Google-Techniker: „Würde Internet Explorer mit Feuer zerstören“
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„Die Gerüchte über meinen Tod sind stark übertrieben.“ Dieses berühmte Mark-Twain-Zitat lässt sich wohl auch auf das World Wide Web anwenden. Nahezu im Jahrestakt wird der Untergang des Webs aufgrund neuer Entwicklungen vorhergesagt. Bereits 2010 sah der damalige Wired-Chefredakteur Chris Anderson den Fortbestand des offenen Webs durch Apps und geschlossene Plattformen, wie iOS, bedroht.
„Zugegeben, damals war das Web unattraktiv auf dem Smartphone zu nutzen. Doch die Kernkomponenten für die Mobilnutzung waren schon immer da. Wir mussten sie nur wieder finden und kennenlernen“, sagt Ilya Grigorik auf der WeAreDevelopers-Konferenz. Grigorik bezeichnet sich selbst als „Internet-Installateur“. Er ist bei Google und dem W3C, dem Kommittee für Internet-Standards, für Web-Performance zuständig.
Laut Grigorik konnte man das Problem in den Griff bekommen, auch unter der Mithilfe von Google. Die US-Suchmaschine berücksichtigt seit 2015 auch, wie gut eine Webseite auf Mobilgeräte optimiert ist. Wenn die Webseite schlecht auf Smartphones oder Tablets nutzbar ist, wird sie mit einem schlechteren Ranking bestraft. „Wir haben das mit dem Marketing aber nicht so richtig hinbekommen“, sagt Grigorik und verweist auf zahlreiche Schlagzeilen, in denen Webseiten über das „Mobilegeddon“ klagten. Die Webseiten-Betreiber leisteten dennoch zähneknirschend Folge und passten ihre Inhalte an die Google-Vorgaben an.
Wechsel zu HTTPS
Auch bei der Etablierung von HTTPS-Verbindungen spielte Google eine essenzielle Rolle. Bereits seit einer Weile werden Webseiten im Google-Ranking bevorzugt, die eine verschlüsselte Verbindung vorweisen können. Dank Initiativen wie "Let’s Encrypt", das Webseiten-Betreibern kostenlose SSL-Zertifikate anbietet, konnte die Zahl drastisch gesteigert werden. Vor wenigen Jahren bot kaum ein Drittel aller Webseiten eine HTTPS-Verbindung an, heute sind es weltweit mehr als 70 Prozent.
Ab Juli markiert Google Chrome - mit weit über 50 Prozent Marktanteil der derzeit dominierende Browser - HTTP-Verbindungen als „unsicher“. Längerfristig soll mit roten Rufzeichen vor HTTP-Verbindungen gewarnt werden. „Wir wollen das Web aber nicht in Panik versetzen, weswegen noch nicht klar ist, wann wir das einführen werden.“ Auf seiner Hausmesse Google I/O kündigte der US-Konzern auch die Top-Level-Domain .app an, die HTTPS-Verbindungen voraussetzt. „Hoffentlich werden sich einige Domain-Registrare davon inspirieren lassen.“
Google will nicht der Superheld sein
Laut Grigorik ähnle der Ablauf stets dem eines schlechten Superhelden-Films. Ein Trend gefährde das offene Web und die Gemeinschaft müsse dagegen antreten, um das zu verhindern. Dass in dem von ihm genannten Beispiel Google als der „Superheld“ auftritt, ist kein Zufall. Er räumt aber ein, dass es durchaus genug Probleme gibt, die ohne den Druck von Google gelöst werden könnten.
Als Beispiele nennt er etwa Webseiten, die absurde Dateigrößen aufweisen. Der übertriebene Einsatz von Javascript, weswegen die Seite oftmals nicht benutzt werden kann, obwohl der Inhalt bereits sichtbar ist. Oder aber das sogenannte „Content Shifting“, bei dem sich Inhalte verschieben, weil andere Elemente - meist Werbung - erst verspätet nachgeladen werden. „All das sind Probleme, die sich beheben lassen.“
Web statt Apps
„Das Web verändert und erfindet sich laufend neu“, sagt Grigorik und vergleicht es mit dem Versuch, ein Flugzeug zu bauen, während es bereits fliegt. Als möglichen Lösungsvorschlag nennt er sogenannte Progressive Web Apps (PWA), die Google bereits seit mehreren Jahren forciert. Diese ermöglichen es Web-Entwicklern, eine Webseite mit App-Funktionen zu entwickeln. Das erweist sich in vielen Fällen als deutlich schneller, weil einzelne Elemente nicht mehr nachgeladen werden müssen. Zudem sind viele App-Funktionen, wie Benachrichtigungen oder das Herunterladen von Offline-Inhalten, möglich.
Während 2010 Kritiker noch fürchten, das offene Web werde bald durch Apps ersetzt, scheint nun die Rache des Webs gekommen. „Viele der Apps, die wir heute täglich nutzen, basieren auf Web-Apps“, sagt Grigorik und zählt unter anderem den Mac-App-Store und Microsofts Visual Studio Code als Beispiele auf. Zudem werden viele Software-Produkte, wie Autodesks AutoCAD, mithilfe von WebAssembly bereits als Web-Anwendungen portiert. Dieser Bytecode ermöglicht es, klassischen Programmiercode, wie C++, auch im Browser auszuführen.
Weg mit dem Internet Explorer
Obwohl Grigorik in seinem Vortrag betonte, Google könnte nicht den Aufpasser für das World Wide spielen, wandten sich viele Entwickler in der anschließenden Fragerunde hilfesuchend an ihn. Viele Web-Entwickler klagen etwa darüber, dass sie nach wie vor für alte Versionen des Microsoft Internet Explorers entwickeln müssen. Microsoft stellte die Entwicklung des Browsers bereits mit dem 2013 veröffentlichten Internet Explorer 11 ein, weil er aber in vielen Windows-Versionen vorinstalliert ist, ist er nach wie vor stark verbreitet.
Auf die Frage, wie man dagegen ankämpfen könnte, hat Grigorik auch keine Antwort: „Diese Frage müsst ihr Microsoft stellen. Wenn ich könnte, würde ich den Internet Explorer auch mit Feuer zerstören.“ Für den Nachfolger, Microsoft Edge, hat er aber lobende Worte übrig: „Microsoft Edge ist sehr gut und hat sehr viele interessante Ansätze.“
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