© Jakob Steinschaden

Reportage

Israel: Mit Chuzpe und Militär zur IT-Macht

“Wir werden die Art, wie Menschen fliegen, für immer verändern”, sagt Eran Savir vom Web-Dienst

, der Flugpassagiere ihre Sitznachbarn via Facebook aussuchen lässt. “Wir machen Israel zum ersten Erdöl-unabhängigen Staat der Welt”, ist das erklärte Ziel der israelischen Elektroauto-FirmaBetter Place. “Israel wird als dritte Nation am Mond landen”, erklärt Kfir Damari vom Raumfahrt-Projekt
.

In europäischen Ohren klingen solche Ansagen arrogant und überheblich - in Israels boomender IT-Branche gehören sie aber fix dazu. Das umstrittene Land im Nahen Osten hat weniger Einwohner als Österreich, ist in Sachen Hightech aber nach den USA führend. Tausende Jungfirmen, meist Start-ups genannt, bauen im “Silicon Wadi”, wie Israel in Analogie zum Silicon Valley in Kalifornien genannt wird, an Zukunftstechnologien.

Chuzpe bedeutet eigentlich Unhöflichkeit, aber wenn es ums Geschäft geht, ist es positiv gemeint”, sagtder israelische Risikokapitalgeber Gil Kerbsüber die vermeintliche Dreistigkeit von Israels IT-Unternehmern. “Wenn Israelis sagen, dass man Chuzpe hat, dann meinen sie, dass man weiß, was man will. Man hat den Mut, unmögliche Ziele erreichen zu wollen.”  Aber es ist natürlich nicht Chuzpe alleine, die Israel zur führenden Hightech-Nation macht. Militär und die USA sind entscheidende Erfolgsfaktoren.

Start-up-Nation im “Silicon Wadi”
In Europa wird derzeit emsig  daran gearbeitet, Städte wie Berlin oder London zu Hightech-Zentren aufzubauen - auch Wien will zur Hauptstadt für Internet-Start-ups werden, wie das Pioneers Festival zeigte. Im Vergleich zu Israel wirkt die europäische IT-Branche aber bescheiden. Kein anderes Land dieser Größenordnung kann von sich behaupten, so viele IT-Riesen ins Land geholt zu haben. Google, Apple, IBM, Microsoft, Intel, HP, Cisco - sie alle haben große Unternehmensitze in Israel aufgebaut.

Dazwischen tummeln sich derzeit zwischen 4000 und 5000 Start-ups, wie etwa die Online-Karte http://mappedinisrael.com (siehe unten) zeigt. Die Folge: Hightech und seit einigen Jahren insbesondere Internet-Firmen sind Einnahmequelle Nummer Eins vor Diamanten, Tourismus und Landwirtschaft für das kleine Land.

Die USA-Connection
America don´t worry, Isreal is behind yo” steht auf T-Shirts, die man bei Souvenir-Händlern in den engen Gassen von Jerusalem kaufen kann. Tatsächlich ist es natürlich genau andersherum - Israel braucht die USA. “Israel ist in Wirklichkeit der 51. Bundesstaat der Vereinigten Staaten”, sagt ein junger Internet-Unternehmer verschmitzt. Wie Rubi Suliman von PricewaterhouseCoopers Israel vorrechnet, wurden alleine zwischen Jänner und Oktober 2012 fast 600 Millionen Dollar in die israelische Hightech-Branche gepumpt.

Das Gros dürfte dabei von US-amerikanischen Risikokapitalgebern stammen. Der bekannte Investor Timothy Draper von Draper Fisher Jurvetson etwa hat bis dato 50 Millionen Dollar in israelische Hightech-Start-ups gesteckt. "Israel ist einzigartig, weil die Menschen hier extrem dynamisch sind, sie versprühen eine unglaubliche Energie. Und sie sind technologisch und wirtschaftlich gut ausgebildet", so Draper zur futurezone. Experten schätzen, dass in Israel pro Kopf 2,5 Mal mehr Risikokapital investiert wird als in den USA - und die Gewinnaussichten für die ausländischen Investoren sollen ebensogut sein wie in den USA.

Kein eigenes Facebok oder Google
Doch trotz der Millionen ist die Lage nicht ganz entspannt. Gegenüber dem Vergleichszeitraum 2011 wurden in den ersten drei Quartalen 2012 etwa 300 Millionen Dollar weniger investiert. Als problematisch wird außerdem angesehen, dass israelische Talente in die USA abwandern - dass eine junge Firma bereits sehr früh eine Zweigstelle im Silicon Valley zur Abwicklung der Geschäfte aufsperrt und lediglich die Entwicklungsarbeit im Land belässt, ist typisch für Start-ups in Tel Aviv.

Viele hadern mit dem Umstand, dass Israel trotz technologischem Vorsprung kein eigenes Google oder Facebook hervorgebracht hat. International agierende Firmen wie der Security-Software-Hersteller Checkpoint sind eher die Ausnahme, auch wenn Israel die meisten an der NASDAQ notierten Unternehmen nach den USA vorweisen kann. "Wir sollten ein paar Samen verkaufen, aber auch mal unsere eigenen Tomaten züchten", sagt etwa Rubi Suliman von PricewaterhouseCoopers Israel.

Die geheimnissvolle "Unit 8200"
Das Weizmann-Institut und Hebräische Universität in Jerusalem gelten weltweit als zwei der besten Ausbildungsstätten außerhalb der USA, und auch das Technion in Haifa genießt einen guten Ruf. Israel hat gemessen an der Bevölkerung die meisten Ingenieure und Wissenschaftler und produziert die meisten wissenschaftlichen Arbeiten - und doch ist der Grund, warum junge Israelis so hervorragende IT-Unternehmer sind, anderswo zu suchen: beim Militär. Wehrpflicht besteht für Männer mindestens drei Jahre, für Frauen mindestens zwei Jahre.

Besonders erstrebenswert ist die Aufnahme in die berühmte “Unit 8200”: Sondereinheiten wie diese sind technologisch Weltklasse und bringen die Jungen in Kontakt zu modernster Überwachungs- und Aufklärungstechnik, wie es sie sonst nirgendwo auf der Welt gibt. Israel ist etwa führend bei Militärdrohnen, die deutsche Bundeswehr hat die Heron 1 vom Hersteller Israel Aerospace Industries (IAI) geleast und könnte ab 2014 auf die bewaffnete Version Heron TP aufrüsten.

"Es ist, als würde man in einer riesigen Hightech-Firma arbeiten. Es gibt dort tausende Leute, die faszinierende Dinge entwickeln oder programmieren. Wenn die Armee nicht so wäre, wie sie ist, dann würde es die Hightech-Industrie nicht in der heutigen Form geben", sagt der 19-jährige Programmierer Ben Lang, der gerade seinen Militärdienst in einer der Sondereinheiten ableistet und nebenbei MappedInIsrael.com betreibt. Woran er arbeitet, darf er aufgrund von strengen Geheimhaltungsregeln nicht verraten, aber sein Grinsen beim Gedanken an seine Militärarbeit verrät einiges. Für ihn ist fix, dass er nach seiner Zeit bei der Armee ein Internet-Start-up gründen will.

Kleines Land voller Patrioten
Beim Militär bekommen Technik-Interessierte aber nicht nur Know-how, sondern auch Führungsqualitäten vermittelt, die später bei der Gründung einer eigenen Firma essenziell sind. Der

hält den Militärdienst für den dritten wichtigen Lebensabschnitt eines Israelis neben Schule und Arbeit. “In diesem Lebensabschnitt lernen Israelis viel über Führerschaft, Teamwork und, am wichtigsten, Missionserfüllung. Das verlangt Erfolgsstreben, Einfallsreichtum und Mut zum Risiko, und genau das braucht es auch bei der Gründung eines Technologie-Start-ups”, so Singer.

Zusätzlich hat der Militärdienst ein extrem hohes Maß an Nationalstolz zur Folge, dem man in Europa so kaum begegnet. "Das Spezielle an Israel ist das gesamte Ökosystem, die Hightech-Branche fühlt sich wie eine große Familie an. Man hilft den anderen nicht nur, weil es der eigenen Firma nutzt, sondern weil es dem gesamten Land nutzt", sagt der Internet-Unternehmer Gil Margulis, der mit seinem Bruder Oran aus den USA eingewandert ist, um ihren neuen Online-Dienst QuikBreak aufzubauen.

Präsident als Technologie-Liebhaber
Dass Hochtechnologie nahezu die gesamte Bevölkerung erobert hat, zeigt sich auch beim Besuch des Amtssitz von Israels Präsident Schimon Peres. Der Glaube an Hightech scheint die gesamte Gesellschaft zu durchdringen. So ist der 89-jährige Friedensnobelpreisträger stark an Hirnforschung und Robotik interessiert, traf sich vor kurzem mit Facebook-Gründer Mark Zuckerberg und meint, dass die “digitale Sprache” die Welt bestimmt. "Ich empfehle heute im Nahen Osten niemandem, Diktator zu werden. Diese Zeiten sind vorbei", sagt Peres über die demokratisierende Wirkung des Internets.

"In Israel entstand die Hochtechnologie aus der Landwirtschaft. Israel, das wenig Land und noch weniger Wasser hat, stieg zu einer führenden Agrarnation auf", Schimon Peres. Der zahlenmäßigen Überlegenheit der arabischen Feinde hätte man nur durch "Mut und Technologie" widerstehen können. Peres sieht die Zukunft weiter in der Hightech-Branche - während dem Staat nur Management-Funktionen zukommen würden, würden Unternehmen das Land voranbringen. Ihnen rät er: "Steigt aus den alten Industrien aus. Es wird fünf neue Industrien geben: neue Energiequellen, Wasser- und Biotechnologie, Unterrichtsausrüstung, sowie den Heimatschutz zur Verteidigung gegen den Terrorismus." Die Nanotechnologie werde diese fünf Bereiche miteinander verknüpfen, so der Präsident.

Peres sieht den modernen Staat aber nicht als Lenker, sondern lediglich als passiven Manager. Er glaubt daran, dass Unternehmer das Richtige tun werden. “Das sind keine Barone aus dem 19. Jahrhundert, die wollen am Abend zu ihren Familien kommen und geliebt werden”, so Peres. Die Meinung des Friedensnobelpreisträgers, der in der Bevölkerung hohe Sympathien genießt, teilen auch viele Internet-Unternehmer - etwa Oran Margulis: “Das Beste, was die Politik für die Branche tun konnte, ist, dass sie die Finger davon gelassen hat.”

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Aufstrebende israelische Start-ups
- Any.DO: App für To-Do-Listen
- Waze: soziale Smartphone-Navigation
- Gigya: Social-Media-Integration für Online-Medien
- Stevie: Social TV mit Facebook und Twitter
- iAlbums: iPhone-App für multimedialen Musikkonsum
- Fiverr: Sozialer Online-Marktplatz für 5-Dollar-Angebote
- Boxee: TV-Box für Streaming-Content
- GetTaxi: Taxi-Dienst am Smartphone
- MyHeritage: Online-Familienstammbaum
- MyPermissions: Prüf-Dienst für Datenweitergabe an Cloud-Services

Wichtige Exits
- Anobit: Apple kaufte den SSD-Spezialisten um etwa 400 Mio. Dollar.
- Face.com: Facebook übernahm die Gesichtserkennung um 55 Mio. Dollar.
- Guardium: IBM zahlte für die Security-Firma 225 Mio. Dollar.
- ICQ: AOL schnappte sich den IM-Dienst um 407 Mio. Dollar.
- LabPixies: Google übernahm den Widget-Spezialisten um 25 Mio. Dollar.
- Snaptu: Facebook kaufte den App-Anbieter für 60 Mio. Dollar.
- Shopping.com: eBay kaufte die Preisvergleichs-Seite um 620 Mio. Dollar.

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