionalität, da Häftlinge Kontakt mit der Außenwelt aufnehmen oder Verbotenes im Web treiben könnten. „Internet-Sticks werden immer wieder reingeschmuggelt. Die Wachebeamten kontrollieren die Computer daher regelmäßig nach Spuren von Internet-Nutzung", erzählt der Gefangene aus Garsten. Durch die Beschränkung auf Offline-Geräte hat die Anstalt aber grundsätzlich mehr Kontrolle. Vor der Übergabe an den Häftling wird darüber hinaus die Konsole oder der PC genau überprüft und danach plombiert.

Spiele-Schwarzmarkt und strikte Kontrollen
Die Kontrolle erstreckt sich auch auf die dazugehörigen Spiele, die ebenfalls über das Geschäft bezogen werden. „Es sind nur Titel erlaubt, die eine Altersfreigabe von 12 Jahren und darunter haben", sagt Christine Maier, die stellvertretende Anstaltsleiterin von Mittersteig. Über ihren Tisch wandern alle Spiele, die von Insassen bestellt werden. Nur jene mit gewaltfreien Inhalten und unbedenklichen Szenarien werden zugelassen. Dazu zählen etwa Fußball- oder Rennspiele, aber auch Simulationen und Strategie sind in vielen Fällen in Ordnung. Dass es in der Praxis auch problematische Spiele ins Gefängnis schaffen, verwundert aber nicht. „An sich ist jedes Spiel zu bekommen. Es gibt für alles einen Markt. Die einzige Einschränkung ist die Leistung des PCs. Wenn der Prozessor und die Grafikkarte zu alt sind, laufen die aktuellen Spiele schlecht oder gar nicht", erzählt der Häftling aus Garsten.

Die Popularität der einzelnen Genres ist ident mit den Trends der Außenwelt. Was Männer zwischen 18 und 45 Jahren in der Freiheit bevorzugt spielen, wird auch im Gefängnis gezockt. Männer erfüllen die Klischees und mögen Games zu Fußball, Tennis oder Autorennen. Es gibt Fans von Rollenspielen oder Strategietiteln. Party-Spiele wie SingStar sind nicht gefragt. Die Justizvollzuganstalten für Frauen sind ebenso ein Spiegelbild der Gesellschaft – Spiele sind hier ein Randthema. „Jeder hat andere Vorlieben und mag unterschiedliche Games. Manche sind 40 und wollen Super Mario, andere nur die neuesten Titel", sagt der Häftling aus Garsten, der sich selbst als Gelegenheitsspieler bezeichnet.

Erfolgsgefühle und Glücksmomente
„Ich mag Fußball. So wie draußen. Tennis und Autorennen habe ich auch probiert", sagt ein Insasse aus Mittersteig. An vier Tagen in der Woche dreht er im Schnitt seine PlayStation auf, um für maximal drei Stunden Matches zu spielen. Wobei er betont, dass es ihm mittlerweile nicht mehr nur um das Duell am Rasen geht. „Das Managen der Spieler und des Klubs ist mir genauso wichtig", so der Häftling, der richtig aufblüht, wenn er über seine Leidenschaft spricht.

Diese Begeisterung ist bei vielen zu sehen und zu spüren, die über ihre Spielvorlieben sprechen. „Ich nehme immer die schlechteste Mannschaft, das ist dann eine Herausforderung. Wenn ich gute Teams nehme, würde ich ja sofort gewinnen", sagt der Gefangene aus Mittersteig. In ihren Schilderungen wird klar, dass die Häftlinge vor allem die damit verbundenen Erfolge zu schätzen wissen. Für diese werden sie belohnt und sie bekommen das Gefühl, etwas gut zu können.

Abgekapselt
So wie sich beim Häftling aus Mittersteig der Fokus beim Fußball im Zuge seiner Haft verschoben hat, hat sich auch seine Einstellung zum Spiel an sich verändert. „Zu Beginn habe ich die PlayStation verwendet, um zu flüchten. Es war ein Rückzugsort, wo ich mit mir alleine sein konnte. Mit den Spielen konnte ich mich von allem abkapseln und hatte meine Ruhe. Ich musste mich mit nichts auseinandersetzen." Damals hat er die Zelle kaum verlassen und täglich bis zu acht Stunden gespielt. Das Spiel war Mittel zum Zweck, das richtige Werkzeug für den Moment. Über die Jahre und durch seine Therapie hat die Nutzung nun positivere Aspekte gewonnen. „Jetzt spiele ich, wenn es mir gut geht. Aus Spaß und zum Zeitvertreib. Andere Sachen sind wichtiger geworden, es ist neben Fernsehen oder Lesen eine von mehreren Freizeitoptionen", so der Gefangene.

Spielesucht und Jobverlust
So wie draußen, gibt es aber auch drinnen jene, die dem Spiel verfallen sind. „Es gab mal vor Jahren einen auf unserem Stock, der hat jede freie Minute mit Computerspielen verbracht. In Pausen, nach Einschluss in der Zelle, einfach immer. Der war eindeutig süchtig", erzählt der Häftling aus Garsten. Allerdings sind solche Insassen die Ausnahme. Obwohl sowohl in Garsten als auch in Mittersteig der Strom nie abgedreht wird und jeder die Nacht durchspielen könnte, kommt dies selten vor. Denn so wie draußen hat exzessives Spielen und die damit verbundene Müdigkeit im Gefängnisalltag spürbare Konsequenzen.

„Man muss am nächsten Tag ja arbeiten. Zockt man jede Nacht durch, lässt die Leistung nach und man verliert den Gefängnisjob. Und den Lohn", so der Häftling aus Garsten.  In Mittersteig beträgt der Monatslohn, etwa in der Wäscherei oder Küche, im Schnitt rund 100 Euro. Stellt man dem die Kosten für Spiele gegenüber, wird schnell klar, dass es ein teures Hobby ist. In Garsten kostet ein PC in etwa 500 Euro, eine PlayStation 2 knapp über 100 Euro. Der Preis der Spiele orientiert sich an jenem im freien Handel und schwankt je nach Titel zwischen 30 und 60 Euro. Wer keinen Job hat oder ihn verliert, kann sich somit auch keine Unterhaltung leisten. Hinzu kommt, dass Häftlinge für den Strom aufkommen müssen. Der Verbrauch von zwei Geräten ist kostenlos, für jede zusätzliche Hardware muss der Insasse selbst aufkommen.

Abläufe wie in der Freiheit
Überhaupt erinnert vieles an den Alltag und die Routinen in der Außenwelt. In Mittersteig werden beispielsweise um 7:30 Uhr die Hafträume geöffnet, um 8 Uhr beginnt die Arbeit, die um 14:30 endet. Danach beginnt die Freizeit, die im Hof mit Sport oder etwa Gartenarbeit, aber auch in der Zelle mit Spielen verbracht werden kann. Bis 23 Uhr können sich die Gefangenen in ihren jeweiligen Abteilungen frei bewegen. Danach erfolgt der Einschluss und die Hafträume werden versperrt. Diese offensichtliche Angleichung an die Außenwelt hat vor allem therapeutische Gründe.

"Struktur und geordnete Abläufe sind wichtig. Insassen hatten diese zuvor meist nicht. Abläufe wie in der Außenwelt helfen bei der Therapie und Resozialisierung", sagt Katinka Keckeis, Leiterin des psychologischen Dienstes in der Justizanstalt Mittersteig. Dazu zählt auch die Freizeit. „Der Großteil hat nicht gelernt, sich selbst zu beschäftigen. Es beschränkt sich auf Rauchen, Kaffee Trinken und Fernsehen. Die wenigsten kommen auf die Idee etwa anderes zu machen", sagt die promovierte Psychologin. Dies ist jedoch wichtig für die Zeit nach der Haft. Die Freiräume, die während der Arbeitssuche in der Übergangsphase entstehen, sollen sinnvoll genutzt werden. „Leute, die nichts mit sich anzufangen wissen, sind viel eher gefährdet, mit Alkohol oder Leuten in Berührung zu kommen, die ihnen nicht gut tun", sagt Keckeis.

Spielen per Gesetz
Diese Argumentation findet sich auch im Strafvollzugsgesetzes wieder, das einen sinnvollen Umgang mit Freizeit vorsieht, um Rückfälle zu vermeiden. Im Paragraf 58, der die Freizeitgestaltung regelt, steht: „Die Strafgefangenen sind zu einer sinnvollen Verwendung ihrer Freizeit anzuhalten und dabei erforderlichenfalls anzuleiten. Zu diesem Zweck ist ihnen insbesondere Gelegenheit zum Lesen, zur Teilnahme am Empfang von Rundfunksendungen (Hörfunk und Fernsehen), zu sportlicher Betätigung oder [...] zu Gesellschaftsspielen zu geben."

Spiele als verbindendes Element
Zu letzterer Kategorie zählen Brett-, Würfel- und Kartenspiele genauso wie Schach oder eben Videospiele. Das digitale Spiel hat dabei das analoge in der vergangenen Dekade verdrängt. Brettspiele werden laut Walter Rosenauer, in Mittersteig seit 23 Jahren verantwortlich für die Freitzeitgestaltung, kaum gefragt. Spricht man mit Insassen, was abseits von PlayStation gespielt wird, zählen sie ausschließlich jene Spiele auf, die auch draußen populär sind. Mit Abstand am beliebtesten ist Pokern, das ein über Generationen und Nationalitäten hinweg standarisiertes Spielprinzip ist. Die Gefangenen schätzen dabei den Gemeinschaftsaspekt. „Es ist ein Eisbrecher und schafft eine Basis zum Reden. Über das Spiel lernt man sich kennen", erzählt ein Häftling aus Mittersteig.

Gefahr der Vereinsamung
Die therapeutischen Vorteile und der Gemeinschaftsaspekte geht laut Götz Eisenberg, Gefängnispsychologe in der deutschen Justizvollzugsanstalt Butzbach, durch das Spielen an der Konsole jedoch verloren. „Manchmal verabreden sich die Insassen, um gegeneinander an der PlayStation anzutreten. Der Großteil spielt jedoch alleine", kritisiert Eisenberg. Der Sozialwissenschaftler, der unter anderem Theaterspiel mit Gefangenen organisiert, steht digitalen Games skeptisch gegenüber.

Seit das Gemeinschaftsfernsehen abgeschafft wurde und jeder einen eigenen TV-Apparat in der Zelle hat, ist die Ausleihe von Büchern ebenso wie das Interesse an anderen Freizeitaktivitäten drastisch zurückgegangen. „Man darf nur zehn Bücher auf der Zelle gleichzeitig haben, aber 20 Spiele – das zeigt ganz klar die Richtung, in die es geht", so Eisenberg. Im Butzbacher Hochsicherheitsgefängnis besitzt ein Drittel eine PlayStation. Da sich viele die Zelle teilen, rechnet der Psychologe, dass mehr als die Hälfte Zugang zu einer Konsole hat.

Jeder alleine in seiner Zelle
Auch der Fußball-begeisterte Gefangene aus Mittersteig steht der Konsole mittlerweile kritisch gegenüber: „Eigentlich gehört die PlayStation und der Fernseher weg, weil Leute nichts mehr mit einander reden. Es fehlt die Kommunikation und Freundschaft. Früher haben wir zu acht gewürfelt oder Karten gespielt. Früher war es von der Gemeinschaft her angenehmer als es jetzt ist."

Videospiele zum Ruhigstellen
Für Eisenberg sind die Gründe für das Dulden der PlayStation klar. „So wie das TV-Gerät ist es ein probates Mittel, um Insassen ruhig zu stellen", sagt der Psychologe. Ein süchtiger Spieler mache weniger Probleme als ein gelangweilter Häftling. Man kommt nicht auf dumme Gedanken, wenn man mit dem Computer spielt. „So wie vielen Eltern egal ist, was ihre Kinder spielen, ist es bei den Gefangenen. Man ist froh, wenn nicht randaliert wird und jeder nur da sitzt und in die Kiste guckt", sagt Eisenberg. Es sei ein bequemer, aber schlechter Weg, denn man bereitete den Häftling nicht auf das Leben nach der Haft vor. „Nur wenn man den Insassen die unterschiedlichen Reize des Lebens zeigt, kann man ihren Enthusiasmus wecken", sagt Eisenberg.

Aus diesem Grund hat auch der Häftling aus Garsten seinen Spielkonsum reduziert. „Ich mache eine Lehre, um draußen bessere Chancen zu haben. Die Computerspiele halten mich nur vom Lernen ab."

Ausstellung zu Spielen:
Dieser Text ist in abgeänderter Form im Begleitkatalog der neuen Ausstellung "Spiele der Stadt" erschienen. Die Veranstaltung, die zwischen 25. Oktober und 2. April 2013 im Wien Museum läuft, beschäftigt sich mit dem analogen wie auch digitalen Spiel.

Gezeigt werden unter anderem extrem seltene Spiele und deren geschichtliche und kulturelle Entwicklung. Beginnend mit dem 18. Jahrhundert wird der Bogen bis zu heutigen Automatenhallen gespannt.

Vorträge und Events:
Die Ausstellung wird von Ernst Strouhal, Ulrich Schädler, Manfred Zollinger und Michaela Lindinger kuratiert. Während der Laufzeit gibt es regelmäßig Veranstaltungen und Vorträge.

Spiele der Stadt ist Dienstag bis Sonntag zwischen 10 und 18 Uhr geöffnet.

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Benjamin Sterbenz

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